Parktheater - Shakespeares Klassiker "Hamlet" mit tollem Ensemble und entschlackter Story

Der Dänenprinz in Mörder-High-Heels

Von 
Thomas Tritsch
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Dem Neuen Globe Theater aus Potsdam ist mit seiner "Hamlet"-Inszenierung im gut besuchten Parktheater Bensheim ein feines Kammerspiel gelungen.

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Bensheim. Dieser Hamlet frisst sich fest. Das ist keine Inszenierung, die man am Theaterausgang in den Papierkorb schmeißt. Auch wenn man die Vorstellung zu albern, zu reduziert oder zu actionlastig findet: Der fesselnd wilde Shakespeare-Krimi beschäftigt. Wahrscheinlich auch das Bensheimer Publikum, das die Tragödie in ihrer reinsten Essenz erlebt hat. Der Rest ist Schweigen? Auf keinen Fall!

Erst vor wenigen Jahren hat sich in Potsdam das Neue Globe Theater formiert. Eine Auskopplung aus dem bekannten Berliner Ensemble "Shakespeare und Partner". Eine von Schauspielern geführte Truppe in der Tradition des elisabethanischen Globe-Theatres, das sich Anfang des 17. Jahrhunderts von den starren Bühnen-Konventionen gelöst hat. Auch im modernen Hamlet werden alle Rollen von Männern besetzt. Eine Anlehnung an die Zeit Shakespeares, aber auch eine Methode zur Überwindung von Distanz. Dem Zuschauer wird klar, dass hier Schauspieler eine Geschichte erzählen.

Kostümwechsel auf der Bühne

Das Saallicht bleibt an, die sieben Akteure bringen ihre Texte mit und verkaufen - vor der Aufführung natürlich - Programmhefte zwischen den Reihen. Kostümwechsel erfolgen direkt auf der Bühne. Keine Lichteffekte, kein überflüssiges Brimborium. Die Bühnenarchitektur besteht nur aus gestaffelten Podesten Es gibt keinerlei Schranken zwischen Vorstellung und Publikum. Regisseur Kai Frederic Schrickel konzentriert sich auf das Wesentliche: einen Dänenprinz unter Hochdruck. Ein junger Mann, der aus seiner Lebensmitte gerissen wird und seine Balance wiederfinden muss.

Hamlet ist weder Herrschernatur noch Draufgänger. Eher ein humanistischer Intellektueller, der von seinem toten Vater zur Rache verführt wird und eine schicksalhafte Blutspur hinterlässt. Aus Trauer reist er von Deutschland nach Helsingör, wo ihn das Ende der Unschuld erwartet. Er wird zum größten Zweifler der Theatergeschichte. Saro Emirze spielt ihn als stillen Helden, präzise rezitierend und ohne prätentiösen Pomp. Überzeugend angekränkelt ekelt er sich vor dem Getriebe einer Welt, die aus den Fugen geraten ist. Er leidet an Selbstzweifeln und Seelenqualen, die er allein durch die Macht seines Geistes überleben kann. Hamlet arrangiert sich mit der Last der Gewissheit und zieht eine alles entscheidende Konsequenz.

Die dreistündige Inszenierung basiert auf der Textfassung von Maik Hamburger und Adolf Tresen. Sie zeigt eine klare Erzählstruktur ohne auf zentrale Elemente zu verzichten. Den politischen Aspekt des Stoffs hat der Regisseur herausgelassen, aber einige moderne Dialoge eingebaut. Die Dramaturgie sitzt perfekt, Schrickel spielt mit Tempo, Sprache und einem ganzen Bündel an starken Bildern. Jeder Schauspieler schlüpft in mehrere Rollen und schafft es in jeder Szene, das Publikum mit plastischem Spiel zu berühren. Als Hamlet und Horatio (Till Artur Priebe) ein Bad im kalten Wasser nehmen, weht eine kühle Brise durchs Parktheater. In jedem Moment ist das Ensemble voll konzentriert. Die Kampfszenen sitzen bis ins Detail. Die Choreografie stammt von Kai Fung Rieck, einem Meister seines Fachs. Er gehörte zur Stunt-Crew im James-Bond-Film "Skyfall".

Doch dieser Hamlet ist weit mehr als Säbelrasseln. Die inneren Konflikte der Figuren werden durchweg brillant gezeichnet - auch und manchmal sogar gerade wegen der bisweilen parodistischen Note der Inszenierung. Sebastian Bischoff glänzt edel als Polonius, ein subtiler Alter mit Gehgestell und großem Einfluss. Als clownesker Totengräber zieht Bischoff alle, auch die komischen Register. Eine eindrucksvolle Leistung zeigt Thomas Kellner als Ophelia im weißen Spitzenkleid (hübsche Beine!). Selten hat man Hamlets Flamme so verletzlich, zerrissen und wahnsinnig erlebt. Dierk Prawdzik gibt den Laertes als stattlichen Schönling von edler Natur, der sich zum finalen Gefecht mit Hamlet trifft. Auch Andreas Erfurth, Regisseur vieler Globe-Inszenierungen, muss sich als qualmende First Lady Gertrud in den Fummel quetschen - und sieht dabei ein wenig aus wie Jack Lemmon in "Manche mögen´s heiß". Urs Stämpfli schließlich verkörpert den Königs- und Vatermörder Claudius, der zu Hamlets Unmut nicht nur den Thron, sondern auch gleich noch dessen Mutter und des alten Königs Ehefrau geerbt hat.

Ein kluger Regie-Einfall ist die Theater-Parodie in der Mitte der Inszenierung. "Das Schauspiel sei der Akt, der mir den König am Gewissen packt", will Hamlet die Mausefalle zuschnappen lassen. Das Ensemble stürzt sich auf das Finale von "Romeo und Julia" wie ein durchgeknallter Haufen Drag Queens in einer champagnergetränkten Burlesque-Show. Trotz eines Prinzen in halterlosen Strümpfen und Mörder-High-heels ist das Stück weit davon entfernt, zum billigen Schenkelklopfer abzudriften. Auch das musikalische Intermezzo "Dänen lügen nicht" (frei nach Otto Waalkes) mit Dosenbier und Wikingerhelmen kann der Inszenierung erstaunlicherweise keine tödlichen Dolchstoß versetzen.

Nach der Pause ging dem Ensemble allerdings ein klein wenig die Puste aus. Auch der anfangs dreiviertel volle Theatersaal zeigte sich in der zweiten Halbzeit etwas ausgedünnt. Vielleicht immer noch zu lang?

Dennoch: Der Truppe ist ein feines Kammerspiel gelungen, das trotz seiner Sitzfleisch erfordernden Ausdehnung bis zum Ende facettenreich und unterhaltsam bleibt. Das Spiel mit Handlungssträngen und dem Bühnenraum gelingt wunderbar, der stellenweise sehr burschikose Humor dürfte echte Shakespeare-Fans keineswegs erstaunt oder gar verscheucht haben. Die Handschrift des Regisseurs bleibt schlank und lesbar bis zum berühmten Showdown. Die Tragödie aus Potsdam hallt nach. Genauso wie die brillante Leistung des Ensembles.

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