Bensheim. „Und nach den Kelten?“ fragte Bezirksarchäologe Thomas Becker in einem Vortrag im Bensheimer Museum am Donnerstagabend. Im Rahmen des archäologischen Jahres „Keltenland Hessen“ und begleitend zu der aktuellen Kelten-Ausstellung im Museum gab der Leiter der Außenstelle Darmstadt der Abteilung Hessen Archäologie im Landesamt für Denkmalpflege einen Überblick zu Funden aus der Zeit des Übergangs von der späten Eisenzeit zur römischen Kaiserzeit.
Dabei entwarf er ein Bild der Vermischung keltischer, römischer und germanischer Kultur in der Region, das der durch die literarisch historische Überlieferung geprägten Vorstellung von einer gewaltsamen Verdrängung und unmittelbaren, vollständigen Ablösung der Kulturen widerspricht. Dass dennoch nicht alles immer friedlich zuging, zeigte der Referent aber beispielhaft am Foto eines von einer Stichwaffe durchbohrten Helms.
Einen Eindruck von der frühen Präsenz der Römer gab die Erforschung zweier benachbarter Römerlager im heutigen Limburg-Eschhofen, so Becker, die in die Zeit der in Caesars Bericht „De bello Gallico“ beschriebenen Rheinüberquerungen 55 v. Chr. und 53 v. Chr. datiert werden konnten – also in die Zeit vor der eigentlichen römischen Eroberung Germaniens. Die beiden Lager befanden sich direkt neben der einheimischen keltischen Siedlung.
Kulturelle Vermischung
Etwa gleichzeitig gibt es auch erste germanische Funde in der Region. Doch bedeuten germanische Funde auch zwingend die Anwesenheit einer germanischen Ethnie? Der Referent warnte vor solchen Schlüssen. Am Beispiel mehrerer Gräber zeigte er vielmehr, dass die Bestatteten mit Gegenständen unterschiedlicher Kulturen versehen wurden. So fanden sich etwa in einem Grab in Rüsselsheim eine germanische Fibel, ein römischer Teller und ein eisenzeitliches Gefäß. Die Veränderung der Beigabensitten legt eine kulturelle Vermischung nahe, die im gesamten Rheintal – beiderseits des Flusses – zu beobachten sei, erklärte Becker. Der Fluss sei also auch nicht als so strenge Grenze anzusehen, wie das gemeinhin geschehe.
Bei der Untersuchung eines Gräberfelds in Biblis fand man in den Jahren 2010/11 Gräber aus der späten Latènezeit – also vom Ende der Eisenzeit – und aus der römischen Kaiserzeit. Obwohl keine völlige zeitliche Kontinuität gegeben sei, zeige sich hier doch eine beeindruckende Platzkontinuität. Ein Gräberfeld bei Rüsselsheim wies sogar eine ununterbrochene Belegung von der späten Latènezeit bis in die römische Zeit auf.
Im Siedlungswesen zeigten sich germanische Komponenten auf einem römischen Gutshof bei Wölfersheim: Inmitten der römischen Architektur fanden sich bei den Römern eigentlich nicht vorkommende Grubenhäuser mit germanischer Keramik. Der Fund eines Hirschgeweihs in einem römischen Brunnen könnte an einen Einfluss keltischer Kultur denken lassen, zeigte der Referent.
Mehr als 100 Jahre Wohlstand
Das Rheintal müsse als eine Kontaktregion angesehen werden, erklärte Becker. Viele Zusammenhänge stellten sich aus dem Fundmaterial anders dar als in der überlieferten Literatur. Wo römische und germanische Elemente auf die einheimische Bevölkerung getroffen seien, habe sich eine Mischkultur herausgebildet, ein Veränderungsprozess hin zur römischen Provinz, die dann für mehr als 100 Jahre für Wohlstand in der Region gestanden habe. Auch für die Zeit nach dem Fall des Limes im 3. Jahrhundert müsse man übrigens einen komplexen Übergangshorizont annehmen, erklärte der Bezirksarchäologe.
Museumsdirektor Christoph Breitwieser dankte dem Referenten für einen Vortrag von universitärem Niveau und verwies auf die nächste Veranstaltung zum Thema Kelten: Am 16. Oktober wird Becker den experimentellen Betrieb eines Rennofens zur Eisenverhüttung begleiten. Am Parkplatz vor dem Felsenmeer-Informationszentrum in Lautertal-Reichenbach wird der Schmelzprozess unter Leitung des Geologen Jochen Babist, Mitarbeiter des Geo-Naturparks Bergstraße-Odenwald und der Arbeitsgemeinschaft Altbergbau Odenwald, gegen 9 Uhr beginnen und zwischen 15 und 16 Uhr mit der Öffnung des Ofens abgeschlossen sein.
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