Bensheim. Fragt der Mitarbeiter: „Warum steht die Anlage?“ Antwortet die Maschine: „Seit fünf Minuten. Das Förderband ist gerissen. Soll ich dir zeigen, wie man es austauscht?“
Keine Science-Fiction oder visionäre Spinnerei: Ein innovatives Projekt aus Südhessen zeigt, wie es geht. Es vereint künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen, um Produktionsprozesse sicherer, besser und schneller zu machen. Durch die direkte Kommunikation von Mensch und Maschine ermöglicht ein modernes Dialogsystem ein rasches Auffinden von Fehlern und eine entsprechend zeitnahe Behebung derselben.
Für die Entwicklung einer Big-Data-Lösung für die Smart Factory der Zukunft haben die Unternehmen Secuvantis IT aus Lampertheim und die Make lt Consulting GmbH & Co. KG mit Sitz in Bensheim knapp 220 000 Euro aus Landes-Fördermitteln erhalten. Der Bescheid wurde gestern im Rahmen einer Online-Konferenz von der hessischen Digitalministerin Kristina Sinemus virtuell übergeben. Sinemus lobte das innovative Potenzial der Bergsträßer Firmen am Standort. Es gehe darum, diese „klugen Köpfe“ für die Region zu erhalten.
Hoher Innovationsgrad
Die Corona-Pandemie habe gezeigt, wie wichtig das Thema Digitale Transformation im wirtschaftlichen Umfeld ist. Ein Prozess, der in Echtzeit Aufschluss über den aktuellen Funktionszustand von Maschinen und Produktionsanlagen gibt, sei in dieser Form wegweisend. Das Projekt SPAIIS (Speech, Artificial Intelligence an IoT in the Smart Factory) habe auch die Jury des Förderprogramms Distr@l überzeugt, bei dem es um digitale Forschungs- und Entwicklungsprojekte geht, die einen hohen Innovationsgrad aufweisen.
„Das SPAIIS-Team vereint starke Kompetenzen und Spezialwissen in der Entwicklung und im Betrieb von Cloud-Anwendungen sowie in Lösungen mittels Künstlicher Intelligenz aus zwei Unternehmen“, so die Ministerin über die vielfältige technische Expertise der Partner. Dies sei ein wesentlicher Schritt bei der Digitalisierung von produzierenden Betrieben und helfe Unternehmen gerade auch in der aktuellen Krise, um unabhängig und wettbewerbsfähig zu bleiben.
Laut Secuvantis-Geschäftsführer Maximilian Schildmann hätten bereits etliche Firmen ein Interesse bekundet, das System einzusetzen. Zielgruppe sei in erster Linie die produzierende Industrie, aber auch in Sparten wie Lebensmittel, Medizin und Automotive seien synchrone Kontroll- und Evaluierungsprozesse enorm wichtig, um längere Produktionsstopps und damit hohe betriebswirtschaftliche Ausfallkosten zu vermeiden, so der Softwareentwickler.
Maschinen lernen sprechen
Wie funktioniert’s? Komplexe Maschinendaten im Fertigungsprozess sowie im Industrie- und Logistikumfeld werden vom System verarbeitet und durch den Einsatz Künstlicher Intelligenz (KI) über ein Machine-Learning-System mit dem Nutzer kommuniziert: Maschinenführer, Techniker und Monteure, die für den Zustand, die Wartung und die Aufrechterhaltung von Anlagen verantwortlich sind.
Die Ziele bei SPAIIS: ein hoher Automationsgrad und eine maximale Wertschöpfung einzelner Arbeitsschritte. Es geht um die richtigen Informationen zur richtigen Zeit und um konkrete Antworten statt ums mühevolle Stöbern in unübersichtlichen Handbüchern. Dadurch können Mitarbeiter reaktionsschneller agieren und Störungszeiten präventiv begegnen.
Im Fokus sind funktionskritische Daten, die über Maschinensensoren und IoT-Systeme (Internet der Dinge) erfasst werden und Aufschluss über den aktuellen Zustand der Maschinen geben. Solche Daten werden laut Trappschuh massenweise produziert. Viele jedoch landen ohne weiteren Nutzen in sogenannten Datenfriedhöfen. Das Projekt sorgt dafür, dass sie auf einer einfach zugänglichen Service-Plattform den Nutzern via Smartphone oder andere Endgeräte jederzeit zur Verfügung stehen – und zwar nur jene, die für den Betrieb der Anlagen system- und funktionsrelevant sind. Hinzu kommen weitere Daten, etwa Protokolle, die für den Betrieb wichtig sind.
Eine Besonderheit: Die Maschinen lernen „sprechen“, denn die Informationen werden mittels Künstlicher Intelligenz für sprachlich nahezu makellose Dialoge zur Verfügung gestellt. „Man chattet wie mit einem guten Bekannten“, so Schildmann.
Somit können in Echtzeit Informationen über den Zustand der Maschine abgerufen werden: Fehlerquellen werden frühzeitig erkannt oder – im Idealfall – bereits im Vorfeld vermieden. „Damit bleibt der Einsatz von Servicetechnikern auf notwendige Wartungen beschränkt“, ergänzt der geschäftsführende Gesellschafter Jörg Trappschuh, der sich das System auch bei der Nutzung von Windkraftanlagen vorstellen kann. Das Anfang 2019 gegründete Unternehmen betreibt ein zusätzliches Büro in Bielefeld und entwickelt neben eigenen Produkten auch individuelle Softwarelösungen für Kunden aus dem Bereich Maschinen- und Anlagenbau.
ChatBot für den Hessentag
Durch den Kooperationspartner Make It war es nun möglich, die natürliche Kommunikation zwischen Menschen auch auf Maschinen zu übertragen. Das Unternehmen ist seit 14 Jahren im Bereich IT-Beratung und Softwareentwicklung tätig. 2018 kam ein weiterer Geschäftsbereich hinzu: sogenannte ChatBots. Das sind textbasierte Dialogsysteme, die das Chatten mit einem technischen System erlauben. Die Firma hatte für den Hessentag in Bad Hersfeld 2019 einen digitalen Sprachassistenten entwickelt (wir haben berichtet).
Ein aktuelles Beispiel heißt „Leon“ – ein Bot, den die Bensheimer für das Hessische Sozialministerium maßgeschneidert haben. Über die Internetseite beantwortet er alle Fragen rund um die Corona-Pandemie, wie Produktmanager Felix Stelzer aus dem Team von „dein ChatBot“ erläutert. Im neuen Geschäftsbereich arbeiten neben den sechs fest angestellten Mitarbeitern auch Werksstudenten und Praktikanten an intelligenten Lösungen für smarte Anwendungen.
Die Initialzündung zur Zusammenarbeit mit Secuvantis erfolgte Anfang des Jahres 2020 im Rahmen eines Unternehmerfrühstücks in Lampertheim. Boris Auer, der Make IT strategisch und kommunikativ unterstützt, kam mit Jörg Trappschuh ins Gespräch und stellte einen Kontakt zwischen den geografisch wie professionell benachbarten Unternehmen her. Auer hatte sich später auch um das richtige Förderinstrumentarium gekümmert. Mit Erfolg.
Wie Ministerin Sinemus betonte, mache das Projekt angewandte Forschung und Entwicklung greifbar. „Wir haben hier ein Best-Practice-Beispiel in und für Hessen, das modellhaft auf andere Unternehmen übertragen werden könnte.“ Mit der Kooperation werde eine wichtige Vorlage für produzierende Unternehmen und die Entwicklung der Digitalisierungsstrategien von kleinen und mittleren Unternehmen geschaffen. Laut Projektpartner fließt die Fördersumme in die weitere Entwicklung des Systems.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-chatten-zwischen-mensch-und-maschine-_arid,1741482.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html