Bürgermeister und Ehrenbürger

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Hinter der Weststadthalle zweigt von der Europa-Allee rechts die Joseph-Treffert-Straße ab. Ein beliebtes Wohnviertel, vor allem für Familien. Für Hunderte von Kindern zählt der Straßenzug zu ihrem täglichen Schulweg: Neben zahlreichen Ein- und Mehrfamilienhäuser steht hier auch die Grundschule in den Kappesgärten.

Benannt ist die Straße, die sich S-förmig durch das Wohngebiet schlängelt, nach einem großen Bensheimer - einer von lediglich 22 Ehrenbürgern der Stadt, die seit 1838 ernannt werden. Joseph Treffert, 1883 geboren, war der erste freigewählte Bensheimer Bürgermeister nach dem Zweiten Weltkrieg und maßgeblich am Wiederaufbau der teils zerstörten Stadt beteiligt. Als Kommunalpolitiker und Gewerkschafter hat sich Treffert aber auch in anderen Regionen Deutschlands einen Namen gemacht.

Ausbildung zum Buchdrucker

Als zehntes Kind des örtlichen Fleischermeisters erblickte Joseph Treffert am 20. Mai 1883 das Licht der Welt. Sein Vater, zuletzt Verwalter des Schlachthofs in der Schwanheimer Straße, starb, als Joseph drei Jahre alt war.

Der Junge besuchte die Volksschule und machte im Anschluss eine Lehre als Buchdrucker beim "Starkenburger Boten" in Bensheim. Nach Abschluss seiner Ausbildung hielt es ihn nicht zu Hause. Als Geselle ging er - mit dem Fahrrad - auf Wanderschaft und machte in vielen Städten im gesamten Land Station, darunter in Bremerhaven, Berlin, Dresden, München, Regensburg, Ulm und Stuttgart.

In Bremerhaven musste er seinen Chef, den Verleger einer kleinen Zeitung, gelegentlich auch als Berichterstatter vertreten. Dabei entdeckte er sein Interesse an der Politik und sein Talent zum Schreiben. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Katholik Treffert Mitglied der christlichen Buchdrucker-Gewerkschaft "Gutenberg-Bund" sowie der Deutschen Zentrumspartei.

Anstellungen in Mönchengladbach und in Siegburg machten es ihm möglich, an der Bonner Universität Vorlesungen zu besuchen. Nach kurzer Tätigkeit als Redakteur der "Westdeutschen Arbeiterzeitung" zog er 1911 nach Neukölln um - bis 1920 eine eigenständige Stadt nahe Berlin. Vom Vorstand des Gutenberg-Bunds war Treffert zum hauptverantwortlichen Redakteur des Fachblatts für Buchdrucker mit dem Titel "Der Typograph" ernannt worden.

1914, nach Ausbruch des Ersten Weltkriegs, wurde Treffert als Soldat einberufen, Ende des Jahres 2015 jedoch wieder entlassen. 1916 wurde er als Privatsekretär des christlichen Gewerkschaftsvorsitzenden Adam Stegerwald im Kriegsernährungsamt (später Reichsernährungsamt) eingesetzt und war auch im Landwirtschaftsministerium tätig.

1919 wurde Joseph Treffert für die Zentrumspartei in die Stadtverordnetenversammlung von Neukölln gewählt und 1921 zum besoldeten Stadtrat ernannt. In dieser Funktion machte der gelernte Buchdrucker die Wohnungsbaupolitik zu seinem Thema. Er war im Aufsichtsrat einer Wohnungsfürsorgegesellschaft und maßgeblich an der Gründung von drei Siedlungen in Tegel und Mariengarten beteiligt. Beim Deutschen Gewerkschaftsbund, dem Dachverband der christlichen Gewerkschaften, wurde er Ende der 1920er Jahre Leiter des Dezernats für Wohnungs- und Siedlungswesen.

Orden vom Bischof von Berlin

1930 wurde er erneut zum besoldeten Stadtrat gewählt, nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten jedoch entlassen und all seiner Ämter enthoben. Für seine Verdienste um Kirche und soziale Einrichtungen wurde er noch 1934 vom Bischof von Berlin mit einem Orden ausgezeichnet. Zwei Jahre später zog es ihn zurück in die alte Heimat Südhessen. Treffert ließ sich in Jugenheim nieder, wo er sich ein Haus kaufte. Während des Zweiten Weltkriegs wurde er dienstverpflichtet, im Büro einer Bickenbacher Kleiderfabrik für Soldaten zu arbeiten.

Nach Kriegsende war Joseph Treffert im November 1945 im Kolpinghaus bei der Gründungsversammlung der "Christlich-Demokratischen Partei Bensheim" (später CDU) in seiner Heimatstadt anwesend. Am 19. Dezember sprach er im ehemaligen "Bensheimer Hof" über "Weg und Ziele der Christlich-Demokratischen Union".

Bei den ersten Kommunalwahlen 1946 erhielt die CDU in Bensheim die absolute Mehrheit. Am 21. Mai 1946 wurde Joseph Treffert, unterstützt von CDU und SPD, zum Bensheimer Bürgermeister gewählt und im Juni 1948 für weitere sechs Jahre wiedergewählt.

In der schwierigen Nachkriegszeit warteten große Herausforderungen auf den Rathauschef: Eines der drängendsten Probleme war die Wohnungsnot. Viele Wohnungen waren zerstört und zusätzlich zur Bevölkerung mussten mehrere Tausend Vertriebene und Evakuierte in der Stadt untergebracht und versorgt werden. Treffert war Mitbegründer einer Gemeinnützigen Siedlungsgenossenschaft, die jedoch zunächst unter Materialnot und nach der Währungsreform unter Geldmangel litt.

Dennoch kehrte Bensheim in den kommenden Jahren zum Alltag zurück - und bevor Bürgermeister Treffert "mit 71 Jahren auf eine weitere Kandidatur verzichtete, hatte die Stadtverwaltung in dem ausgebauten Rodensteiner Hof ein neues Heim, war die Kirche wieder aufgebaut, die Feuerwehr hatte eine neue Unterkunft und der Grundstein für die neue Volksschule war gelegt, nachdem die übrigen, zum Teil jahrelang zweckentfremdeten Schulen wieder instandgesetzt und teilweise erweitert worden waren". So schrieb das Bergsträßer Anzeigeblatt in einer Würdigung Trefferts anlässlich seines 75. Geburtstages.

Für seine Verdienste wurde Treffert 1953 mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse ausgezeichnet. "Beim Ausscheiden aus seinem Amt wurde ihm von allen Parteien Anerkennung zuteil", hieß es im BA. Die Stadt Bensheim verlieh Treffert 1954 zudem die Ehrenbürgerschaft.

Joseph Treffert war Mitbegründer des Hessischen Gemeindetags und viele Jahre dessen Vizepräsident. Auch als Pensionär nahm er noch am Europäischen Gemeindetag teil.

Daneben war er Mitglied in zahlreichen Vereinen und füllte viele weitere Ämter und Funktionen aus - er war Ehrenmitglied des Landesverkehrsverbands Hessen, Schatzmeister des CDU-Kreisverbands Bergstraße, Vorsitzender der Volkshochschule Bensheim sowie Mitglied des Hospitalvorstands und Kirchenstiftungsrats, des Kolpingvereins und des Caritasverbands, des Katholischen Kaufmanns-Vereins, der Goethegesellschaft und der BKG.

"Zu Hohem und Idealem berufen"

"Zu Hohem und Idealem berufen"

Bensheim. Joseph Treffert starb am 8. Februar 1963 in München - wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag, den er im Mai gefeiert hätte. In Bensheim war die Anteilnahme groß.

Unter der Überschrift "Gedanken und Bilder über das Leben eines untadeligen Bensheimer Bürgers" war nach seinem Tod im Bergsträßer Anzeigeblatt zu lesen: "In der Nacht zum gestrigen Freitag ist, wie wir bereits berichtet haben, Altbürgermeister Joseph Treffert im achtzigsten Lebensjahr einem kurzen, schweren Leiden erlegen. Es hätte wohl kaum eine Trauernachricht die Stadt an der Bergstraße so tief beeindrucken können wie diese, denn Joseph Treffert war trotz eines reichen und erfüllten Lebens, das ihm Ämter und Ehren brachte und ihn in alle Teile unseres Vaterlandes führte, doch letzten Endes immer ein echter und aufrichtiger Vertreter seiner engeren Heimat geblieben. Mit seinen Angehörigen, seinen Freunden und der ganzen Einwohnerschaft bedauert auch das Bergsträßer Anzeigeblatt sein Hinscheiden, denn ihm hat er zu seinen Lebzeiten auch einmal, mit dem Winkelhaken in der Hand, seine Arbeitskraft, sein Wissen, seinen Fleiß und seine Treue zur Verfügung gestellt."

Mit unsäglicher Liebe zur Heimat

Weiter heißt es dort: "Es ist wohl in aller Erinnerung, dass Joseph Treffert, zu Hohem und Idealem berufen, sein Leben mit dem Wirken für seine Mitmenschen, sein Vaterland und - es ist wirklich nicht zu hoch gegriffen - für alle seine Bewohner bestimmt hatte." Der Nachruf schließt mit den folgenden Worten: "Will man ein Letztes und Bestes über ihn sagen, so dies: Man erinnere sich an die Zeit nach dem grausamen Zusammenbruch des Jahres 1945 und man rufe alle jene Stationen im Wirken Joseph Trefferts sich in Erinnerung zurück, bei denen es darum ging, der ebenfalls schwer geschlagenen Stadt Bensheim, mit Geduld, mit unsäglicher Liebe zur Heimat und mit einem unerschütterlichen Willen ihre Wunden zu heilen."

Mit der Benennung einer Straße nach Joseph Treffert - die Entscheidung fiel im Jahr 1988 - hält die Stadt Bensheim auch mehr als 50 Jahre nach dessen Tod die Erinnerung an einen ihrer Ehrenbürger weiterhin am Leben. cim

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