Bensheim. Ein Bekenntnis zur Bürgerbeteiligung darf eigentlich in keiner politischen (Sonntags)rede fehlen. Die Bürger müssen schließlich mitgenommen werden, gegen den Willen der Bevölkerung wolle man nicht agieren, auf das Wissen und die Erfahrung der Vielen dürfe nicht verzichtet werden. Man kennt die Aussagen mittlerweile zu Genüge.
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Auf lokaler Ebene hat die Stadtverwaltung mit dem Bensheimer Weg versucht, ein Dialog- und Beteiligungsformat für einen Austausch zwischen Verwaltung, Bürgern und Kommunalpolitik zu initiieren. Zur Anwendung kam es bei zwei Vorhaben, die bis dato zumindest nicht als Glanzlichter in die Stadthistorie einziehen werden: dem sogenannten Marktplatz der Zukunft und dem Neumarkt-Center.
Im Juli 2021 wurde der Bensheimer Weg von den Stadtverordneten beschlossen, verbunden mit der Forderung, das Verfahren zeitnah auszuwerten und auf Tauglichkeit abzuklopfen. Dies ist mittlerweile geschehen, der Abschlussbericht dieser Evaluation liegt vor und mündete nun in eine Beschlussvorlage aus dem Rathaus für die Stadtverordneten. Demnach soll es auch künftig in Bensheim projektbezogen eine informelle Beteiligung (die formellen Beteiligungen sind ohnehin rechtlich vorgeschrieben) mit verschiedenen Akteurinnen und Akteuren geben. Gemeinsam mit den politischen Vertreterinnen und Vertretern sollen zudem weitere Aspekte geklärt werden - etwa wie die Bürgerinnen und Bürger bei künftigen Vorhaben eingebunden werden sollen.
Keine Woge der Begeisterung
Im Bauausschuss löste der Vorschlag aus dem Baudezernat von Stadträtin Nicole Rauber-Jung (CDU), vorsichtig formuliert, keine Woge der Begeisterung aus. Vielmehr überwogen die kritischen Töne, nicht nur, aber auch sehr deutlich aus der CDU-Fraktion. „Der Bensheimer Weg ist nicht so richtig rund gelaufen“, bemerkte Feridun Bahadori. Grundsätzlich sei man - natürlich - dafür, dass der Bürge beteiligt wird. Ob der Bensheimer Weg unbedingt zum richtigen Ziel führt, daran „haben wir ein bisschen Zweifel“.
Deutlich machen müsse man aber auch, dass am Ende des Tages immer die Stadtverordnetenversammlung entscheide. Mit der Evaluation sei man nicht einverstanden und könne demnach nicht zustimmen. Die Beschlussvorlage sei nicht notwendig.
Bei der zuständigen Stadträtin stießen die Einlassungen des Parteifreunds (ebenso wie die meisten folgenden Stellungnahmen der anderen Fraktionen) nicht wirklich auf ungeteilte Zustimmung. „Wir machen hier keinen Vorschlag, den Bensheimer Weg weiterzugehen.“ Der Begriff stünde nicht einmal mehr in der Beschlussvorlage, weil ja offenbar eine gewisse Angst vor dem Begriff herrsche. Es sei lediglich zu beschließen, gemeinsam nach einer Möglichkeit zu suchen, wie Bürgerbeteiligung in Bensheim künftig aussehen soll.
Bürger von Anfang an mehr in die Entwicklung einbinden
Man müsse die Bürger von Anfang an mehr in die Entwicklung eines Projekts miteinbinden. Das passiere nicht nur in Bensheim, sondern landauf, landab. Es gebe „tolle Modelle“. Gemeinsam gelte es nun zu schauen, welche Art der Bürgerbeteiligung man haben wolle. Darauf ziele die Vorlage ab. Die Formulierungen seien der Versuche, eine Mehrheit mitzunehmen, weil der Bensheimer Weg als Begrifflichkeit bei vielen eine Allergie auslöse.
Ausschussvorsitzender Thomas Götz (Grüne) konnte sich mit der Ausarbeitung durchaus anfreunden. Es müssten innovative Wege gefunden werden, die Bürger einzubeziehen. Was mit der Evaluation versucht werde, sei im Grund eine vernünftige Angelegenheit. Götz schlug in einem Änderungsantrag vor, den Beschluss dahingehend abzuändern, dass Bürgerbeteiligung auf Grundlage der Handlungsempfehlungen und Fragestellungen aus der Auswertung weiterentwickelt wird.
Für Franz Apfel (BfB) hingegen war der Bensheimer Weg „niemals erfolgreich“. Er nutzte den Tagesordnungspunkt, um auf das Hoffart-Gelände zu verweisen. Für das Grundstück habe es drei Interessenten gegeben, da wisse man bis heute nicht, welche Planungen die Investoren hatten. Das gehöre auch zum Bensheimer Weg. „Da ging alles schief aus unserer Sicht.“ Seine Fraktion habe die Kosten für die Evaluation aus dem Haushalt streichen wollen, es seien aber auf Antrag der Koalition lediglich 5000 der veranschlagten 20 000 abgeplant worden.
Das Expertenwissen der Bürgerinnen und Bürger nutzen
„Wir sollten bei jedem größeren Projekt, das in Zukunft kommt, extra entscheiden, wie wir bei der Bürgerbeteiligung vorgehen. Und das nicht schon formal vorher festlegen“, lautete sein Vorschlag.
Ebenfalls kein Mitglied des ohnehin nicht existenten Fanclubs des Bensheimer Wegs ist Thorsten Eschborn (FDP). Er erinnerte daran, Anfang des Jahres den Bensheimer Weg verlassen zu haben. „Und ich habe nicht vor, auf ihn zurückzukehren.“ Er plädierte ebenso wie Apfel für Einzelfallentscheidungen, wenn es darum gehe, die Bürger zu beteiligen. Der Beschlussvorschlag sei nicht gut. „Wir beschließen, dass wir uns selbst Fragen stellen.“ Er weigere sich, noch einen Workshop zu machen, um die Fragestellungen aus der Vorlage zu beantworten. Projektbezogen könne man jedoch auf seine Mitarbeit zählen.
Für Bürgerbeteiligung sprachen sich auch Ralph Stühling (SPD) und Peter Leisemann (FWG) aus - „und zwar bei exponierten Bauvorhaben, wo es die Allgemeinheit betrifft“, so Leisemann. Thomas Götz konnte die grundsätzlich ablehnende Handlung der Kollegen im Ausschuss nicht zur Gänze nachvollziehen. Schließlich sei man sich einig, dass es bei übergeordneten Vorhaben eine Bürgerbeteiligung brauche, die über die gängigen Möglichkeiten hinausgeht. „Für diesen Prozess haben wir hier eine Blaupause, die aufzeigt, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben.“ Diese könne man in flexibler Form wieder anwenden. So könne man das Expertenwissen der Bürgerinnen und Bürger nutzen.
Er betonte ebenso wie Stadträtin Rauber-Jung, dass sowohl der Marktplatz als auch das Neumarkt-Center nicht die Probleme hatten und haben, weil es den Bensheimer Weg gab. „Die Gründe liegen woanders. Das wissen wir alle.“
Auch künftig eine informelle Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger
Am Ende kreiste die Debatte um sich selbst, ohne das es einen allzu großen Erkenntnisgewinn gab - ob es den bei der Diskussion überhaupt gab, sei dahingestellt. Die Baudezernentin unternahm schließlich einen letzten Versuch und warb erfolglos für die Vorlage. „Unser Angebot ist es, gemeinsam mit der Politik zu definieren, wie Bürgerbeteiligung künftig aussehen soll.“ Es gehe darum, ein Werkzeugkasten zu haben, auf den man je nach Projekt zurückgreifen kann.
Nach einer guten halben Stunde war es schließlich soweit, die Abstimmung konnte vollzogen werden. Einstimmig einigte man sich darauf, dass es auch künftig eine informelle Beteiligung der Bürger geben soll. Der Änderungsantrag der Grünen fand nur Zustimmung in deren eigenen Reihen. Und der restliche Teil der Vorlage wurde abgelehnt bei Enthaltung der Grünen.
Fortsetzung folgt (hoffentlich nicht) in der Stadtverordnetenversammlung. Schließlich haben die Fraktionen im Ausschuss bereits deutlich gemacht, dass sie den Bensheimer Weg für einen Trampelpfad halten, auf den sie sich nicht mehr begeben wollen. Für diese Erkenntnis hätte es, nebenbei bemerkt, keine Evaluation gebraucht.
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