Persönlich

Bensheimer setzt in der Ukraine sein Leben aufs Spiel

Von 
Gerlinde Scharf
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Bensheim. Morgen befindet sich Lars aller Wahrscheinlichkeit nach in seinem Mitsubishi Pajero nach knapp einwöchigen Aufenthalt in seiner Heimatstadt (Reisepass erneuern, Auto-Check und eine Spendenkampagne ins Leben rufen) schon wieder auf dem Weg zurück in die Ukraine.

Dort will er seinen humanitären Einsatz für die vom Angriffskrieg gebeutelte Bevölkerung fortsetzen und die Menschen in zahlreichen kleinen Dörfern, größtenteils in den jüngst zurück eroberten Gebieten in der Ostukraine, mit Medikamenten, Lebensmitteln, Wasser und anderen lebensnotwendigen Dingen versorgen. Der junge Mann hat die Redaktion gebeten, aus Gründen der Sicherheit für seine Familie auf die Nennung seines Nachnamens zu verzichten.

Ein „kalkuliertes Risiko“

Lars (Pseudonym Laarzival) spricht von einer „potenziellen Gefahr“, von Sicherheitsvorkehrungen, die strikt eingehalten werden und von einem „kalkulierten Risiko. Ich bin gern am Leben“. Sein Telefon hat er auf Flugmodus gestellt, damit man ihn nicht orten kann, das Tragen von Schutzwesten sowie einer Erste-Hilfe-Tasche gehört zum Alltag.

Trotzdem setzt der 29-Jährige, der in einem kleinen Bensheimer Stadtteil aufgewachsen ist, bei der Behindertenhilfe ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert und bis vor wenigen Monaten als Veranstaltungstechniker am Marburger Theater gearbeitet hat, tagtäglich sein Leben aufs Spiel. So mussten er und seine Begleiter sich erst kürzlich im Wald in Sicherheit bringen, „da vermutlich auf uns geschossen wurde. Wir sind mit unserem Auto davongerast, als wir drei nahe Einschläge hörten. Später erwiderten die Ukrainer den Angriff der russischen Einheit.“

Er verspüre einen „inneren Drang, zu helfen“ nachdem er im März einen ersten privaten Hilfstransport für die Ukraine als Fahrer an die rumänische Grenze begleitet und die Not gesehen hat, antwortet er auf die Frage nach seinen Motiven: „Es lässt einen einfach nicht mehr los. Ich wollte etwas tun, auch wenn es ein Tropfen aus dem heißen Stein ist. Und man sollte trotz allem eine gewisse Distanz wahren.“

Seine Wohnung hat er in der Zwischenzeit gekündigt, seinen Job aufgegeben, sein gesamtes technisches Inventar – wie Laptop, Computer und Fernseher – verkauft und sich mit geliehenem Geld ein geländetaugliches Fahrzeug besorgt. „Fahrer werden überall gebraucht. In den ersten drei Monaten war ich 30 000 Kilometer auf Matschpisten rund 14 bis 16 Stunden pro Tag unterwegs.“ Zur eigenen Sicherheit immer im Konvoi.

Lars berichtet von komplett zerstörten Ortschaften, in denen von ursprünglich 2 000 Bewohnern gerade noch sechs ausharren beziehungsweise am Leben sind („ein einziges Schlachtfeld“) und von Häusern ohne Strom und Fensterscheiben, in denen noch die zurückgelassenen russischen Panzer stecken. Oder von einem Dorf nahe Charkiv im Nordosten, in dem alle Brücken ringsum gesprengt wurden. „Wir mussten 300 Kilometer Umwege fahren, um zu den Menschen zu kommen.“

Bislang hat er die kompletten Kosten für sein humanitäres Engagement, für Sprit und anderes aus eigener Tasche und mit Unterstützung der Familie und von Freunden getragen. Vor Ort haben er und sein Team sich mittlerweile ein zuverlässiges Netzwerk mit Sanitätern, Ärzten, Freiwilligen aus der Ukraine, aus Deutschland, Kanada, USA, Australien und Polen aufgebaut, während die großen Hilfsorganisationen nur selten in der „roten Zone“ anzutreffen sind, berichtet er.

Medikamente sind Mangelware

Der junge Deutsche und die Helferinnen und Helfer sind inzwischen in Warenhäusern, Supermärkten und Apotheken bekannt und beim Einkauf von Medikamenten oder Lebensmitteln werden nach Möglichkeit Rabatte eingeräumt: „Mein Kofferraum ist immer bis zum Dach vollgepackt mit Hilfsmitteln, die wir ganz gezielt mit Hilfe von Übersetzern verteilen.“

Die Basis-Station von Lars und seiner Crew und das Lager befinden sich in Charkiv im Nordosten der Ukraine. Vor allem Medikamente sind Mangelware und werden dringend gebraucht.

Beeindruckt von der humanitären Arbeit des Bensheimers haben sich die Vereine Wir sind Bergstraße und die Tour der Hoffnung nach intensiven Gesprächen mit Lars dazu entschlossen, diesen sowohl ideell als auch finanziell zu unterstützen und als Kooperationspartner zu agieren. „Lars ist ein junger Mann, der mitten im Leben steht“, zollt ihm Jürgen Pfliegensdörfer, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit des Team Bergstraße der Tour der Hoffnung und selbst Organisator von 14 Hilfstransporten, großen Respekt. Der Verein Wir sind Bergstraße hat auf einer privaten Feier 2440 Euro für den Ukraine-Einsatz gesammelt und ein Set Winterreifen für den Pajero bezahlt.

Verein "Wir sind Bergstraße" Wer Lars bei seinen privaten Hilfs ...

Verein "Wir sind Bergstraße" Wer Lars bei seinen privaten Hilfs transporten in die vom Krieg betrof fenenen Gebiete in der Ukraine unterstützen möchte kann dies mit einer Spende auf das Konto "Wir sind Bergstraße e.V." tun.

Freie Autorin Seit vielen Jahren "im Geschäft", zunächst als Redakteurin beim "Darmstädter Echo", dann als freie Mitarbeiterin beim Bergsträßer Anzeiger und Südhessen Morgen. Spezialgebiet: Gerichtsreportagen; ansonsten alles was in einer Lokalredaktion anfällt: Vereine, kulturelle Veranstaltungen, Porträts. Mich interessieren Menschen und wie sie "ticken", woher sie kommen, was sie erreiche haben - oder auch nicht-, wohin sie wollen, ihre Vorlieben, Erfolge, Misserfolge, Wünschte etc.

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