Interview

Bensheimer Pfarrer Poggel spricht über den Sinn der Fastenzeit

Von 
Dirk Rosenberger
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Bensheim. Ostern ist für Christen mehr als Geschenke verteilen und Eier verstecken – auch wenn sich mitunter der Eindruck aufdrängt, dass es in erster Linie nur noch darum geht. An Ostern wird das Fest der Auferstehung Christi gefeiert, der Sieg des Lebens über den Tod, was für die Religion von zentraler Bedeutung ist.

Die 40 Tage zuvor, ab Aschermittwoch, stehen im Zeichen des Fastens, des Verzichts und der Besinnung. Im Gespräch mit dieser Zeitung spricht der Bensheimer Pfarrer Harald Poggel, Leiter der Pfarrgruppe Sankt Laurentius/Heilig Kreuz, über diese Fastenzeit, äußert sich aber ebenso zur allgemeinen Situation der Katholischen Kirche und dem von Putin entfesselten Krieg in der Ukraine.

Für den 56-Jährigen wird es zudem ein besonderes Osterfest in Bensheim sein. Im Sommer muss er weiterziehen und übernimmt im Zuge des Pastoralen Wegs die Betreuung des Odenwaldkreises, konkret wird Poggel Pfarrer der drei Pfarreien Erbach, Beerfelden und Hesselbach mit Sitz in der Kreisstadt Erbach. Wann genau er Bensheim verlässt, steht noch nicht fest.

Pfarrer Harald Poggel © Neu

Herr Pfarrer Poggel, die Fastenzeit hat begonnen, in rund 40 Tagen wird Ostern gefeiert. Viele wollen in diesen Tagen wieder Verzicht üben, auch weil es dem Zeitgeist entspricht. Auf welche kleine Sünden sollte man aus kirchlicher Sicht verzichten?

Harald Poggel: Auf „Sünden“ sollte man natürlich immer verzichten (schmunzelt). Der christliche Sinn der Fastenzeit hat etwas mit der Beziehung zwischen Gott und Mensch zu tun. Es geht um die Überprüfung des eigenen Lebensstils, Freiwerden von unnötigem Ballast oder von Angewohnheiten, die mich von Gott und den Mitmenschen wegführen. Deswegen nennen wir das Umkehr und Neubeginn. Fasten kann dabei helfen, aber Jesus selbst nennt außerdem noch zwei andere wichtige Dinge: Gebet und konkrete Nächstenliebe. Diese drei bilden eine Art Geländer, an dem ich neu zu Gott und den Menschen finde.

Wegen der Corona-Pandemie mussten die Menschen erneut viele Einschränkungen hinnehmen. Auch die Fastnacht war, wenn überhaupt, ein Schatten ihrer selbst. Warum kann es trotzdem sinnvoll sein, die Motivation zum Fasten aufzubringen? Oder ist die Fastenzeit ein Relikt vergangener Tage?

Poggel: Es geht ja bei uns Christen nicht um ein „weniger essen und trinken, weil ich vorher zu viel gefeiert habe“. Wir bereiten uns auf Ostern vor. Das ist immer sinnvoll, damit wir dieses größte und schönste Fest der Christen wirklich feiern können. Das Ziel ist nicht die Einschränkung, sondern die Offenheit für Gott. Auf ihn kommt es an. Wer viel zu tragen hat, sei es durch Krankheit, persönliche Not oder Belastungen anderer Art, braucht nicht zusätzliche Einschränkung, sondern Unterstützung. In der Solidarität der Menschen ist etwas von Gottes Liebe erfahrbar. Solidarisch leben und anderen helfen trifft einen Kern der christlichen Fastenzeit. Und ist außerdem etwas, das wir für unseren Planeten dringend brauchen.

Wie gestalten Sie als Pfarrer die Zeit bis Ostern?

Poggel: Die drei oben erwähnten Teile des Geländers helfen auch mir: Verzicht auf manch ein Zuviel, nicht nur beim Essen und Trinken, dafür ein bisschen mehr Genuss der für Gott reservierten Zeit der Stille. Und schließlich das Teilen von Zeit, Begabungen und auch Materiellem. Unter anderem bedeutet das ganz handfest: Spenden. Außerdem ist die Mitfeier der Gottesdienste in der Fastenzeit eine fantastische Schulung im Glauben. Das stärkt und gibt Hoffnung auch in schwierigen Zeiten.

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Welche Angebote wird es in der Passionszeit konkret in der Pfarrgruppe Sankt Laurentius/Heilig Kreuz geben?

Poggel: Wir gestalten das als Katholische Kirche von Bensheim und Auerbach gemeinsam – das sind sehr viele besondere Angebote. Unter anderem gibt es da Frühschichten, Lichtmomente, Kreuzwegandachten, Familien- und Jugendgottesdienste, „Spirit-Walks“ und vieles mehr. Natürlich auch Friedensgebete aus aktuellem, traurigem Anlass. Am besten auf der Homepage katholische-kirche-bensheim.de nachlesen. In den Kirchen liegen auch Flyer aus.

Die Katholische Kirche hat, vorsichtig formuliert, kein einfaches Jahr hinter sich. Missbrauchsskandale und zuletzt der Umgang von führenden Geistlichen bis hin zum emeritierten Papst Benedikt haben für viel öffentliche Kritik gesorgt und weiteres Vertrauen verspielt. Muss sich die Kirche insgesamt ein verschärftes Bußprogramm auferlegen?

Poggel: Ich weiß nicht, ob es ein Bußprogramm ist. Auf alle Fälle muss der Weg der Aufklärung und Aufarbeitung weitergehen. Zu viel Leid ist Menschen im Raum der Kirche zugefügt worden. Dafür schäme ich mich zutiefst, denn ich habe Kirche persönlich immer anders erfahren. So gilt es, die Leidgeprüften wirklich wahrzunehmen und Hilfe zu leisten. Manches ist bereits geschehen, vieles muss noch passieren.

Trotzdem dürfte vielen Christen zurzeit das Vertrauen in wirkliche Aufklärung fehlen . . .

Poggel: Ich weiß, dass viele jegliches Vertrauen in Kirche verloren haben. Ich verstehe das. Wir haben als Kirche keinen Grund, darüber zu jammern. Es ist unsere Aufgabe, im Sinne der Botschaft Jesu uns selbst zu prüfen und alles zu tun, damit neues Vertrauen wachsen kann. Dies geht nicht ohne manche Veränderung von Struktur und Verhalten. Deswegen gibt es zum Beispiel den Synodalen Weg der Kirche.

Der Pastorale Weg stellt die Pfarrgemeinden vor große Herausforderungen. Sie selbst werden im Sommer Bensheim verlassen und den Odenwaldkreis betreuen. Wie schwer fällt Ihnen der Abschied?

Poggel: Nach inzwischen fast zwölf Jahren in Bensheim sind es natürlich vor allem die Menschen und Beziehungen, die ich mit einem weinenden Auge und Herzen zurücklassen muss. Ich bedaure sehr, dass ich den Abschluss des Neubauprojekts unserer Kita Sankt Winfried nicht mehr in Bensheim erleben kann. Bei Hermann Hesse heißt es: „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten, an keinem wie an einer Heimat hängen“. Ich freue mich schon sehr auf den wunderschönen Odenwald und seine Menschen – und schaue beim Fahrradfahren dennoch ein bisschen wehmütig auf die Silhouette der Bergstraße. Als Priester wird man dorthin gesandt, wo das Bistum jemanden braucht. Abschiede gehören also dazu. Und bis wir uns wiedersehen, hält Gott uns fest in seiner Hand.

Hätte es aus ihrer Sicht Alternativen zum vom Bistum eingeschlagenen Weg gegeben?

Poggel: Als Kirche von Mainz leben wir in der heutigen Welt mit ihren sich stets wandelnden Gegebenheiten. Über einzelne Dinge kann man immer streiten. Aber unser Bistum und unsere Gemeinden müssen sich den Veränderungen stellen, sie gestalten und auf diese Weise den Schatz des Glaubens in die Zukunft tragen. Nicht die Formen und Strukturen von gestern. Auch hier gibt es Abschiede, die weh tun. Sie lehren uns die Unterscheidung der Geister: Worauf kommt es wirklich an? Wo sind wir wirklich Gott auf der Spur und nicht nur unseren Gewohnheiten?

Der Angriffskrieg von Wladimir Putin gegen die Ukraine hat viel Leid ausgelöst. Der Münchner Erzbischof Reinhardt Marx hat die Patriarchen von Moskau zur Vermittlung aufgerufen. Welchen Einfluss können die Kirchen in solchen Situationen überhaupt nehmen? Und was kann man konkret als Gemeinde vor Ort leisten, wenn man den Menschen im Kriegsgebiet helfen möchte?

Poggel: Es mag sein, dass hohe Kirchenvertreter einen gewissen Einfluss haben, das kann ich nur hoffen, aber nicht wissen. Wir vor Ort können zunächst einmal vor allem die Not und Sorge aller Menschen teilen, zu Gebet und Solidarität einladen. Manche lächeln über das Gebet oder unser Glockenläuten für den Frieden. Vielleicht sind wir nur ein kleiner Baustein einer großen Hoffnungsgemeinschaft. Aber ein wichtiger, weil jeder Baustein zählt. Gar nichts tun, ist die Kapitulation vor der Gewalt. Die allermeisten Menschen wollen in Frieden und Freiheit miteinander leben. Wir dürfen dem Hass und der Gewalt nicht den Sieg überlassen, bloß weil einige der Mächtigen ihr Ego nicht im Griff haben und dafür über Leichen gehen.

Was raten Sie Menschen, die in der Gemeinde nachfragen und helfen wollen?

Poggel: Zur konkreten Hilfe weisen wir auf die Möglichkeit von Spenden an Hilfsorganisationen wie Caritas International hin. Sie sind vor Ort schon lange aktiv. Dies wird sicherlich in den nächsten Tagen noch zunehmen. Auch der Einsatz für Menschen, die aus Kriegsgebieten zu uns geflüchtet sind, ist schon seit langem eine sehr konkrete Hilfe, die gemeinsam mit vielen anderen auch von Kirchengemeinden mitgetragen wird.

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