Bensheim. „Auf einmal verstand ich, dass ich mich glücklich schätzen konnte, Ladinerin zu sein“, singt Marlene Schuen, während sie auf einer Trommel den Takt für die Band Ganes vorgibt. Ihre Worte versteht im Publikum kaum jemand. Sie singt sie nicht auf Deutsch, sondern auf ihrer Muttersprache Ladinisch: „te n iade ái capí che da ester ladina podôi me sintí bëgn dër ligherzina“. Eingängige Pop-Melodien werden bei Ganes mit Geigen und traditionellem Jodeln vermischt und neu interpretiert. Dass man den Text nicht verstehen kann, ist dabei schnell vergessen.
Am Donnerstagabend ist die Band zum ersten Mal im Bensheimer Parktheater mit ihrem Programm „Vives!“ aufgetreten. Ganes, das sind die Schwestern Marlene und Elisabeth Schuen, die seit mehr als 15 Jahren gemeinsam Musik machen. Sie stammen aus dem kleinen Bergdorf La Val in den Südtiroler Dolomiten. Ladinisch ist eine rätoromanische Sprache, die nur von rund 30.000 Menschen gesprochen wird. In Südtirol ist sie neben Italienisch und Deutsch eine der Amtssprachen. Ostfriesin Natalie Plöger am Kontrabass macht die Band seit 2018 komplett. Bei Live-Auftritten werden die Musikerinnen von Raffael Holzhauser an der Gitarre begleitet.
„Vives kommt von Leben. Wir sagen das, wenn wir anstoßen“, erklärt Marlene Schuen dem Publikum. Nach dem Trinkspruch hat die Band auch ihr aktuelles Album benannt. Darauf erzählen sie Geschichten ihres Heimatdorfs. Es geht um Traditionen und Mythen, aber auch ums Feiern und Zusammenkommen. Über eineinhalb Stunden begeistern Ganes im Parktheater – und wechseln so mühelos die Instrumente, dass man sich fragt, welches sie nicht beherrschen.
Die Band steht vor der Kulisse einer Holzstube und startet mit der schwungvollen Gitarrennummer „l‘ostí“ in den Abend. Viele Lieder von Ganes klingen nach Leichtigkeit. Rhythmische, eingängige Melodien, zu denen man eigentlich lieber in einer gemütlich-schummrigen Wirtschaft schunkeln möchte, als auf einem mit samt bezogenem Platz in der Reihe zu sitzen. Trotzdem schaffen es Ganes, dieses Gefühl des zwanglosen Beisammenseins mit Freunden hinunter ins Publikum zu bringen. Die Sängerinnen tanzen locker zur Musik, grinsen sich immer wieder vertraut zu. Nichts wirkt starr choreografiert.
In anderen, düsteren Momenten macht die Band dem Theatersaal alle Ehre, wenn ihre Performance selbst zu einem Schauspiel wird. Die Sängerinnen verkörpern Schreckgespenster und Hexen und bringen damit alte Mythen ihres Heimatdorfes auf die Bühnen der Gegenwart. Sie singen über die Geister in der „dlijia vedla“, der alten Kirche ihres Dorfes, die sich nachts am Friedhof treffen. Elisabeth Schuen entlockt ihrer Geige dabei Töne, die wie ein gespenstiges Kichern den Saal erfüllen. Die Stimme ihrer Schwester Marlene geht vom Singen in ein Sprechen, schließlich das Jodeln der betrunkenen Geister über. Immer wieder sorgen sie für eine mystische Atmosphäre, eröffnen mit ihrem eigenwilligen Klang ferne Welten. Auch der Bandname Ganes ist ladinisch und verweist auf die Sagen über magische Wasserfrauen.
Die Natur und das Leben in den Bergen spielt eine große Rolle in den Liedern von Ganes. „Aicia“, ladinisch für Liebkosung, ist ein sanftes Stück und beschreibt das Gefühl des ersten Sonnenstrahls auf der Haut: „Wie lange habe ich versucht, deine Hände auf mir zu spüren?“
Mit Ladinisch als Muttersprache aufzuwachsen, ist etwas Besonderes. Das merkten die Schwestern erstmals, als sie für den Geigenunterricht in die Stadt fuhren und sie dort niemand verstand. „Wir waren meist die einzigen Ladinerinnen in der Klasse“, sagt Marlene Schuen auf der Bühne. Häufig hätten sie Angst gehabt, etwas falsch auszusprechen. Heute sind sie stolz auf ihre Herkunft, feiern ladinische Tradition mit ihren Liedern und hoffen, die Sprache so am Leben erhalten zu können.
Im Parktheater in Bensheim werden sie dafür mit viel Applaus belohnt. Beim letzten Lied stehen die Besucher von ihren Stühlen auf, wippen mit den Sängerinnen zur Musik, singen das ein oder andere ladinische Wort mit. „Das hatte fast etwas Bezauberndes“, sagt eine Besucherin beim Rausgehen.
Noch bis November sind Ganes mit ihrem Programm in Deutschland und Österreich unterwegs.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-bensheimer-parktheater-theater-_arid,2330740.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html