Bensheim. Kommunalpolitische Liebe auf den ersten Blick war es nicht – und musste es letztlich nicht sein. Als sich die Fraktionen von CDU, SPD und FDP vor etwas mehr als einem Jahr zur ersten „Deutschland-Koalition“ in der Geschichte der Stadt (und der weiteren Umgebung) zusammenschlossen, war klar: Es wird kein Bündnis, das aus großer Zuneigung oder übergroßer inhaltlicher Schnittmenge entspringt.
Vielmehr ging es den Verantwortlichen darum, eine stabile und verlässliche Mehrheit in der Stadtverordnetenversammlung zu bilden, um eigene Themen zu sichern und die Handlungshoheit für Bensheim nicht zu verlieren. Dass es an der einen oder anderen Stelle manchmal knirschen würde, kalkulierten die Protagonisten von vorneherein ein. Kommt schließlich in den besten Familien vor.
Für ein Bündnis auf Dauer
Zwölf Monaten nach der Unterschrift unter die Koalitionsvereinbarungen zogen die Partner nun eine erste Bilanz, bei der es nicht nur um eine inhaltliche Beurteilung ging, sondern die Betonung ebenso auf einem guten zwischenmenschlichen Miteinander lag. „Wir sehen uns bestätigt mit der Zusammenarbeit, die wir eingegangen sind“, erklärte CDU-Fraktionschef Tobias Heinz. Man habe sich bewusst für ein Bündnis auf Dauer entschieden und gemeinsame Ziele für einen längeren Zeitraum verabredet. In den vergangenen Monaten sei deutlich geworden, dass „wir für etwas eintreten wollen und uns damit von anderen Fraktionen im Stadtparlament unterscheiden, die ihre Oppositionsrolle suchen und eher gegen Themen sind“.
Aus Sicht von Jürgen Kaltwasser (SPD) bildet der Koalitionsvertrag eine gute Grundlage für eine „sachorientierte, vertrauensvolle und kollegiale Zusammenarbeit“. Die Bedingungen vor einem Jahr seien alles andere als optimal gewesen, meinte der Fraktionschef mit einem Verweis auf einen fehlenden Haushalt und „mehrere Reißleinen“. Man habe zunächst mit dem Problem umgehen müssen, dass die Kommunalaufsicht sehr deutlich auf eine Konsolidierung der Finanzen gedrungen habe. „Wir konnten nicht aus dem Vollen schöpfen und mussten unpopuläre Maßnahmen beschließen.“ Kaltwasser spielte damit unter anderem auf die Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuern an.
Der ehemalige Lautertaler Bürgermeister sprach im „zwischenmenschlichen Bereich“ von einem vernünftigen Umgang. Es sei etwas zusammengewachsen. Dem schloss sich Thorsten Eschborn an. „Die Zusammenarbeit in der Koalition funktioniert. Wir haben keine Reibungspunkte. Das läuft alles prima“, urteilte der FDP-Fraktionsvorsitzende.
Für eine Stadt sei es praktikabler, eine sichere Mehrheit zu haben. Wechselnde Mehrheiten könnten größtenteils zu Lähmungen und nicht zu schnellen Entscheidungen führen, die man aber gebraucht habe. Er blicke zuversichtlich auf die nächsten vier Jahre.
Wichtig war es dem Trio zu betonen, dass man sich nicht „erdrücke“ im Alltagsgeschäft. Spiel- und Freiräume lasse man zu, damit jede Partei ihre Identität behalten könne. „Solange das nicht ausgenutzt wird, was aber bisher nicht der Fall war“, so Kaltwasser. Dass dennoch unterschiedliche Abstimmungsergebnisse, beispielsweise bei der neuen Stadtbuslinie (ein Lieblingsprojekt der SPD, das bei der FDP nicht auf die gleiche Begeisterung stieß) und dem Haushaltsplan für 2022, von den anderen Fraktionen als Steilvorlage für Kritik interpretiert wurden, bewertete die Dreier-Runde weit weniger aufgeregt.
„Beim Stadtbus sind wir nicht abgewichen. Wir wollten ein Jahr abwarten, gerade mit Blick auf Corona. Wir fanden den Beschluss zu schnell. Die Vorlage aus der Verwaltung wich vom eigentlichen Beschluss aus 2021 ab“, so Eschborn.
Newsletter "Guten Morgen Bergstraße"
Kein fester Block
Auch Tobias Heinz sah darin keinen Stresstest für den Zusammenhalt. Es sei normal, dass die Fraktionen jeweils ihre Eigenständigkeit behalten. Man habe aus den vergangenen Koalitionen Erfahrungen in das neue Bündnis einfließen lassen. „Wir sehen es so, dass eine Koalition kein fester Block ist, der immer gleichförmig vorgehen muss. Wir schauen schon, dass alle mitgehen können und Offenheit herrscht.“ Alles basiere auf Absprachen und der Suche nach gemeinsamen Lösungen. Da müsse sich keiner dem anderen unterordnen.
Die Vorgehensweise bestätigte auch FDP-Parteichef Jascha Hausmann. Bei drei so unterschiedlichen Parteien sei ein fester Block nicht möglich. „Mit dem Anspruch wären wir in den ersten Wochen schon gescheitert.“ Die Haushaltsberatungen seien dafür ein wichtiges Beispiel, die äußerst schwierig gewesen seien – weniger wegen der Koalition, sondern wegen dem, was man von der Verwaltung bekommen habe. „Für die FDP war das eine schwere Geschichte. Wir haben deshalb offen kommuniziert, dass wir uns den Haushalt als Koalition nicht zu eigen machen können. Das war nicht unser Haushalt, sondern der der Verwaltung.“
Daraus sei das sehr gute Konsolidierungsprogramm entstanden, „eine Arbeit der Koalition“. Das sei eine gute Grundlage für dieses Jahr gewesen. Für die Partner sei deutlich geworden, dass die FDP mit dem Etat Schmerzen gehabt habe – und letztlich auch nicht zustimmen konnte und wollte.
Ralph Stühling (SPD) attestierte der heutigen Kommunalpolitik andere Gestaltungsräume als zu seiner ersten Zeit im Stadtparlament in den 1980er Jahren. Die Stadtverordnetenversammlung sei bunter, es gebe mehr Vorschläge, mehr Anträge. Das sei eine ganz andere Situation als vor 30, 40 Jahren. Damals sei viel nach Schema F gelaufen. Die „alten Herren“ hätten halt ihre Linie durchgezogen. Heute sei alles lebendiger, wenn man das mitgestalten könnte, sei das doch besser.
Moderne Zusammenarbeit
Carmelo Torre sprach von einer „modernen Zusammenarbeit in einem solchen Bündnis“. In den Jahren zuvor sei dies doch anders gewesen. Das hänge stark von den Personen ab. „Wir erkennen hier sehr deutlich, dass die Personen in dem Bündnis miteinander können und die verantwortungsvollen Aufgaben für die Entwicklung von Bensheim zusammen lösen wollen“, bemerkte der im April gewählte CDU-Parteivorsitzende.
Eine gute Kommunikation habe oberste Priorität. Das führe zu guten Ergebnissen. Trotzdem habe jeder seine Spielräume. Nach außen könne man das nicht immer erkennen, aber intern passe es immer. „Die Probleme und Themen, die noch vor uns liegen, wären bei wechselnden Mehrheit nicht in den besten Händen“, ergänzte Jürgen Kaltwasser. Da sei Kontinuität gefragt. Ziele müssten langfristig verfolgt und umgesetzt werden. Eine Verwaltung brauche Verlässlichkeit, so die einhellige Meinung des Trios im Gespräch mit dieser Zeitung.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim_artikel,-bensheim-bensheimer-koalition-zieht-erste-zwischenbilanz-_arid,1972099.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.bergstraesser-anzeiger.de/orte/bensheim.html