Haushaltsplan

Bensheimer Haushalt mit Millionen-Defizit

Von 
Dirk Rosenberger
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Geldschein © Bernd Wüstneck/dpa

Bensheim. Der Finanzdezernent ist weg, aber mitgenommen nach Groß-Gerau hat Adil Oyan die Schulden, Verbindlichkeiten und Haushaltslöcher – leider aus Bensheimer Sicht – nicht. Wobei dieses Abschiedsgeschenk an seiner neuen Wirkungsstätte als Erster Kreisbeigeordneter vermutlich Sympathiepunkte gekostet hätte, vorsichtig formuliert.

Aber zurück zum Ernst der Lage: Bürgermeisterin Christine Klein, mittlerweile Herrin der Finanzen im Rathaus, präsentierte am Donnerstagabend in der Weststadthalle den Haushaltsplanentwurf für 2023. Wenig überraschend sieht die größte Stadt im Kreis die vielgerühmte Schwarze Null nur mit dem Fernglas.

Auf 7,9 Millionen Euro beläuft sich der Fehlbetrag im Ergebnishaushalt. Allerdings ist Bensheim flüssiger, als man auf den ersten Blick meinen könnte. Weil es Rückstellungen in Höhe von 10,7 Millionen Euro aus dem Jahr 2021 gibt, gilt der Etat auf dem Papier laut der Hessischen Gemeindeordnung als ausgeglichen. Weil man allerdings höchst selten zehn Millionen Euro zum Löcherstopfen herumliegen hat, bleibt die Finanzgestaltung eine Wanderung auf sehr schmalem Grat mit tiefen Abgründen zu beiden Seiten.

Es geht um die „großen Brocken“

Zumal die Herausforderungen und Aufgaben in Krisenzeiten keine Fehltritte dulden. Im Rathaus hat sich daher auf Veranlassung von Klein eine Arbeitsgruppe gegründet, die konkrete Vorschläge unterbreiten soll, wo und wie Einsparungen künftig möglich sind. „Dabei habe ich nicht die Frage im Blick, ob wir zwei oder drei Flaschen Wein verschenken. Es wird um die großen Brocken gehen“, betonte die Bürgermeisterin.

Das dürfte auch dringend notwendig sein, weil sie auf die eigentlich für 2023 eingepreisten Erhöhung von Grund- und Gewerbesteuer verzichten will. Das Geld sei in Krisenzeiten überall knapp. Deshalb sei es ihr wichtig, 2023 keine weiteren Belastungen durch die Anhebungen kommunaler Steuern hinzukommen zu lassen. Ihr sei bewusst, dass dies im Widerspruch zum beschlossenen Haushaltssicherungskonzept stehe. Als Bürgermeisterin sehe sie sich aber in der Verantwortung, die Bürgerinnen und Bürger in ihrer Existenz zu stärken.

Damit aber die Kommunalaufsicht nicht bei der Haushaltsgenehmigung dazwischengrätscht, muss die Stadt in den nächsten Jahren einen mindestens ausgeglichenen Etat vorweisen können. Das funktioniert (Stand jetzt) nur mit den vorgesehenen Steuererhöhungen ab 2024. Wird dies nicht umgesetzt, fehlen jedes Jahr zwei Millionen Euro, die an anderer Stelle nachhaltig eingespart werden müssten – womit man wieder bei der internen Arbeitsgruppe wäre. Wie deren Vorschläge aussehen, dürfte nicht nur die Kommunalpolitik interessieren. Für Christine Klein müssen kurz und mittelfristig konkrete Antworten auf zentrale Fragen gefunden werden. „Wie gelingt es uns, Bensheim auch in schwierigen Zeiten als die lebens- und liebenswerte Kultur- und Bildungsstadt zu erhalten, die sie heute ist? Wie gelingt es uns, bei aller gebotenen Fokussierung auf das Mögliche und Machbare, die zentralen Baustellen der Zukunftsgestaltung nicht links liegenzulassen?“

Ausbau des ÖPNV, Klimaschutz, Kinderbetreuung, Angebote für die Jugend, Katastrophenschutz oder die Gestaltung der Innenstadt nannte sie als bekannte (und zwangsläufig kostspielige) Themen. Dies alles stehe unter dem Vorbehalt geordneter Finanzen. Besonders auf kommunaler Ebene müsse ein ausgeprägter Finanzrealismus walten.

Mehrfach verdeutlichte die Bürgermeisterin in ihrer Rede, dass sie gemeinsam mit den Stadtverordneten die Aufgaben angehen wolle. Zusammen solle man unter schwierigen Bedingungen das Bestmögliche für Bensheim und seine Bürger erreichen.

Damit man in Zukunft das Notwendige finanzieren und darüber hinaus den einen oder anderen Wunsch erfüllen kann, „sind weitere schmerzhafte Beschlüsse notwendig“. Die „eierlegende Wollmilchsau“ werde man sicher nicht finden, so Klein. Heißt in der Praxis aus ihrer Sicht: Wenn ein Wunsch erfüllt wird, müssen an einer anderen Stelle Abstriche gemacht werden.

Gut gewirtschaftet

In ihrer Ansprache erinnerte sie auch daran, dass in der Vergangenheit unter Dezernent Adil Oyan ordentlich gewirtschaftet wurde und harte Beschlüsse zur Konsolidierung gefasst worden seien. Dies habe erst ermöglicht, die Rücklagen zu bilden, von denen man im nächsten Jahr profitiert. So müssen 2023 beispielsweise keine neuen Investitionskredite aufgenommen werden. Schulden können in Höhe von knapp 4,3 Millionen Euro abgebaut werden. Für Bensheim eine rare Ausnahme. Die geplanten Investitionen können quasi vom Festgeldkonto, um Anleihen beim FC Bayern München zu nehmen, bestritten werden.

Die Verwaltungschefin verteidigte außerdem die steigenden Personalkosten und von ihr gewünschten Neueinstellungen. Wo gute Arbeit geleistet werde, brauche man das nötige Personal. Auf Magistrat und Verwaltung kämen eine Vielzahl von Aufgaben zu, die mit hoher Qualität zu bearbeiten seien. „Dies alles mit einer hauptamtlichen Stelle weniger zu bewältigen, ist nicht zu leisten.“

Ohnehin dürfe man nicht das Heute gegen das Morgen und das eindeutig Notwendige gegen das vermeintlich „bloß Wünschenswerte“ ausspielen. Viel eher brauche es eine verantwortungsvolle Balance zwischen diesen Ebenen. Ihr sei das gemeinsame Ringen um die beste Lösung für Bensheim wichtig. „Es gibt keine Denkverbote. Die unterschiedlichen Sichtweisen der Fraktionen sollen so gut wie irgend möglich berücksichtigt werden. Jeder Vorschlag kann helfen und ist es Wert, diskutiert zu werden“, konstatierte die Verwaltungschefin.

Sartre, Weber und Brecht

27 Minuten dauerte ihre erste Haushaltsrede, die angereichert war mit Zitaten von Sartre, Max Weber und aus Brechts Dreigroschenoper. Wahrscheinlich kam dabei die universell anwendbare Aussage des französischen Philosophen dem aktuellen Geschehen am nächsten: „Vielleicht gibt es schönere Zeiten, aber diese ist die unsere!“

In den nächsten Wochen werden die Fraktionen nun ausgiebig Gelegenheit haben, das Zahlenwerk einzuordnen, zu ändern und zu kommentieren. Wobei über allem die Frage stehen wird, wie man jährlich zwei Millionen Euro strukturell einsparen möchte, um Steuererhöhungen zu umgehen.

Hinzu kommt eine leichte Ungewissheit, ob das Defizit von 7,9 Millionen Euro das Ende der tiefroten Fahnenstange darstellt. Schließlich plant die Bürgermeisterin optimistisch mit 52 Millionen Euro an Gewerbesteuereinnahmen. Und ob das in der Steuerschätzung der Bundesregierung für 2023 prognostizierte robuste Wachstum tatsächlich eintrifft, wird bereits vom Städte- und Gemeindebund bezweifelt.

Haushaltsplanentwurf: Die Eckdaten für 2023

Der Ergebnishaushalt weist im ordentlichen Ergebnis ein Minus von 7,922 Millionen Euro auf. Das Jahresergebnis beläuft sich auf 7,955 Millionen Euro – mit einem Minus davor. Die Einnahmen summieren sich auf 121,1 Millionen Euro, die Ausgaben liegen bei 129 Millionen.

Der Ansatz für die Gewerbesteuer liegt bei 52 Millionen Euro, im vergangenen Jahr hatte man bei der Einbringung des Etats noch mit 48,3 Millionen Euro gerechnet. Bei der Grundsteuer B rechnet man mit Einnahmen von zehn Millionen Euro.

Die Bürgermeisterin will weder Grund- und noch Gewerbesteuer erneut anheben. Im Haushaltssicherungskonzept war ursprünglich eine Erhöhung des Hebesatzes für 2023 eingeplant – bei der Grundsteuer B von 620 auf 640 Prozent, bei der Gewerbesteuer von 390 auf 395.

Auf der Ausgabenseite ist eine zentrale Position der Verlustausgleich für den Eigenbetrieb Kinderbetreuung. Dieser steigt auf 15,8 Millionen Euro. Der Eigenbetrieb Stadtkultur muss mit 2,8 Millionen Euro bezuschusst werden.

Richtig ins Geld gehen traditionell die Umlagen, die von der Stadt hauptsächlich an den Kreis zu zahlen sind. Die Kreisumlage schlägt mit 27,5 Millionen Euro (in diesem Jahr geplant: 25,78 Millionen) auf. Die Schulumlage beträgt 17,9 Millionen Euro (2022: 17,3 Millionen), die Gewerbesteuerumlage wird mit 4,7 Millionen Euro angegeben, plus 2,9 Millionen Euro Heimatumlage.

Die Sach- und Dienstleistungen erhöhen sich massiv von 25,4 auf 30,3 Millionen Euro. In diesem Bereich machen sich unter anderem gestiegene Energiekosten bemerkbar. Allein die Stromkosten steigen von 691 600 auf 1,06 Millionen Euro.

Aber auch an den Zweckverband KMB muss mehr gezahlt werden. Darüber hinaus schlägt die Instandhaltung von Gebäuden gravierend durch – von 273 500 geht es rauf auf 1,3 Millionen Euro.

Die Personalkosten sind ebenfalls jedes Jahr ein Faktor. Im Entwurf sind sie mit 14,3 Millionen Euro ausgewiesen, eine Million mehr als in diesem Jahr.

Der Schuldenstand der Stadt (ohne Beteiligungen und Eigenbetriebe) beträgt zum 1. Januar 58,6 Millionen Euro, bis zum Jahresende wird er laut Prognose der Stadt auf 54,3 Millionen gesunken sein. Rechnet man die Beteiligungen dazu, kommt man auf einen Schuldenstand von mehr als 136 Millionen Euro zu Ende 2023.

Der Rahmen für die Liquiditätskredite (die früher mal Kassenkredite hießen) liegt erstmals bei Null. Das klingt gut, heißt aber auch, dass die Stadt nicht kurzfristt handeln kann, wenn man – locker formuliert – das Girokonto überzieht. Der Höchststand der Liquiditätskredite im Jahr 2020 mit 50 Millionen Euro war der Pandemie geschuldet.

Kredite zur Finanzierung von Investitionen müssen nach aktuellem Stand im nächsten Jahr nicht aufgenommen werden. Weil die Stadt ausreichend flüssig ist, können die Ausgaben aus eigener Kraft gestemmt werden.

Eine Netto-Neuverschuldung gibt es 2023 nicht, da mehr Kredite getilgt als neue aufgenommen werden.

Im Finanzhaushalt, mit einem Saldo von sechs Millionen Euro im Minus ebenfalls nicht ausgeglichen, sind vor allem Investitionen in die Infrastruktur vorgesehen – für etwa 12,5 Millionen Euro. Das Geld fließt unter anderem in die Erneuerung der Saarstraße, den Umbau der Alten Schule in Hochstädten, die Sanierung der Kunstrasenplätze im Weiherhausstadion, den Kauf von Feuerwehrfahrzeugen oder den barrierefreien Ausbau der Bushaltestellen. dr

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