Bensheim. Mit bedächtigem Schritt tritt ein Löwe in die Arena. Stumm lässt er seinen Blick schweifen, schüttelt seine Mähne, streckt die Glieder. Dann folgt ein Tiger. Aus seinen schwarzen Pupillen und den bernsteinfarbenen Augen ist ein entschlossener Blick zu vernehmen. Wenige Sekunden später kommen zwei Leoparden: Der Kampf der Raubkatzen ist eröffnet.
So beginnt die Ballade „Der Handschuh“ von Friedrich Schiller aus dem Jahr 1797. Sie zählt zu den bekanntesten Werken des in Marbach am Neckar geborenen Dichters. Im Parktheater Bensheim sorgte sie am Mittwochabend für heitere Momente. Schließlich ist da noch König Franz, der mit zittrigen Händen und geistig nicht mehr ganz auf der Höhe voller Vorfreude auf den Raubtierkampf blickt. Das zeichnet die Interpretation von Schauspieler Sebastian Kautz und Cellist Gero John des Theaters „Bühne Cipolla“ aus. Sie verleihen den Werken Schillers einen modernen und humorvollen Schliff, untermalen die Sprache zudem mit dramatischer Musik und lassen die beteiligten Figuren in Puppen aufleben.
Humor und anspruchsvolle Sprache
Der besagte König Franz zum Beispiel wurde von Puppenbauerin Melanie Kuhl mit Latexmilch in eine Form gegossen, das Gesicht der Puppe wirkt dadurch weich und knautschig, der König so wie liebenswerter Großvater, den die Zeit ein wenig überholt hat. Damit könnte die Puppe auch aus einem Stück von Loriot stammen. Humor, verbunden mit einer anspruchsvollen Sprache prägen die Inszenierung von Kautz und John.
Dazu kommt, dass das Duo mit dem Projekt „Wie wenn Wasser mit Feuer sich mengt“ in diesen rund 80 Minuten nicht nur unterhält, sondern zugleich Geschichten über das Leben erzählt. Schließlich geht die Ballade noch weiter. Fräulein Kunigunde lässt ihren Handschuh in die Arena fallen und fordert von Ritter Delorges einen Liebesbeweis: Er soll hinunter zu den Raubkatzen steigen, sein Leben riskieren und ihr den Handschuh bringen. Womit Schillers Ballade vor allem eine Geschichte über Missbrauch und falsch verstandene Liebe ist.
Ihre Wirkung entfalten die Interpretationen von Kautz und John nicht zuletzt durch die starke Bildsprache. Zu Beginn der Ballade holt Schauspieler Kautz ein etwa ein Meter langes, quadratische Gemälde hervor, auf dem das Gesicht des Tigers gezeichnet ist. Die weißen Schnurrhaare an der Schnauze, die schwarzen, zackigen Streifen auf dem orangenen Fell, der furchteinflößende Blick: Das alles lässt die Spannung im Publikum steigen. Dazu kommt, dass die fachkundigen und erfahrenen Zuschauer tatsächlich auf Stühlen auf der Bühne sitzen, der eigentliche Saal liegt hinter einer Wand verborgen und ist dieses Mal nicht Teil des Auftritts. Bisweilen kommt Kautz ganz nah an das Publikum, so auch zur Ballade „Kassandra“. Nur ein paar Zentimeter trennen seine Puppe von dem Gesicht einer Zuschauerin.
Charmante und humorvolle Momente auf der Bühne
Auf wenigen Quadratmetern streift Kautz gemeinsam mit Cellisten John so durch die Werke Schillers. Das Duo stellt zum Beispiel den Mord an dem griechischen Dichter Ibykus nach. Schwer getroffen sinkt Kautz nieder, nur beobachtet von einem Schwarm Kraniche, der später noch wichtig werden soll. Die düstere Musik des Cellos, selbst komponiert von John, legt sich wie ein Schleier über die Bühne. Gefährlich wird es auch in der Ballade „Der Taucher“, die das Publikum in die Tiefen des Meeres führt – und zugleich in die Zwanzigerjahre des 21. Jahrhunderts. Warum es nicht „Taucherin“ heißt, will die eine Puppe wissen, die mit ihrem Moderationspartner, einer zweiten Puppe, die Balladen für die Zuschauer ankündigt – und so immer wieder für charmante wie humorvolle Momente sorgt.
Schiller sei eben ein „Kind seiner Zeit“ gewesen, erzählt Kautz nach dem Auftritt. „In den Balladen haben die Frauen nicht viel zu melden, meistens sind es Könige“, sagt er. Doch für die größte Aufmerksamkeit sorgen an diesem Abend die Puppen. Nach dem Ende der Balladen bleiben viele Zuschauer an den aufgereihten Werken von Schneiderin Kuhl stehen und bestaunen die bunten wie detaillierten Formen. Der besagte König Franz hat zum Beispiel nicht nur ein weiches, rundliches Gesicht, sondern auch große Glubschaugen und zotteliges, weißes Haar.
Hat Kautz denn eine Lieblingspuppe? „Das darf ich natürlich nicht verraten, damit die anderen nicht beleidigt sind“, sagt der Schauspieler mit einem Augenzwinkern. „Aber Franz ist ganz weit vorne.“ Noch enger ist seine Bindung zu seinem Vierbeiner. Denn die Werke Schillers hat der Schauspieler vor allem beim Gassigehen auswendig gelernt. „Mein Hund kann die Balladen nicht mehr hören“, sagt Kautz und lacht. Entstanden ist die Inszenierung während der Coronapandemie als Filmprojekt, zu einer Zeit, in der keine Auftritte möglich waren. Dann entschlossen sich die beiden Künstler, ihr Projekt doch noch auf die Bühne zu bringen.
Schließlich ist die Nahbarkeit, die sie mit ihrem Auftritt kreieren, wohl ihr größter Verdienst. „Wenn ich so etwas in der Schule gehabt hätte, dann hätte ich Schiller begeistert gelernt“, sagt ein älterer Zuschauer freudig nach dem Auftritt zu Kautz. Für manche waren Balladen wie „Die Bürgschaft“ und „Der Ring des Polykrates“ daher wohl vor allem ein inspirierendes Erlebnis. Die Werke Schillers, das wird in diesen Minuten vielleicht deutlicher als je zu Schulzeiten, sind auch mehr als 200 Jahre nach ihrem Entstehen immer noch Geschichten, die Emotionen auslösen. Geschichten über das wahre Leben.
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