Bensheim. Mit ihrer Aufführung der h-moll-Messe BWV 232 haben die von Christian Bonath geleiteten Wormser Originalklang-Ensembles Paulinum und Pulchra musica für ein besonderes Highlight der 19. Bachtage im Kreis Bergstraße gesorgt. Leider war die Stadtkirche Sankt Georg an diesem gewittrigen und verregneten Samstagabend mit nur gut 100 Zuhörern eher mäßig besucht. Bonaths phänomenale Einstudierung von Bachs ultimativem Gipfelwerk der Gattung (Endfassung 1748/49) hätte aber unbedingt ein volles Gotteshaus verdient gehabt. Gastgeber Gregor Knop war an der Truhenorgel Mitglied der Continuo-Gruppe des Orchesters, das genau wie der Chor in historisch legitimierter Kammerbesetzung antrat.
Mit seinen 2009/10 gegründeten Ensembles konnte sich der gebürtige Wormser Bonath (*1979) vor allem als Wiederentdecker barocker Raritäten nachhaltig profilieren (über 30 Erstaufführungen und mehrere SWR-Aufnahmen). Erinnert sei an ein Lorscher Konzert vor einigen Jahren, bei dem die Wormser vergessene Werke des Darmstädter Hofkapellmeisters und Bach-Rivalen Christoph Graupner vorstellten. Bonaths Erfolgsweg geht weiter: Seit 2022 wirkt er als Domkapellmeister und Leiter der Kapellknaben an der Dresdner Kathedrale Sanctissimae Trinitatis. Fortsetzen wird der leidenschaftliche Mittvierziger glücklicherweise auch seine überaus ertragreiche Arbeit als Dirigent von Paulinum und Pulchra musica, die mit der Bensheimer Darbietung der h-Moll-Messe fraglos einen neuen Höhepunkt erreicht hat.
Beste Beispiele lieferte besonders der durch Bachs komplexe Polyphonie extrem geforderte Chor, aus dessen historisch korrekter Kammerbesetzung (24 Mitglieder) sich nach barocker Tradition auch die Solisten rekrutierten. Intonationspräzision, Klangbalance, Artikulationskraft, Phrasierungseleganz, Ausdrucksemphase: Hier stimmte einfach alles. Gerade solch dichte Sätze wie „Cum Sancto Spiritu“, „Credo in unum Deum“, „Et resurrexit“ oder „Confiteor“ schienen schwerlich transparenter und mitreißender denkbar als in Bonaths tempomäßig genauestens ausdifferenzierter Lesart. Dazu gesellte sich etwa in „Et incarnatus est“ und „Crucifixus“ ein bei größeren Besetzungen kaum realisierbares Maß an Verinnerlichung und Verfeinerung (Dynamik!), das diese äußerlich relativ schlichten Sätze zu tief berührenden Herzstücken der Aufführung machte.
Stellvertretend für das ähnlich hohe Niveau des enorm farbdelikat spielenden Orchesters standen mit ihren beseelten Soli Katka Stursova (1. Violine), Shogo Fujii (Oboe), Sachiko Fujii (Flöte), Georg Köhler (Horn) sowie Michael Bühler, Peter Hasel und Ute Huebner als herausragend geschmackvolles Trompetentrio. Ausnahmslos stark besetzt waren die vokalsolistischen Parts: drei famos bewegliche Sopranistinnen (Sandra Ehses, Friderike Martens, Lena Sefrin), zwei ebenso kultivierte Bassbaritone (Florian Hartmann, Christos Pelekanos), dazu der reizvoll hell timbrierte Tenor Klemens Mölkner und der vom Publikum zu Recht besonders gefeierte Countertenor Jan Jerlitschka (*1998). Seine superb warm und rund klingenden Alt-Arien („Laudamus te“, „Qui sedes“ sowie obenan „Agnus Dei“) ließen in der Tat einen kommenden Star der Alte-Musik-Szene erahnen.
Fazit nach 105 reich erfüllten Bach-Minuten: Christian Bonath und seine mit langen Ovationen bedachten Musiker haben mit dieser h-Moll-Messe einen echten interpretatorischen Coup gelandet. Weitere Gastspiele der Wormser Barockspezialisten sind also dringend erwünscht. Dann dürfen gern auch einige in Bensheim bisher noch nie erklungene Werke von Christoph Graupner zum Programm gehören.
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