Auerbach. Auch das diesjährige Orgelkonzert in der Auerbacher Bergkirche präsentierte instrumentale Vielfalt und ein breites kompositorisches Spektrum, das die mannigfaltigen Klangfarben des Instruments hervorragend zum Ausdruck brachte. Eva Dreizler und Jens Braun widmeten sich am Samstag vor rund 70 Zuhörern nicht nur manchem Klassiker, sondern auch einigen Nischen der Musikgeschichte.
Die Spendeneinnahmen des Konzerts, für das kein Eintritt erhoben wurde, fließen erneut in die anstehende Generalüberholung der Kirchenorgel, deren Biografie auf das Jahr 1788 zurückgeht. Damals stiftete der spätere Großherzog Ludewig I. eine neue Orgel, deren Gehäuse noch heute erhalten ist. 1980 wurde dann ein neues Spielwerk in den Orgelprospekt eingebaut.
Höheres Verständnis der Stücke
Das über einstündige Programm vereinte Werke aus vier Jahrhunderten. Die Organisten ergänzten ihre Vorträge durch informative Einführungen zwischen den einzelnen Kompositionen und boten dem Publikum auf diese Weise ein höheres Verständnis der Stücke und ihrer musikhistorischen Bedeutung.
Dreizlers wohlklingender Ruf als versierte Bach-Kennerin offenbarte sich diesmal in dem Choralvorspiel „Wer nur den lieben Gott lässt walten“, das aus einer Kantate stammt und den strahlkräftigen Klang der Auerbacher Orgel eindrucksvoll zur Geltung brachte. Bachs trostreiches Lied in seiner kunsthaften Kleidung und dichten Struktur kam in der für eine Kirche fast schon intimen Akustik der Bergkirche wunderbar majestätisch zum Ausdruck.
Reif und erhaben erklangen auch die weiteren Stücke im ersten Teil des Konzerts, der für Eva Dreizler reserviert war. Die „Suite du deuxième ton“ aus dem „Livre d’Orgue“ von Louis-Nicolas Clérambault ist die bekanntere der beiden, die der Komponist gleichsam als Musterbeispiel des französischen Orgelbarocks geschaffen hat: Dreizler präsentierte die betont artikulierte Schärfe und kraftvolle Klarheit des Werks, das kammermusikalisch duftig und hell, dann wieder eher zart und anmutig den Hörer umarmt und in einer elegischen Stimmung mit dramatischen Passagen Richtung Finale geht.
Zärtlicher Ausdruck und exquisite Leidenschaftlichkeit
Mit den ersten drei Sätzen aus der Orgelsonate Nr. 4 in B-Dur von Felix Mendelssohn-Bartholdy erlebte das Publikum in Auerbach Ausschnitte aus dem Kernrepertoire der Orgelmusik schlechthin.
Das improvisiert wirkende „Allegro con brio“, die Verdichtung im Mittelteil und das feierliche „Allegretto“ gelangen brillant und betörten die Ohren der Zuhörer. Auch wenn Felix Mendelssohn-Bartholdy heute hauptsächlich als Komponist brillanter Orchester- und Kammermusik sowie sensibel feingliedriger Klavierlieder gefeiert wird, war er zu seiner Zeit ein ebenso geschätzter Orgelvirtuose. Vor allem in Großbritannien begeisterte sein Spiel regelmäßig Publikum und Kritiker. Aber auch in Auerbach wurden der zärtliche Ausdruck und die exquisite Leidenschaftlichkeit seiner Klangsprache deutlich.
Danach übernahm Jens Braun, der sich diesmal auf fünf Komponistinnen konzentrierte. Für den Mediziner ist das Orgelspiel eine mit hohem Anspruch verbundene Leidenschaft, die am Samstag in einem spannenden Kurzrepertoire ihren Ausdruck fand. Anna Bon, 1738 in Bologna geboren, galt als italienisches Wunderkind. Die Sonate op. 2 Nr. VI dieser frühklassischen Meisterin, deren Todestag nach wie vor unbekannt ist, harmonierte in ihrer zarten Architektur wunderbar mit den Klangfarben der Auerbacher Kirchenorgel.
Auch Fanny Hensel – geborene Mendelssohn – galt als stille Kämpferin. Dennoch komponiert sie in 41 Jahren mehr als 460 Werke. Darunter das als Fragment erhaltene Präludium G-Dur für Orgel, das im Zusammenhang mit ihrer Hochzeit steht und in seiner Anlage auf einen kontrapunktisch ausgeführten Formtypus des Präludiums verweist. Der Formwillen der damals jungen Komponistin wurde in Brauns Darbietung ebenso deutlich wie der gesangshafte Stil in der „Cantilène mélancholique“ von Margaretha Christina de Jong.
Die niederländische Komponistin und Organistin kam im Konzert gleich zwei Mal vor: auch „Toccatina“ offenbarte den romantischen Stil der Musikerin, deren zeitgenössische Charakterstücke mit viel Witz und Ideenreichtum ausgestattet sind. Ein schöner Kontrast zu den Klassikern des Auerbacher Konzertmenüs, das vom Publikum mit großem Beifall kommentiert wurde. Als weitere Komponistinnen hatte sich Jens Braun die ungarische Musikpädagogin Erzsébet Szőnyi (geboren 1924) und die Französin Lucie Robert-Diessel ausgesucht, die 2019 in Paris verstorben ist.
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