Konzert

Aerial: Im Pipapo geht es leichtfüßig durch die Welt des Jazz

Das Duo „Aerial“ spielte am Sonntag im Pipapo-Kellertheater in Bensheim Melodien, die wie Hymnen wirken

Von 
Marvin Zubrod
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Das Duo „Aerial“ mit Saxofonistin Alexandra Lehmler und Vibraphonist Franck Tortiller beim Auftritt im Pipapo-Theater. © Thomas Neu

Bensheim. Ganz sanft schlägt Franck Tortiller mit den vier länglichen und dünnen Schlägeln auf das Vibraphon, ein aus Metallplatten bestehendes Schlaginstrument. Alexandra Lehmler bläst derweil gefühlvoll ins Sopransaxofon und geht dann leicht in die Hocke, während sie die hohen Töne zu „Les longues patiences“ spielt. Immer wieder schließt die Jazzmusikerin während des Liedes die Augen, ganz vertieft ist sie in der Musik.

So geht es auch vielen Gästen im Publikum während des rund zwei Stunden langen Konzertes am Sonntagabend. Mal wieder hat das Pipapo-Kellertheater in Zusammenarbeit mit dem Förderkreis Kleinkunst und Kultur zur bekannten Jazzkeller-Konzertreihe eingeladen – und mal wieder sind großartige Künstler dem guten Ruf der Bensheimer Kulturstätte gefolgt. Der Franzose Frank Tortiller ist in der Region Burgund aufgewachsen in der Nähe der Bensheimer Partnerstadt Beaune und hat später das renommierte nationale Jazzorchester geleitet. Für den Auftritt ist Tortiller extra aus Paris an die Bergstraße gereist. Alexandra Lehmler hat in Mannheim, Stuttgart und Paris studiert und in ihrer Karriere schon viele Auszeichnungen erhalten, darunter den „Neuen Deutschen Jazzpreis für Komposition“. Für sie ist es bereits der zweite Auftritt im Pipapo. Gemeinsam bilden Lehmler und Tortiller das Duo „Aerial“, das vor zwei Jahren das gleichnamige Album veröffentlicht hat und nun mit diesen Kompositionen im Jazzkeller auftritt.

Schon allein die Wahl der Instrumente ist außergewöhnlich. Lehmler spielt Sopran-, Alt- und Baritonsaxofon und changiert so mühelos zwischen lang haltenden hohen Tönen sowie kürzeren tiefen Tönen. Tortiller beherrscht mit dem Vibraphon zudem ein Instrument, das es seit vielen Jahren nicht mehr im Pipapo gegeben hat. Wie ein Schleier legen sich die warmen und weichen Töne um das Kellergewölbe und hüllen die kleinste Bühne Bensheims ganz mit Musik ein. Gemeinsam sorgen die beiden Künstler damit immer wieder für ein sanftes Klangbett, in das sich das Publikum fallen lassen kann. Fast vertraut wirken die Melodien. Was zum einen wohl daran liegt, dass das Duo bekannte Kompositionen wie „Sì. Mi chiamano Mimì“ aus der Oper La Bohéme von Giacomo Puccini interpretiert, aber noch viel wichtiger: Die Melodien sind so weich und rund, dass sie zum Genießen einladen, während der Grauburgunder auf der Zunge prickelt.

Da ist zum Beispiel das Lied „Frieda“, das wohl nicht nur zu den schönsten Kompositionen des Abends gehört, sondern zugleich zu den emotionalsten. Schließlich hat Lehmler das Lied ihrer Großmutter gewidmet, die ihre Enkelin in jungen Jahren immer bei ihrer Passion unterstützt und ihr Saxofons finanziert hat. Mit einem dieser Instrumente steht Lehmler nun auf der Bühne. Es ist ein Sopransaxofon, dem sie in den folgenden Minuten sanfte, gleichmäßige und langgezogene Töne entlockt. Nur garniert mit den leisen Klängen von Tortiller am Vibraphon, die der Franzose im Hintergrund jedoch erstaunlich schnell spielt. Fast so schnell, dass es wirkt, als würde er dem Lied Flügel zum Abheben verleihen, so leichtfüßig ist diese Komposition. Auch so kann sich Jazzmusik an diesem Abend anfühlen: beinahe schwerelos.

Überhaupt scheint der Jazz so sanft wie selten. Während andere virtuose Jazz-Saxofonisten wie die Niederländerin Candy Dulfer in Richtung Funk und fetzige Töne abdriften, bleibt Lehmler mit Eigenkompositionen wie „No 1“ ganz in der Welt der ruhigen Klänge. Auch Tortiller steuert einiges zu diesem Abend bei, zum Beispiel seine Kompositionen „L‘innocence du cliché“, „Un vendredi soir“ und „Plus tard“. Sie wirken bisweilen noch ruhiger als Lieder wie „Frieda“. Doch was fast alle Werke eint: Sie geben beiden Künstlern Raum für eigene Soli, um dann wenige Sekunden später wieder zu einem gemeinsamen Klangkunstwerk zu verschmelzen.

Das ist zum Beispiel das Lied „Witchi Tai To“ des US-amerikanischen Flötisten und Saxofonisten Jim Pepper, das wie eine Hymne klingt. Lehmler bläst dazu gegen Ende des Konzertes kräftig und zugleich gefühlvoll in ihr Sopransaxofon, während Tortiller dieses Mal kraftvoller auf die Metallplatten des Vibraphons schlägt. Gemeinsam entsteht so eine ganz eigene Version des Jazzstandards, der zugleich der letzte Song des Programms ist. Dass es in diesen zwei Stunden keinen Gesang gibt, stört nicht. Denn ein Konzert mit Lehmler und Tortiller, das wird am Sonntag deutlich, ist vor allem: ein Abend ganz allein für die Musik.

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