Bensheim. „Liebe Sophie“. So beginnen die meisten der mehr als 200, sehr persönlich gehaltenen Briefe, die Schüler der Geschwister-Scholl-Schule (GSS) anlässlich des 100. Geburtstages der Widerstandskämpferin gegen das Nazi-Regime an die Namensgeberin ihrer Schule, Sophie Scholl, gerichtet haben.
Knapp 100 der 200 Briefe von Jugendlichen aller Schulzweige haben schließlich an dem Wettbewerb „100 Jahre Sophie Scholl in Schülerbriefen“ teilgenommen, den die GSS in Kooperation mit der Deutschen Post anlässlich des besonderen Jubiläums initiiert hat.
Die besten 21 Briefe wurden von einer vierköpfigen Jury ausgewählt und jetzt im Forum der Schule unter Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln prämiert. Schulleiter Thomas Stricker, Wettbewerbskoordinator Patrick Borchert und Gerhild Hoppe-Renner, Leiterin des sprachlich-literarisch-künstlerischen Fachbereichs, überreichten Urkunden und Gutscheine. „Alle Teilnehmer des Wettbewerbs sind heute Sieger“, betonte Stricker und zollte ihnen großen Respekt, denn „sie haben sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Briefe schreiben ist oftmals die schwierigste Form der Kommunikation.“
Demokratisches Miteinander
Für die Geschwister-Scholl-Schule sei der 100. Geburtstag ein „besonderer Anlass“, fuhr der Schulleiter fort. Mit dem Briefprojekt wolle man an die Person Sophie Scholl erinnern, die für Werte wie ein demokratisches Miteinander, Zivilcourage und gegenseitigen Respekt stehe. Gleichzeitig wolle man den Schülern ihr Vermächtnis nahebringen. Stricker erinnerte daran, dass die von den Nazis ermordete Widerstandskämpferin selbst gern und oft Briefe geschrieben habe, um in Kontakt mit Familie und Freunden zu bleiben.
Vor allem im Deutsch-, Geschichts- und Politikunterricht haben sich zu Beginn des Jahres SchülerInnen mit Sophie Scholl, ihrem Leben und Werdegang vom BDM-Mädchen zur Widerstandskämpferin auseinandergesetzt und sich die persönliche Frage gestellt, wie sie selbst in der gleichen Situation gehandelt hätten: „Auch heute geht es darum, seine Stimme zu erheben und etwas gegen Rassismus, Ausgrenzung und Diskriminierung zu tun“, rief Patrick Borchert dazu auf, sich einzumischen und hinzusehen.
In den Augen der BriefschreiberInnen sei Sophie Scholl ein großes Vorbild, von deren Taten man lernen könne, aber die Beschäftigung und Auseinandersetzung mit ihr „ist nicht bloße Heldenverehrung“. So hätten viele der Briefeschreiber den Blick nicht allein auf die Vergangenheit gerichtet, sondern ihren Fokus auf Gegenwart und Zukunft gelegt, aktuelle Bezüge hergestellt, eigene Werte und Vorstellungen formuliert und sich gefragt, ob und wie sie sich gegen politische Missstände einzusetzen bereit sind.
Thematisiert wurden von den Schülern Meinungs- und Pressefreiheit in Europa, weltweite Kriege und Umweltkatastrophen und die daraus folgende Flüchtlingswelle, Kontakteinschränkungen durch das Coronavirus und die Querdenker-Demonstrationen. Als geradezu „unverschämt und respektlos“ wird von einigen Verfassern der Vergleich der Kontaktbeschränkungen und Einschränkungen der Grundrechte „zum Schutz der ganzen Menschheit“ mit der Situation während des Nationalsozialismus bezeichnet.
„Unser kleines, schulinternes Projekt hat bis hin zu Radiobeiträgen große Wellen über die Grenzen von Bensheim hinaus geschlagen“, freute sich der Wettbewerbskoordinator. So habe unter anderem der Kasseler Verein „Offen für Vielfalt und geschlossen gegen Ausgrenzung“ von der Aktion erfahren und fünf Briefeschreiber ausgezeichnet.
„Sophie Scholl würde die Briefe mit großer Freude lesen und sicher beantworten“, zeigte sich die Erste Stadträtin Nicole Rauber-Jung in ihrem Grußwort an die Teilnehmer und Preisträger des Projekts sicher. Sie sprach von einer „tollen Idee“, in Zeiten von Twitter und Facebook auf das Kommunikationsmittel des Briefeschreibens zurückzugreifen: „Sie haben die Aufgabe bravourös gelöst. Haben sie Mut und schreiben sie weiterhin.“
Friedhelm Schlitt, Regionaler Politikbeauftragter der Deutschen Post, erinnerte an den mit großer Leidenschaft geführten Kampf von Sophie Scholl gegen den Nationalsozialismus. „Solche Initiativen wie an der Bensheimer Schule für Zivilcourage und gegen die Gefährdung unserer Demokratie unterstützten wir gern.“ Die Partnerschaft zwischen GSS und Bundesunternehmen trug 2019 mit dem Projekt „Demokratie auf Briefmarke“, erste Früchte.
Die Preisträger
Die Preisträger der Briefaktion „100 Jahre Sophie Scholl in Schülerbriefen“ sind: 1. Plätze: Max Röder (6Rc), Mariana Costa und Zofia Seidler (9Ra), Sophie Suchy (9Ga), Lena Swienty (10Rb) und Berrin Asci (Q4); 2. Plätze: Lotte Endler (6Rd), Rahmen Abdul Butt (6Rb), Moritz Römer (9Rb), Emily Kirillow (9Rb), Linus Homberger (9Gb), Maximilian Streblau (10Rb) und Elina Farahmandi (Ea); 3. Plätze: Kevin Lenz (6Rb), Sebastian Pasche (9Ra) und Tabea Hrusik (8Gb), Arusha Afzal (9Ga), Liv Fischer (9Gb), Abdiwadud Abdirizak Bashir (10Ha), Kardelen Kadir (10Ha) und Hannah Gumb (Q2).
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