Familien Stadt sieht die Ganztagsbetreuung als „Verlustgeschäft“

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Es ist schon bezeichnend: Möchte man sich über die Bensheimer Demographie informieren, findet man auf der Webseite der Stadt Bensheim neben dem Demographiebericht 2019 unter den weiterführenden Links die Themen „Altersgerecht Wohnen und Leben” sowie „Demenz und Pflege”. Wen mag es da verwundern, dass die hiesige Stadtverordnetenversammlung in ihren Beschlüssen ähnlich geriatrisch vorgeht.

Wer Zeit und Muße hat – und hoffentlich keine Kinder – dem sei das Protokoll der Stadtverordnetenversammlung von Dezember 2023 wärmstens ans Herz gelegt. Da darf sich der Karnevalsverein über einen Zuschuss zu seinem neuen Vereinshaus freuen, der Segelfluggruppe sei ihre neue Segelflug-Elektrostartwinde gegönnt, das Winzerfest-Feuerwerk wird auch weiterhin bezuschusst und die Hundebesitzer dürfen sich über mehr Hundekotbeutel freuen. Leider erleichtern sich die lieben Kinderlein nicht direkt auf der Straße, sonst wäre der Zuschuss zum Windelcontainer analog zu den Hundebeuteln auch durchgewunken worden. Aber so bleiben Kinder nun mal das Privatvergnügen ihrer Eltern.

Muss man sich halt vorher überlegen, ob man sich den Nachwuchs und die viel größere Mülltonne leisten kann. Vor allem, wenn man gut durchkalkulieren muss, ob wirklich beide Elternteile arbeiten gehen können, denn die Betreuung der Kleinen im Grundschulalter ist offenbar nichts, womit sich die Stadt Bensheim gerne belasten möchte. So wurde beschlossen, dass das „Verlustgeschäft” Grundschulbetreuung „Pakt für den Ganztag“ aufgegeben und an einen anderen Träger ausgelagert wird. Natürlich keine Aufgabe, mit der sich die Stadt Bensheim selbst belasten möchte – die aufwändige Suche dürfen Schulträger und Schulen gerne selbst stemmen.

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Eltern fordern: Stadt soll nicht aus der Grundschulbetreuung aussteigen

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Von
Thomas Tritsch
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Die Suche läuft bereits und die Familien von 115 Kinder dürfen sich auf die Vorteile eines zukünftig privaten Trägers freuen: voraussichtlich höhere Kosten, schlechtere Bezahlung des Betreuungsteams und allem voran der Verlust eines wirklich gut eingespielten Teams, das bislang einen hervorragenden Job in der Betreuung der Kinder gemacht hat.

Der Frust aller Beteiligter ist bereits jetzt schon hoch, die ersten Kündigungen folgten, denn die Entscheidung verunsichert natürlich die Angestellten der Nachmittagsbetreuung. Und wir Eltern hängen in der Luft und wissen nicht, wie es mit der Betreuung nun weitergehen wird, ob ein gut funktionierendes System bald dem Spardruck privater Trägerschaft zum Opfer fällt und wir uns darauf einstellen dürfen, unsere Kinder demnächst nicht mehr in die Nachmittagsbetreuung, sondern in die Nachmitttags-Verwahranstalt zu schicken.

Bensheim setzt Prioritäten

Ein wenig würgt es einen dann schon, wenn man in der Zeitung liest, dass die Stadt Bensheim lieber einen neuen Kunstrasenplatz für 500 000 Euro im Sportpark West finanziert, was kostentechnisch dem Zuschuss für weitere zweieinhalb Jahre Nachmittagsbetreuung entspräche – oder mehr sogar, wenn man die bereits geplante Gebührenerhöhung ab August 2024 miteinberechnet.

Bensheim setzt damit seine Prioritäten. Wir sind uns aber sicher, dass die Eltern dieser Stadt dies bei der nächsten Kommunalwahl auch entsprechend berücksichtigen. Zu guter Letzt möchte ich – zur Erinnerung an gute Vorsätze – aus dem Demographiebericht der Stadt Bensheim zitieren: „Der Trend der alternden Gesellschaft wird durch eine anhaltend niedrige Geburtenrate weiterhin verschärft. Um potenziellen Eltern die Entscheidung für ein Kind zu erleichtern und Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, wurde ein entsprechendes Handlungsfeld definiert. Damit ist die Hoffnung einer steigenden Geburtenrate verbunden.”

So bestimmt nicht, liebes Bensheim, so ganz sicher nicht.

Julia Reifschneider

Markus Jäger

Bensheim