Um Dinge in ihrer Tiefe zu begreifen, hilft es meistens, einmal die Vogelperspektive einzunehmen. Sie von oben zu betrachten, die Angelegenheit losgelöst von der Emotion des Augenblicks auf ihren Kern zu verdichten. Wer im Februar dieses Jahres, das ist gerade einmal fünf Monate her, vorausgesagt hätte, dass sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft nach zwei EM-Vorrundenspielen mit zwei Siegen und 7:1 Toren bereits für das Achtelfinale qualifiziert hätte, wäre als notorischer Berufsoptimist ausgelacht worden.
Aber es ist die Realität. Bundestrainer Julian Nagelsmann hat innerhalb kurzer Zeit aus einem Trümmerhaufen, der den Ruf des deutschen Fußballs zu beschädigen drohte, eine funktionierende, widerstandsfähige Einheit geformt.
Dass es der immer noch sehr junge Coach dabei auch geschafft hat, die vorhandene Qualität in ein solches taktisches Korsett einzuhegen, dass die Einzelkönner zielgerichtet ihren Beitrag zum Erfolg des Ganzen einbringen können, ist eine große Trainerleistung. An der Aufgabe, die Weltklassestrategen Toni Kroos und Ilkay Gündogan auf dem Spielfeld so anzuordnen, dass sie das Mittelfeld nicht aus der Balance bringen, sind Joachim Löw und Hansi Flick gescheitert. Nagelsmann hat es geschafft.
Man muss jetzt nicht herumspinnen und schon vom nahenden Europameister-Titel fabulieren. Irgendwann kommen Frankreich, Spanien oder England, und dann werden die Karten auf ganz anderem Niveau als bei Gegner wie Ungarn und Schottland neu gemischt.
Aber die schlichtweg wundervolle Stimmung in Stuttgart beim 2:0 gegen Ungarn erinnerte erstmals wieder an die tollen DFB-Jahre rund um den WM-Triumph 2014. Und das ist in der tagesgeschäftigen Zeitrechnung des Fußballs schon verdammt lang her.
Diese Mannschaft hat die Nation wieder „angezündet“, wie es Toni Kroos formuliert hat. Nach etlichen schlimmen Niederschlägen bei den vergangenen Turnieren ist der Glaube zurück, dass das deutsche Team Großes vollbringen kann. Intern wie extern. Die DFB-Elf ist wieder ein seriöser Mitfavorit auf den Titel.
Egal, ob Deutschland am Ende tatsächlich Europameister wird: Diese Erkenntnis ist so viel mehr, als im Februar 2024 die meisten im Land zu träumen wagten. Nicht nur aus der Vogelperspektive.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Warum Deutschland wieder ein seriöser Kandidat auf den EM-Titel ist
Das 2:0 gegen Ungarn beweist. Diese deutsche Mannschaft kann auch Widerstände überwinden. Eine Erkenntnis, die im weiteren Verlauf der EM noch sehr wichtig werden kann