Man mag geneigt sein, das jetzt wieder neu ausgebrochene Säbelrasseln bei der kreispolitischen und persönlichen Vergangenheitsbewältigung als Provinzposse abzutun. Oder als - auf öffentlicher Bühne ausgetragenen - Hahnenkampf zwischen zwei wesensverschiedenen Alphatieren und ihrem Hofstaat. Wer dem einen der beiden Kombattanten besonders bös will, könnte ihm vielleicht auch einen Ego-Trip andichten oder ihn einen notorischen Selbstdarsteller schimpfen.
Keines dieser kriegerischen Bilder trifft den Kern des Trauerspiels, das seit Jahren die Bergsträßer CDU und eines ihrer prominentesten Mitglieder in trauriger Regelmäßigkeit in den Schlagzeilen hält. Dafür geht der Dauerstreit viel zu sehr ans Eingemachte.
Empfang mit offenen Armen
Dass der Bruch, der die Landratspartei und den ehemaligen Amtsinhaber Matthias Wilkes zunehmend entzweit hat, nicht mehr zu kitten sein wird, steht nicht erst seit gestern fest. Die neue Dimension besteht darin, dass die Scheidung jetzt unumkehrbar vollzogen ist. Zwei Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Amt kehrt der Ex-Landrat Wilkes seinem ungeliebten Bergsträßer CDU-Kreisverband den Rücken und sucht sich im benachbarten Odenwaldkreis eine neue parteipolitische Heimat.
Dass er dort offene Türen einrennt, scheint sicher, obwohl Wilkes sich mit seinem einstigen Vorstoß, die beiden Landkreise zusammenzulegen, nicht nur Freunde gemacht hat. Im kleineren und strukturschwächeren Odenwaldkreis haben hinter diesem Ansinnen nicht wenige den Versuch einer feindlichen Übernahme gewittert.
Vom Regen in die Traufe?
Geworden ist daraus nichts. Aber es gehört zur Ironie des Schicksals, dass der Odenwälder CDU-Kreisvorsitzende Harald Buschmann in seiner Eigenschaft als Bürgermeister von Michelstadt der schließlich verhinderten Fusion mit der Kreisstadt Erbach als eine der Speerspitzen das Wort geredet hat.
Kenner der Szenerie prophezeien dem Grenzgänger Wilkes auch aus anderen Gründen keine ungetrübte Freude an seiner Flucht in die Arme seiner Parteifreunde in der östlichen Nachbarschaft. Intrigen, wie Wilkes sie im Bergsträßer CDU-Kreisverband beklagt, gebe es auch dort zuhauf, war gestern von langjährigen Beobachtern zu hören.
Die Verbitterung sitzt tief
Was immer an Motiven hinter dem Übertritt steckt: Um eine Kurzschlussreaktion handelt es sich nicht. Den Grundwerten der CDU fühlt sich Wilkes trotz aller persönlichen Enttäuschungen nach wie vor verbunden. Wäre es nach ihm gegangen, dann hätte er seinen Mitgliedsbeitrag direkt an die Bundespartei gezahlt - ohne Anbindung an eine regional verortete Anbindung an die Basis. Das aber lässt das Parteirecht nicht zu.
Seine Konsequenz daraus findet Freigeist Wilkes nur folgerichtig. Sein persönlicher Befreiungsschlag zeigt aber auch, wie tief die Verbitterung über die erlittenen Verletzungen sitzt. Zur ganzen Wahrheit gehört zudem, dass Wilkes nicht nur eingesteckt, sondern selbst kräftig ausgeteilt hat - etwa mit dem von ihm kreierten Schimpfwort von der "politischen Kaste", an der er schon seit Jahren kein gutes Haar lässt.
Mit harten Bandagen
Als Überzeugungstäter mit Sendungsbewusstsein mag Matthias Wilkes nicht nur mit dieser Vokabel übers Ziel hinausgeschossen sein. Dass er meint, was er sagt, sprechen ihm allerdings interessanterweise in erster Linie seine innerparteilichen Widersacher ab. Wenn sie ihrem einstigen Aushängeschild "unwahre" Behauptungen unterstellen, dann heißt das: Wilkes lügt. Er wiederum behauptet das Gegenteil. Vor Gericht bedeutet dies: Es steht Aussage gegen Aussage. Ein Urteil muss jeder für sich fällen.
Die handelnden Personen aber sind gut beraten, sich künftig lieber einmal mehr auf die Zunge zu beißen als sich weiter Gemeinheiten an den Kopf zu werfen. Auch bei schier unendlichen Geschichten erschöpft sich irgendwann der Neuigkeits- und Unterhaltungswert.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Trauerspiel
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