Es gibt diesen sehr deutschen Spruch: Freie Fahrt für freie Bürger. Er stammt aus der Zeit der Ölkrise der Siebziger, herausposaunt von der Auto-Lobby. Der Spruch ist längst aus der Zeit gefallen, selbst die Lobbyisten haben sich distanziert. Doch eigentlich muss man ihn nur umdeuten. Freie Fahrt für freie Bürger – mit Bus und Bahn.
Der Mensch ist beharrlich, und so ist meist auch seine Politik. Es sind erst Krisen und Notfälle, die Innovation und neue Wege denkbar und möglich machen. Vor einigen Wochen hat die Politik etwas gewagt: das 9-Euro-Experiment. Aus der Not der Energiekrise heraus, unter dem Druck der Klimakrise.
Das Experiment ist ein Erfolg. Der Bahnverkehr im Juni ging mit dem neuen günstigen Ticket laut Statistikamt um mehr als 40 Prozent hoch – bei Strecken unter 300 Kilometern sogar noch mehr. Zugleich sank der Verkehr auf den Straßen immerhin leicht.
Die Folgen dieses Experiments liegen auf der Hand: Kostenlose (oder fast kostenlose) öffentliche Verkehrsmittel schützen das Klima. Langfristig sind Bus und Bahn der einzig ernstzunehmende Weg hin zu einer Mobilitätswende – und nicht die Tausenden E-Roller, die Städte fluten und über die Fußgänger auf Bürgersteigen stolpern. Zugleich ist kostenloser Personenverkehr sozial. Eine Studie aus Hamburg zeigt, dass Menschen in Stadtteilen mit wenig Geld nicht unbedingt weniger Bus und Bahn fahren. Aber sie nutzen diese Verkehrswege meist nur im Alltag, zum Einkaufen, zur Fahrt zum Amt oder Arzt.
Mobilitätsgerechtigkeit ist auch eine Frage dessen, was ein Mensch sich vorstellen kann. Eine günstige Fahrt an die Ostsee, einen Ausflug in die Alpen. Das ist in diesem Sommer möglich. Am Ende sind Punks auf Sylt lustig, für manche ein Ärgernis – aber vor allem Ausdruck einer gerechteren Gesellschaft, in der Chancen und Möglichkeiten nicht vom Gehaltszettel abhängen. Natürlich ist das kein Allheilmittel. Der Staat wird das Angebot subventionieren müssen.
Doch ähnlich wie Krankenversorgung und Bildung ist Mobilität gut in den Händen des Staates aufgehoben. Und klar ist auch: Der Preis allein ist kein Argument. Umfragen zeigen, dass Autofahrer vor allem dann auf Bus und Bahn umsteigen, wenn auch die Verbindungen bequem und schnell sind.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Kommentar Das 9-Euro-Ticket ist ein erfolgreiches Angebot
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