Es sei ja alles Ansichtssache, heißt es. Ob das umfassende Wörtchen „alles“ in dieser Redensart angemessen oder doch ein wenig zu „allumfassend“ ist, ob es also nicht doch auch Dinge gibt, die gesetzt, gegeben, unstrittig sind oder sein sollten, das ist hier die Frage. Es ist nämlich so eine Sache mit der Ansichtssache. Der Blickwinkel ist hierbei ebenso bestimmend wie die entsprechende Position, die man innehat. Es muss keine gesellschaftlich, politisch oder wirtschaftlich besonders hoch dotierte oder auch nur gut angesehene sein. Manchmal ist sie Menschen einfach so gegeben, schlicht durch Körpergröße, die den Blickwinkel auf die reale, analoge, dinglich fass-, greif- und erlebbare Welt bestimmt. Man erlebt diese fremde Welt der anderen selten. Wenn einen als Kind jemand auf die Schultern nimmt oder wenn man mal in Selbsterfahrung als Rollstuhlfahrer durch die Stadt geht, oder aus Jux und Tollerei mal ein Tennisspiel am Spielfeldrand liegend erlebt (nicht ungefährlich, aber perspektivisch interessant!).
Diese Perspektivwechsel erfolgen meist freiwillig oder zumindest bewusst. Gruselig ist, wenn man nicht weiß, wie einem geschieht. Ein (letztlich gar nicht günstiges) Sonderangebot eines Optikers wollte es, dass man sich für eine Sonnenbrille mit Fernschliff begeistern ließ, so zum Autofahren, Radeln oder Tennisgucken etwa. Lange kam sie nicht zum Einsatz. Die Wirkung ist verheerend. Das eigene Fahrrad wird beim Strampeln zum Kinderdreirad, die Schritte zwergenhaft, wacker stapfte man weit aus, um Strecke zu machen, versichert sich an Schaufensterscheiben, dass man wirklich nicht über Nacht geschrumpft ist, und schlenkert weit mit den Armen. „Eine Fernbrille verkürzt schlicht Distanzen“, erklärt das optische Fachpersonal leicht peinlich berührt. Dennoch: eine furchtbare Erfahrung, so ein Perspektivwechsel!
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