Immergleiches

Von 
Georg Spindler
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Wer Radio hört, könnte verzweifeln. Das Musikprogramm scheint – vor allem tagsüber, in der Hauptsendezeit – aus gefühlt weniger als hundert Stücken zu bestehen. Die sind auch noch in ihrer Machart ähnlich, nämlich leicht verdaulich. Denn in den Musikredaktionen ist man offenbar der Ansicht, Anspruch sei nicht unterhaltsam. Dieses Schmalspur-Repertoire wird nun, zwar in wechselnder Abfolge, aber letztlich enervierender Gleichförmigkeit wiederholt. Man braucht als Zuhörer kein ausgeprägtes Erinnerungsvermögen, um sich schnell zu langweilen. Die provokante Idee von Möbelmusik („Musique d’ameublement“), mit der der französische Komponist Erik Satie vor gut hundert Jahren das klassische Publikum provozierte, indem er Tonfolgen andauernd wiederholen ließ, ist heute Alltagskultur geworden.

Man kann nur mutmaßen, ob die Gewöhnung an das Immergleiche nicht auch Auswirkungen auf das Denken hat. Ob ein Zusammenhang besteht zwischen geisttötendem musikalischem Dauerkonsum und gedanklichem Stillstand. Sich mit Ungewohntem und auch Sperrigem auseinanderzusetzen, könnte doch die Bereitschaft fördern, sich generell auf Neues einzulassen. Der Schriftsteller Georg Büchner forderte in seiner ästhetischen Theorie, Kunst müsse „Möglichkeiten des Daseins“ schaffen. Nicht ohne Grund: Denn ist es nicht so, dass Innovationen wie die Entdeckung der Atonalität durch Komponisten wie Anton Webern, die Loslösung von der gegenständlichen Darstellung in der abstrakten Kunst eines Kandinsky und die Bewusstseinsstrom-Literatur von James Joyce Anfang des 20. Jahrhunderts neue Sichtweisen auf die Welt eröffnet haben? Von einer Dauerberieselung mit eingängigen Melodien, erwartbaren Harmonien und plumpen Rhythmen ist das leider nicht zu erwarten. Georg Spindler

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