Bonn. Ja, auch in Bonn kennen sie sich mit Verkehrsversuchen aus – oder besser gesagt: mit den kontroversen Diskussionen rund um dieses Thema. Im Fokus steht dabei die Adenauerallee. Bisher konnten die Autos dort die meiste Zeit auf zwei Spuren je Richtung fahren, in den nächsten zwölf Monaten soll es nur eine Spur pro Richtung sein. Dafür bekommen Radfahrer mehr Platz. Dieser Tage trugen Bauarbeiter die entsprechenden Markierungen auf. Ob die Diskussionen danach verstummen, ist fraglich.
B 9, Koblenzer Straße, Diplomatenrennbahn: Die Verbindung zwischen Koblenzer Tor und Bundeskanzlerplatz kennt dank ihrer wechselvollen Geschichte viele Namen – auch heute sind mehrere Bezeichnungen geläufig, handelt es sich doch um einen Teil der wichtigen Bundesstraße 9. So manchem Stadtführer rutscht noch die Bezeichnung „Koblenzer Straße“ raus, so heißt sie seit 1967 bekanntermaßen nicht mehr. Wie es zu der Umbenennung kam, dazu später mehr.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die damalige Koblenzer Straße in Bonn richtig wichtig
Die Geschichte als „Straße der Macht“ (wie sie allenthalben genannt wurde) beginnt direkt nach dem Zweiten Weltkrieg. Vorher war sie eine einfache Verbindung zwischen Bonn und dem damals noch eigenständigen Ort Bad Godesberg, eine etwas holprige Straße, die stellenweise sogar noch an Feldern und Tieren vorbeiführte. Noch vor der Gründung der Bundesrepublik im Jahr 1949 wurden hier wichtige Weichen für die Zukunft des Landes gestellt; und die Gebäude an der heutigen Adenauerallee zu Zeugen der Entstehung eines neuen Staats. Eines dieser Gebäude ist das Museum König, ursprünglich erbaut vom Forscher Alexander König, um seine Tiersammlung unterzubringen.
Nützliche Tipps und Informationen
Anreise mit dem Zug: Der Bonner Hauptbahnhof ist mit dem Zug ohne Umstieg von Mannheim aus erreichbar. Direktverbindungen mit dem Intercity gibt es im Zwei-Stunden-Takt – Fahrzeit rund zwei Stunden. Etwas schneller ist die Verbindung mit dem ICE zwischen Mannheim und Siegburg. Von dort nimmt man die Straßenbahn (Linie 66) in die Innenstadt.
Mit dem Auto fährt man von Mannheim aus erst in Richtung Pfalz, bevor man auf die A 61 nach Norden abbiegt. Ab dem Kreuz Meckenheim geht es dann nach Bonn hinein, Fahrzeit ca. zwei Stunden und 20 Minuten.
Spaziergang: Wer dem Geist der Bonner Republik nachspüren und ein wenig laufen will, kann mit der U-Bahn (Linie 16/63/66) vom Hauptbahnhof bis zur Station „Heussallee/Museumsmeile fahren“. Von dort aus führt der Weg dann immer an der Straße entlang Richtung Innenstadt.
Am Startpunkt ballen sich die historisch bedeutsamen Gebäude. Im Haus der Geschichte kann man die Nachkriegsjahre und die deutsch-deutsche Geschichte nacherleben, gegenüber liegt das Bundeskanzleramt. Wenn man weiter nach Norden läuft, kommt man auf der östlichen Straßenseite an einer interessanten Adenauer-Büste vorbei, die seinen Lebenslauf zeigt.
Danach liegen, hinter Mauern und Zäunen verborgen und doch immer wieder durch einen Spalt sichtbar, historisch bedeutsame Gebäude wie das Palais Schaumburg und die Villa Hammerschmidt. Gegenüber – und deutlich besser zugänglich – befindet sich das Museum König. Danach kann man immer weiter Richtung Innenstadt gehen. Wer nicht mehr laufen will, steigt an einer der unterirdischen Stationen wieder in die Bahn. tge
Am 1. September 1948 tagte in dessen Lichthof zum ersten Mal der Parlamentarische Rat. Dessen Präsident: ein gewisser Konrad Adenauer. Das Gremium hatte die Aufgabe, ein Grundgesetz auszuarbeiten. Und da das Museum eines der wenigen unbeschädigten und repräsentativen Gebäude in Bonn war, diente es dem Parlamentarischen Rat als erste Sitzungsstätte. Damals wie heute werden im Lichthof Tiere ausgestellt. Die meisten ließen sich für die Ratssitzung ohne große Probleme aus dem Raum tragen. Doch die Giraffe war einfach zu groß, um sie aus dem Saal zu entfernen. Der lange Hals passte nicht unter den Bögen hindurch. Und das führte zu einer Anekdote, die auch heute noch gerne erzählt wird.
Im Museum König in Bonn soll eine ausgestopfte Giraffe Zeugin wichtiger Weichenstellungen geworden sein
Die Bögen konnte man mit Vorhängen verhüllen, der Kopf der Giraffe soll aber über den Stoff hinweggeschaut haben. Der einzige tierische Zeuge auf dem Weg zur Staatsgründung war geboren, liebevoll „Bundesgiraffe“ genannt. In der Realität hat es sich wohl etwas unspektakulärer abgespielt. Das Tier bekam man zwar nicht aus dem Raum, Kopf und Hals wurden aber ebenfalls mit einem Vorhang verhüllt. Auf die Mitglieder des Parlamentarischen Rats hatte das Umfeld dennoch eine gewisse Wirkung, wie Carlo Schmid, selbst Mitglied des Rats und einer der „Väter“ des Grundgesetzes, später zu Protokoll gab.
Mit der Gründung der Bundesrepublik und der Wahl Bonns als provisorische Hauptstadt wurde die damalige Koblenzer Straße zu einer Meile der politischen Macht – und einst private Villen zu Gebäuden mit politischer Bedeutung. Ganz zu Anfang arbeitete Bundeskanzler Adenauer noch im Museum König. Er machte aber nie einen Hehl daraus, dass er die Umgebung nicht mochte. Nach nur wenigen Monaten zog er um, doch es ging nicht weit. Schräg gegenüber im Palais Schaumburg fand der Regierungschef ein neues Büro. Auch hier gab es genug zu meckern, so erinnerte ihn der Eingangsbereich (ein vergleichsweise schlichtes Vordach mit zwei schmalen Säulen) an eine „Tankstelle“.
Im Palais Schaumburg an der Adenauerallee in Bonn hatten mehrere Kanzler ihren Dienstsitz
Adenauer war insgesamt 14 Jahre Bundeskanzler. Während seiner gesamten verbleibenden Regierungszeit war das Palais Schaumburg sein Amtssitz. 1963 folgte ihm Ludwig Erhard als Kanzler nach. Adenauer blieb aber Mitglied des Bundestags – bis zu seinem Tod am 19. April 1967. Ein Tag, der vor allem für die Straße, um die es hier geht, von großer Bedeutung sein sollte. Denn noch an jenem Mittwoch erhielt sie den Namen, den sie bis heute trägt: Adenauerallee.
Wie die Historikerin Marie-Luise Recker in ihrer kompakten und lesenswerten Biografie über Konrad Adenauer schreibt, wurde Adenauers Leiche wenige Tage später von seinem Wohnort Rhöndorf nach Bonn überführt, sein Körper im großen Kabinettssaal des Bundeskanzleramts aufgebahrt. Zehntausende Menschen sollen in den Folgetagen Adenauer die letzte Ehre erwiesen haben – an ebenjenem Ort, wo er viele Jahre gearbeitet hatte. Und über den er nicht immer schmeichelhafte Worte zu verlieren hatte, man denke an das Entrée, das er als „Tankstelle“ bezeichnete.
In Bonn entstand in den 1970ern ein neues Kanzleramt, auch in der Nähe der Adenauerallee
Dass Regierungschefs mit ihren Arbeitsstätten unzufrieden sind, ist bei weitem kein Phänomen, dass man nur bei Konrad Adenauer beobachten kann. Und es führt zu einem weiteren Gebäude, das nur wenige Meter südlich liegt. Streng genommen beginnt hier der Bundeskanzlerplatz, manch einer zählt die Stelle aber immer noch zur Adenauerallee. Mit der zunehmenden Bedeutung Bonns als Bundeshauptstadt wurde der Platz im Palais Schaumburg zu klein. Bundeskanzler Helmut Schmidt zog in das neue Gebäude ein, dem er angesichts seiner funktionalen Architektur den Spitznamen „rheinische Sparkasse“ gab. Doch auch der zweckmäßige Bau sollte Geschichte schreiben. Dort fanden im Deutschen Herbst 1977 die Krisensitzungen statt, als die Rote Armee Fraktion mit ihrem Terror das Land in Atem hielt.
Unbestritten ist die Ballung der politisch bedeutsamen Gebäude im Süden der Adenauerallee. So liegt in unmittelbarer Nachbarschaft zu Palais Schaumburg und Museum König die Villa Hammerschmidt. Diesem Bauwerk hat der „MM“ bereits eine eigene Zeitreise gewidmet. Seit 1950 ist es ein Amtssitz des Bundespräsidenten. Bis heute kommt das Staatsoberhaupt gelegentlich hierher, um seiner Arbeit nachzugehen. Auch Frank-Walter Steinmeier hat sein zweites Büro während seiner beiden Amtszeiten schon einige Male aufgesucht. Der erste Amtssitz ist das Schloss Bellevue in Berlin.
Der Umzug nach Berlin hat an der Adenauerallee in Bonn einiges geändert
So ist es mit vielen politischen Gebäuden in Bonn – auch entlang der Adenauerallee. Seit dem Umzug des Politikbetriebs nach Berlin kurz vor der Jahrtausendwende haben Ministerien und Behörden Zweitsitze in der ehemaligen Hauptstadt. Manche haben sogar ihren ersten Sitz. Zum Beispiel befindet sich der erste Dienstsitz des Bundesentwicklungsministeriums in dem Gebäude, das zu Bonner Hauptstadtzeiten Kanzleramt war. Für die „rheinische Sparkasse“ gibt es also weiterhin eine gute Verwendung.
Die große politische Bühne ist seit den späten 1990er Jahren nach Berlin gezogen. Das steht ohne Frage fest. Vorbei sind die Zeiten, als sich die Autokolonnen von internationalen Staatsmännern durch das Koblenzer Tor im Norden der Adenauerallee zwängten – immer begleitet von der Motorradstaffel der Polizei (wegen ihrer Kleidung auch „weiße Mäuse“ genannt). Historische Filmaufnahmen zeigen diese Anlässe sehr eindrücklich, auch die vielen Zuschauer, die Fähnchen schwenkend am Straßenrand stehen und den Politikern in den zügig fahrenden Autos zujubelten. Kaum verwunderlich, dass sich im damaligen Bonn schnell der Ausdruck „Diplomatenrennbahn“ einbürgerte.
An der Adenauerallee in Bonn haben weiterhin wichtige Institutionen ihren Sitz
Auch wenn die Adenauerallee an internationaler Strahlkraft eingebüßt haben mag, so ist sie für die Stadt und auch die Politik immer noch von Bedeutung. Das beschränkt sich dabei nicht nur auf die Gebäude, um die es in diesem Text bereits ging. Das Koblenzer Tor im Norden der Adenauerallee ist Teil des Schlosses, in dem die Universität untergebracht ist. Die Uni ist außerdem mit mehreren Instituten sowie der großen Universitäts- und Landesbibliothek an der Straße vertreten.
Der Bundesrechnungshof hat hier seinen Sitz, genauso wie bis vor wenigen Jahren noch die Bundeszentrale für politische Bildung. Sie ist ein paar hundert Meter südlich an den neuen Bundeskanzlerplatz gezogen. Wie wichtig den Bonnern diese Straße ist, zeigt sich allein an den Diskussionen um den Verkehrsversuch. Ob die Neuregelung mit Autos und Radwegen in Zukunft so bleiben wird, ist ungewiss und wird wohl weiter für Debatten sorgen – und für ein neues Kapitel in der wechselvollen Geschichte dieser Straße.
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