Zeitreise Geschichte

Wie die echten Kollgen von Kommissar Rath arbeiteten

Die historischen Kriminalromane von Volker Kutscher und deren Verfilmung unter dem Titel „Babylon Berlin“ haben das Thema „Berliner Polizei in den 1920er und 30er Jahren“ populär gemacht. Wie deren Arbeit wirklich aussah, das zeigt ein Museum im Polizeipräsidium der Hauptstadt.

Von 
Konstantin Groß
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Durch seine Darstellung des literarischen Kommissars Gereon Rath prägt Volker Bruch das Bild der Berliner Polizei in den 1920er und 30er Jahren.Bild: ARD © ARD

Mannheim. Eigentlich ist er als letzter Auftritt von Kommissar Gereon Rath angekündigt: der zehnte Roman, den Volker Kutscher Ende 2024 veröffentlicht. Doch wie das so ist: Ein erfolgreiches Pferd muss man reiten, solange es läuft. Vor kurzem kommt Band 11 auf den Markt. Der fiktive Kriminalist lebt 1973 in einem Altersheim und erinnert sich an seine frühere Arbeit.

Damit ist weiterhin jenes Interesse an der Berliner Polizei der 1920er und 30er Jahre gesichert, das die Bestseller auslösen und ihre Verfilmung unter dem Titel „Babylon Berlin“ mit Volker Bruch als Hauptfigur zum Höhepunkt führt. Davon profitiert auch das Berliner Polizeimuseum. „Ja, wir merken das schon“, bestätigt Hauptkommissar Mike Stenzel von der Polizeihistorischen Sammlung (PHS), wie sich das im Berliner Polizeipräsidium beheimatete Museum bescheiden nennt.

Die Polizei gegen die dunklen Seiten der Goldenen Zwanziger

Zu sehen gibt es dort viel. Denn die Berliner Polizei ist Vorreiter der Polizeiarbeit in Deutschland, aber auch Spiegelbild von dessen Geschichte. Vor allem in den Goldenen Zwanziger Jahren. Die kurze Blütezeit der Weimarer Demokratie hat in der Hauptstadt auch Schattenseiten: Mord und Raub, Schutzgeld und Prostitution, Bandenkriminalität durch Ringvereine, die der Mafia in nichts nachstehen, wie diese mit eigenem Ehrenkodex.

Gute alte Zeit? Die Ausstellung zeigt legendäre Kriminalfälle: Peter Kürten tötet bis 1930 neun Menschen, Fritz Haarmann bis 1924 mindestens 24, wahrscheinlich sogar mehr. © Konstantin Groß

Doch wo Schatten ist, da ist auch Licht. Die Polizeiarbeit wird revolutioniert durch Ernst Gennat. Der Leiter der Mordinspektion begründet eine zentrale Ermittlungskartei, richtet ein „Mordauto“ mit allem Nötigen für die Kriminaltechnik ein, ändert die Verhörmethoden, wobei er den Einsatz von Gewalt verbietet. 298 Morde klärt er damit auf. Nicht nur diese Erfolge machen ihn zur Legende, sondern auch seine Persönlichkeit: 135 Kilo schwer, dank Vorliebe für Torten.

Schwierige Polizeiarbeit in unsicheren Zeiten

Ende der 1920er Jahre wird die Polizeiarbeit zunehmend von der politischen Lage geprägt, von Saal- und Straßenschlachten. Die Berliner Polizei agiert dabei als Stütze des demokratischen Staates, unter dem sozialdemokratischen Präsidenten Albert Grzesinski und seinem Vize Bernhard Weiß von der DDP (der heutigen FDP) weder auf dem linken noch auf dem rechten Auge blind.

Das "Fluchtfahrzeug" des bekannten Kaufhaus Erpressers "Dagobert". © Konstantin Groß

Am Ende wird dennoch links genauer hingeschaut und draufgehauen. Unter Grzesinskis Nachfolger Zörgiebel feuert die Polizei bei einer Kundgebung der Kommunisten am 1. Mai 1929 in die unbewaffnete Menge, 32 Demonstranten und Unbeteiligte sterben. Doch noch funktioniert die öffentliche Kontrolle: Zörgiebel muss seinen Posten räumen.

Nazis säubern Polizei von demokratischen Kräften

Vizepräsident Weiß geht gegen Nazis vor. Als diese das Sagen haben, verliert er als Jude sein Amt. Überhaupt ändert sich für die Polizei 1933 alles. Anfangs plädieren NS-Führer dafür, die Polizei komplett aufzulösen, durch SA und SS zu ersetzen. Doch Hermann Görng, nun preußischer Innenminister, spricht sich dagegen aus. Mit ihm das Schlimmste verhindern zu können, das ist der Trugschluss mancher im Apparat: Göring ist es, der die KZs erfindet.

Die Polizei wird gesäubert, verliert ihr Gewaltmonopol an Nazi-Organisationen wie SA und SS, Sicherheitsdienst und Sicherheitspolizei. Aus der Kripo erwächst die Geheime Staatspolizei (Gestapo), ihr Sitz in der Prinz-Albrecht-Straße 8 wird zur gefürchteten Folteradresse. Wie alle Polizeien, so wird auch die Berliner dem SS-Reichsführer Heinrich Himmler unterstellt, der den Titel „Chef der deutschen Polizei“ trägt.

Polizei wird zum Instrument des Regimes

Es beginnt die dunkelste Zeit in der Geschichte der Polizei. Sie schaut weg, wenn Juden im Alltag angepöbelt, verprügelt oder gar getötet werden, wie bei der Pogromnacht 1938. Es gibt Ausnahmen: Wie Wilhelm Krützfeld, Polizeioberleutnant und Vorsteher des Reviers 16 am Hackeschen Markt. Als er am Abend des 9. November 1938 zur Synagoge in der Oranienburger Straße gerufen wird, verjagt er unter Hinweis auf den Denkmalcharakter des Gebäudes mit vorgehaltener Pistole die Brandstifter der SA und alarmiert die Feuerwehr. Außer einem Rüffel des Vorgesetzten am Tag danach passiert ihm nichts.

Die Goldenen Zwanziger Jahre von Berlin werden im Polizeimuseum lebendig. Auch in ihren dunklen Seiten. © Konstantin Groß

Mit Kriegsbeginn werden Bereitschaftspolizeien zu Polizeibataillonen, eingesetzt in den besetzten Gebieten von Norwegen bis Griechenland, Frankreich bis Russland. Sie bewachen die Deportationen von Juden und Ghettos wie jenes in Warschau, sind unmittelbar am Holocaust beteiligt wie etwa an der Ermordung von 30.000 polnischen und lettischen Juden innerhalb von zwei Tagen. „Das Leben von 800 Berliner Waisenkindern endet in den Wäldern um Riga durch Polizistenhand“, heißt es in der Ausstellung,

Arbeit der Polizei bleibt von der „großen Politik“ geprägt

Auch nach Ende von NS-Diktatur und Krieg bleibt die Polizeiarbeit von der Politik geprägt. Die Spaltung der Stadt ab 1948 führt auch zur Spaltung der Polizei. Die Volkspolizei im Osten wird Teil des Unterdrückungsapparates der SED, arbeitet der Stasi zu, ist militärisch organisiert, ihr Präsident stets ein General.

Auch spektakuläre Banküberfälle in Berlin werden in der Ausstellung thematisiert. © Konstantin Groß

In West-Berlin ist die Polizei demokratisch verfasst, aber auch nicht frei von altem Denken. Das zeigt sich bei den Studentenrunruhen, deren Zentrum Berlin wird. Bei den Protesten gegen den Besuch des Schahs von Persien am 2. Juni 1967 lässt sie zu, dass die Studenten von Schah-Anhängern („Jubelperser“) mit Schlagstöcken traktiert werden. Da passt es scheinbar ins Bild, dass der Student Benno Ohnesorg am Rande der Demo von einem Polizisten „in Notwehr“ erschossen wird. Regierender Bürgermeister, Innensenator und Polizeipräsident treten zurück. Erst 2009 stellt sich heraus, dass der Schütze, Karl Heinz Kurras, ein „agent provocateur“ der Stasi war.

Neuer Polizeipräsident und neue Herausforderungen

Mit dem neuen Polizeipräsidenten ändert sich viel: Der Sozialdemokrat Klaus Hübner plädiert für „Abschöpfung von Gewalt durch Gespräche“. Die Radikalen innerhalb der APO fürchten um ihren Konfrontationskurs, höhnen, jetzt würden „Prügelbullen“ durch „Psychobullen“ ersetzt. Ein Teil driftet in den Terrorismus ab. Dieser prägt die 1970er Jahre: 1974 wird Kammergerichtspräsident Günter von Drenkmann ermordet, 1975 der CDU-Landesvorsitzende Peter Lorenz entführt, aber gegen inhaftierte Terroristen ausgetauscht.

Anfang der 80er Jahre schlägt ein soziales Problem auf die Polizei durch. Während Wohnungsnot herrscht, stehen 1.000 Altbauten leer. Unter dem Motto „Instandbesetzen statt Kaputtbesitzen“ etablieren dort junge Leuten eine alternative Wohnweise, ergänzt durch Westdeutsche, die diese für sie ungewohnten Freiräume missbrauchen.

Infos und Tipps zur Polizeihistorischen Sammlung Berlin



Geschichte : Keimzelle ist die Lehrmittelsammlung der Kripo aus den 1950er und 60er Jahren. 1969 wurde im Polizeigebäude in der Gothaer Straße (Schöneberg) ein Kriminalmuseum eingerichtet, im Volksmund „Gruselkeller“ genannt. Die Schutzpolizei unterhielt ein eigenes Museum auf dem Gelände in der Radelandstraße (Spandau).

Heute: Seit 1988 gibt es die Polizeihistorische Sammlung (PHS) (www.phs-berlin.de). Sie ist eine Einrichtung der Polizei, wird aber maßgeblich von Ehrenamtlichen eines Fördervereins betreut. Die PHS befindet sich im Westflügel des Polizeipräsidiums, einem ehemaligen Gebäude des Flughafens Tempelhof (Navi-Adresse: 12 101 Berlin, Platz der Luftbrücke 6).

Was ist zu sehen? Uniformen und Artefakte der Polizeiarbeit, wie eine historische Kriminaldatei oder das Fluchtfahrrad des Kaufhauserpressers Dagobert. Dazu Fotos, Zeitungsausschnitte und Dokumente.

Was ist das Besondere? Die Ausstellung ist fachlich und in ihrer Präsentation herausragend. Sie thematisiert auch die Verstrickung der Polizei in den Holocaust. „Das war, als wir anfingen, nicht unumstritten“, berichtet Mike Stenzel von der PHS: „In der Öffentlichkeit wurden wir gelobt, intern gab es manche Skepsis. Das ist vorbei.“

Öffnungszeiten : Montag bis Mittwoch, 9 bis 15 Uhr. Für Gruppen und nach Vereinbarung auch Donnerstag und Freitag. Eintritt frei.

Kontakt : phs@polizei.berlin.de, Telefon 030-46 64 76 14 50. -tin

Die Räumungen besetzter Häuser führen zu wahren Straßenschlachten. Bei einer von ihnen wird der 18-jährige Klaus-Jürgen Rattay von einem Linienbus überfahren. Polizeipräsident Klaus Hübner weigert sich zunehmend, die von Eigentümern erwirkten Räumungsurteile durchzusetzen; seine Leute dafür den Kopf hinhalten zu lassen. Konservative Stastanwälte zeigen ihn an wegen „Strafvereitelung im Amt“. 1987 muss er gehen. Am Ende setzt sich die Vernunft durch: Zwischen Senat und Hausbesetzern werden 230 Nutzungsverträge geschlossen.

Polizei wird in Berlin zur Werkstatt der Einheit

Mit der Deutschen Einheit 1990 wird nicht nur Berlin, sondern auch seine Polizei wiedervereinigt. Außer höheren Dienstgraden werden die meisten Volkspolizisten übernommen, von 9.600 politisch überprüften nur 1.000 abgelehnt. Bald sind gemischte Streifen aus West und Ost unterwegs. So ist die Berliner Polizei die Institution, in der die Vereinigung am schnellsten umgesetzt wird. In Berlin wirkt die Polizei als Werkstatt der Einheit.

Integration auch in anderer Hinsicht: Der Anteil von Beamten mit Migrationshintergrund beträgt fast 25 Prozent. Und in Sachen Gleichberechtigung: 2018 tritt mit Barbara Slowik Meisel eine Frau an die Spitze. Die historische Behördenbezeichnung „Der Polizeipräsident in Berlin“ wird per Gesetz genderneutral geändert - zu „Polizei in Berlin“.

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