Eremitage Waghäusel

Barockes Kleinod

Sie war bischöfliches Jagdschloss, wichtiger Ort der badischen Revolution und als Fabrikgelände Quelle des Wohlstands einer ganzen Region: die Eremitage Waghäusel.

Von 
Peter W. Ragge
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Außen Barock – innen Art déco: Bei einem Besuch der Eremitage in Waghäusel kann man verschiedene Epochen erleben. © Stadt Waghäusel

Er grüßt am Eingang als Ölgemälde, auf einer Staffelei stehend: Damian Hugo Philipp von Schönborn (1676-1743). Auf einer Bronzetafel an der Wand sieht man auch groß sein Wappen mit dem schreitenden zweischwänzigen Löwen, dem Fürstenhut, der Bischofsmütze, dem Kardinalshut sowie Schwert und Bischofsstab, die ihn als weltlichen und zugleich geistlichen Herrscher ausweisen. Aber die große Bronzetafel daneben ist nicht minder beeindruckend, denn der große badische Greif krönt hier ein Wappen mit drei Zuckerhüten, garniert von Zuckerrüben. Schließlich hat dieses Gebäude länger einer Fabrik als dem Fürstbischof gedient: die Eremitage Waghäusel.

Heute werden hier beide Epochen auf sehr anschauliche Weise wieder lebendig. „Wir haben außen Barock, aber innen Art déco der 1920er Jahre“, erklärt Antje Gillich, Fachbereichsleiterin Kulturelle Angelegenheiten der Großen Kreisstadt Waghäusel, als sie vor dem 16-eckigen Bau mit Rotunde steht. Die Stadt hat das schmucke Ensemble aufwendig saniert, Gillich darin ein kleines Museum mit modernen Medienstationen eingerichtet, das erst seit Jahresbeginn in Betrieb ist. Nun gehen beide architektonischen und geschichtlichen Epochen hier eine reizvolle Verbindung ein – mit Originalexponaten der jeweiligen Ära.

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Sonnenkönig als Vorbild

Ein Tintenfass aus grünem Glas steht da. „Man kann sich sehr gut vorstellen, dass es der Fürstbischof benutzte“, sagt Gillich, selbst wenn das nicht genau erwiesen ist. Auch der Pfeifenkopf aus dem 18. Jahrhundert lässt sich nicht hundertprozentig einer Person zuordnen. Ob die Mineralwasserflasche aus Steingut oder die henkellose Tasse aus frühem Meißner Porzellan – Grabungen in Latrinen und Kanälen förderten die jetzt ausgestellte Dinge zutage, die zu jener Zeit eben nur zum Inventar von Schlössern zählten.

Und ein Jagdschloss will er bauen, der Fürstbischof Damian Hugo Philipp von Schönborn, als er hier am 26. September 1724 den Grundstein legt. Seit 1720 residiert er in Bruchsal und nicht am Bischofssitz Speyer, da die evangelischen Speyerer auf den Status einer freien Reichsstadt pochen. Nun wünscht der Oberhirte sich noch ein Jagdschloss und einen religiösen Rückzugsort – eine „Eremitage“, was Französisch Einsiedelei bedeutet.

Als Standort bietet sich Waghäusel an, weil es hier bereits eine bis in das frühe 15. Jahrhundert zurückreichende Wallfahrtskirche mit einem Kloster gibt, das lange die Kapuziner nutzen und wo heute noch die augustinische Gemeinschaft „Brüder vom gemeinsamen Leben“ geistlichen Beistand bietet. Das vom französischen Sonnenkönig Ludwig XIV. errichtete, heute nicht mehr existierende Sommerschloss Marly-le-Roi dient als bauliches Vorbild.

© Stadt Waghäusel

Prächtige Aussicht

Die Planung geht auf Michael Ludwig Rohrer (1683-1732) zurück. Er hat für die als sehr kunstsinnig wie auch fromm geltende Markgräfin Sibylle Augusta von Baden-Baden – bekannt als Witwe vom „Türkenlouis“ – Schloss Rastatt ausgebaut und ihre Eremitage errichtet. Doch die ist karg, schlicht, klein – der Bau in Waghäusel für den Fürstbischof dann doch eher ein barockes Kleinod, ein Jagdschlösschen, dessen Dachgeschoss des Hauptbaus durch einen „Belvederesaal“ mit Fensterkranz ergänzt wird.

Hier pflegt sich der geistliche Herr zurückzuziehen, die Aussicht zu genießen, zu speisen. Über ihm wölbt sich ein prachtvolles Deckenfresko des italienischen Malers Giovanni Francesco Marchini, bekannt auch für Arbeiten im Bruchsaler Schloss, das eine in römische Ruinen gebauten Eremitenhütte zeigt. Ein Brand am 14. Januar 1946 hat das von 1732 stammende Gemälde aber für immer zerstört.

Vier Kavaliersbauten

Schon wenige Jahre nach Fertigstellung ist dem Fürstbischof seine Eremitage zu klein. Die Anregung dazu, so nimmt Antje Gillich an, geht wohl vom Würzburger Barockbaumeister Balthasar Neumann (1687-1753) aus, der für den Fürstbischof in Bruchsal das berühmte Treppenhaus und auch in Schloss Meersburg den repräsentativen Treppenaufgang geschaffen hat.

Ihn lässt Damian Hugo von Schönborn 1730 anstelle der acht das Jagdschloss umgebenden einfachen Eremitenhäuschen vier zweistöckige Kavalierpavillons errichten. In einem kommt die Küche unter, in einem die wachhabende Garde und die beiden westlichen („Fremdenbau“ und „Cavalierbau“) die Gäste. Es folgen noch ein paar Wirtschaftsgebäude – alles eingebettet in einen schönen Park mit breiten Alleen.

Die nächste Erweiterung gibt Franz Christoph von Hutten, von 1743 bis 1770 Fürstbischof, in Auftrag – wieder bei Balthasar Neumann. 1747 fügt er dem Hauptbau der Eremitage vier neue Flügel an und ergänzt die vier Kavalierhäuser.

Details weiß man indes nicht: „Es gibt leider keine Pläne“, bedauert Gillich. Der nächste Fürstbischof, der 1770 bis 1797 amtierende Damian August von Limburg-Stirum, lässt 1783 im Eingangsbereich des Hauptbaus die Uhr und das Glockentürmchen sowie einen – heute verschwundenen – schmiedeeisernen Altan über der Freitreppe anbringen.

  • Anschrift: Eremitage Waghäusel, Am Schlossplatz 1, 68753 Waghäusel (Adresse für Navi: Friedrich-Hecker Allee 3).
  • Öffnungszeiten: Besichtigungen des Museums in den vier Seitenflügeln des Obergeschosses jeweils am letzten Sonntag im Monat von 14 bis 17 Uhr.
  • Eintritt: Park und Außenanlagen jederzeit zugänglich.
  • Vermietung: Anfragen für Trauungen, Buchung von Führungen oder Vermietungen für Seminare an die Stadtverwaltung, Tel. 07254/207-2228, eremitage@waghaeusel.de
  • Anfahrt: Mit dem Auto über die A 5, Ausfahrt Kronau/Waghäusel oder von Hockenheim kommend die B 36. Mit der Bahn bis Bahnhof Waghäusel, dann ca. 6 bis 10 Minuten Fußweg. Die Eremitage ist jeweils gut ausgeschildert.
  • Radweg: Die Eremitage liegt direkt am Schönbornradweg, der Bruchsal mit Speyer verbindet.

 

Abbruch verhindert

1803 endet die Ära des Hochstifts Speyer. Mit dem Reichsdeputationshauptschluss, mit dem unter Druck Napoleons alle Grenzen neu geordnet werden und die Kirchenfürsten ihre Macht verlieren, fallen Speyers rechtsrheinischen Gebiete an den badischen Staat. Der letzte Speyerer Fürstbischof, Philipp Franz Nepomuk Wilderich von Walderdorf, darf aber im Südflügel von Bruchsal sowie in der Eremitage weiter wohnen – bis zu seinem Tod 1810.

„Über 20 Jahre steht hier alles leer, es soll schließlich abgebrochen werden“, weiß Antje Gillich. „Ein Gastwirt will die Brocken zur Rheindammverstärkung nutzen, dafür wären sie auch gut geeignet gewesen“, ergänzt Josef Mörder, der früher in der Zuckerfabrik und dann bei der Stadt Waghäusel gearbeitet hat: „Glücklicherweise wird das verhindert“, betont er. Dies sei dem Einsatz des Geheimen Finanzrates Bürklin zu verdanken gewesen, ein einflussreicher Mann im Großherzogtum.

Schnell ergibt sich eine neue Verwendung. 1836 hat nämlich Carl Schutzenbach ein Verfahren entwickelt, aus getrockneten Rüben Zucker zu gewinnen – eine gute Alternative zu dem Rohrzucker, der bislang aus Übersee eingeführt werden muss. Nach ersten erfolgreichen Versuchen gründet sich die „Badische Genossenschaft für Zuckerfabrikation“. Sie kauft 1837 für 22 670 Gulden vom Badischen Staat das 13 Hektar große Areal der Eremitage und beginnt mit der Herstellung.

„Bald hat man von der Eremitage nichts mehr gesehen“, so Josef Mörder, der 28 Jahre bei Südzucker und 18 davon hier gearbeitet hat. Die Produktion weitet sich immer mehr aus, zahlreiche Hallen und bis zu 14 rauchende Schornsteine umgeben den Barockbau. Im „Fremdenbau“ leben die Direktoren, ehe für sie Villen errichtet werden. In den anderen Kavalierhäusern werden Werkswohnungen eingerichtet. Waghäusel ist einer der drei Hauptorte der beginnenden Industrialisierung Badens.

© Stadt Waghäusel

Kampf für die Freiheit

Die Fabrik ist aber auch ein Hauptort der Badischen Revolution. Am 21. Juni 1849 verschanzen sich hier preußische Füsiliere. Zunächst behalten die badischen Truppen und die sie unterstützenden Freischärler die Oberhand, aber aufgrund einer Fehleinschätzung ziehen sie sich in Richtung Heidelberg zurück. Zwei Tage später kapituliert die badische Revolutionsarmee in Rastatt. Der Traum von der Freiheit ist zu Ende.

Ein 150 Jahre danach errichtetes großes Bronzedenkmal, das zwei Revolutionäre, den Heckerhut, die schwarz-rot-goldene Freiheitsfahne sowie die zur Waffe umgeschmiedete Sense zeigt, erinnert daran ebenso wie ein Museumsraum der Eremitage. „Wir wollten hier bewusst auch thematisieren, dass wir den Kämpfern von damals unsere heutige Freiheit zu verdanken haben“, betont Gillich. Als 1870 beim Bau der Rheintalbahn Karlsruhe-Mannheim die Trasse eigens in einem Bogen an Waghäusel vorbeigeführt wird, sorgt das für einen weiteren Aufschwung. „In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert ist das hier die größte Zuckerfabrik Europas“, hebt Josef Mörder hervor. Weil viele der über tausend Mitarbeiter evangelisch sind und der Ort katholisch geprägt, richtet die Werkleitung ihnen in der Eremitage einen eigenen Betsaal, sogar mit Glocke, ein – und das im Jagdschloss eines katholischen Fürstbischofs. Ironie der Geschichte!

Der Betsaal ist nicht erhalten, aber die schmucke Art déco-Ausstattung der Büros, dazu Zuckersäcke, Warenproben, Waagen und viele Exponate mehr aus der Glanzzeit der Fabrik. Im Wandtresor mit einer 20 Zentimeter dicken Tür verrät ein Aufkleber, dass er auf der Industrie-Ausstellung in Mannheim 1880 eine Auszeichnung erhalten hat. Nun werden in ihm historische Aktien präsentiert sowie Papiere von der Südzucker AG mit Sitz in Mannheim – denn unter diesem Namen verschmelzen 1926 fünf süddeutsche Zuckerfabriken.

Kein Geld dabei

Noch 1986 wird das nordwestliche Kavaliershaus abgerissen, um einem Melassetank Platz zu machen. Bald beginnt aber, durch Überkapazitäten am Markt, der Niedergang des Werks. Die Ausstellung dokumentiert eine 1994 vom Gemeinderat von Waghäusel verfasste Resolution, die sich „mit allem Nachdruck“ gegen die Schließung wendet. Sie erfolge „ohne erkennbare Not“ und würde sich „über Rechte und Belange von Beschäftigten, Bauern und der Stadt“ hinwegsetzen. Aber solch starke Worte können das Ende nicht aufhalten.

1995 ist die letzte „Kampagne“, wie man die Rübenernte und deren anschließende Verarbeitung nennt. Dann wird die Fabrik geschlossen. Zum 1. Juli 1997 erwirbt die Stadt Waghäusel das 42 Hektar große Gelände für eine D-Mark von Südzucker. Deren Finanzvorstand Christoph Kirsch kommt zur Übergabe in die Eremitage, ein Notar steht bereit. Waghäusels Bürgermeister Robert Straub hat aber die geforderte Münze nicht dabei. „Da springt der Kämmerer, greift in seine Tasche und gibt ihm das Geld“, erzählt Josef Mörder amüsiert.

Seither und bis Anfang 2020 wird saniert und umgebaut – ein enormer Aufwand von über 21 Millionen Euro. Heute erinnert kaum noch etwas an die Zuckerfabrik bis auf die zwei riesigen, stahlgrauen Giganten. Noch bis 2003 – und damit lange nach der Schließung des Werks – hat Südzucker in den beiden 53 Meter hohen Türmen jeweils 35 000 Tonnen Zucker gelagert. Noch in diesem Jahr werden sie aber abgerissen – auch wenn das mancher in Waghäusel, der in ihnen ein Industriedenkmal sieht, bedauert.

Oase für Vögel

Dafür bleibt ein anderes Erbe der Zuckerfabrik – ein Naturschutzgebiet, auch wenn sich das zunächst komisch anhört. Aber in der Wagbachniederung in einer Schlinge des Altrheins, wohin die Fabrik einst die ganzen Abwässer mit Rübenresten geleitet hat, ist ein Brut- und Rastplatz für heimische und durchziehende, vom Aussterben bedrohte Vogelarten entstanden. „Die haben da einfach genug zum Fressen gefunden“, erklärt das Josef Mörder – noch heute zählen die ausgedehnten, von dichtem Schilf bewachsenen Schlammflächen der ehemaligen Klärteiche zu den bedeutendsten Vogelschutzgebieten in Deutschland, das nach dem Besuch der Eremitage zum Spaziergang einlädt. 275 verschiedene Vogelarten erwarten einen hier, darunter der seltene Purpurreiher.

Redaktion Chefreporter

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