Literatur

Lesenswerter Roman von Kampmann: „Die Wut ist ein heller Stern“

Der Roman „Die Wut ist ein heller Stern“ beleuchtet das Leben der Artistin Hedda im Hamburg der 1930er Jahre zwischen Varieté und wachsendem Unheil.

Von 
Helga Köbler-Stählin
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Die Schriftstellerin Anja Kampmann bei einer Veranstaltung zur Leipziger Buchmesse 2018. © picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Mannheim. „Die Wut ist ein heller Stern“, lautet der sprechende Titel von Anja Kampmanns Roman. Als Erzählerin hat sie die junge Hedda ausgewählt. Sie arbeitet im Kiez, ist Akrobatin im Varieté Alkazar und schwärmt vom nächtlichen Milieu. Von einem Amüsement-Palast, der Arthur gehört und von dem sich die feine Gesellschaft blenden lässt. Schauplatz ist Hamburg. 1933. Ein Jahr, in dem sich vieles ändern wird. Denn hoch am Seil beobachtet Hedda, wie sich das Publikum im Alkazar wandelt. „Schsch“, wird ihr Zauberwort.

In den Logen sitzen jetzt die Braununiformierten mit ihren „Ritas“. Oder streng Gescheitelte in Schwarz. Sie nehmen Arthurs Zigarren und genauso dreist seinen Besitz. Wie den des jüdischen Kaufmanns Max Emden, in dessen Villa nun der „Zigarettenbaron Reemtsma“ residiert. Auf dem beschlagnahmten Gelände von Emdens Polo Club wird die deutsche Mannschaft trainieren. 1936, zur Berliner Olympiade, soll alle Welt ins gesäuberte, erfolgreiche Reich schauen. So will es der „Schnauzer“.

Anja Kampmann erzählt in „Die Wut ist ein heller Stern“ Wahres und Fiktives

Anja Kampmann erzählt davon. Einfallsreich. Lyrisch. Bildhaft. Spannend. Es ist imposant, wie sie ihre Worte zwischen Glück und Unglück findet, auch wenn das durch die Verdichtung ihrer Sprache nicht immer durchschaubar ist. Oft sind die Szenen verschlüsselt und kurz. Sie erzählt von „Kuddel“, den Hedda liebt, dem man die Hände gebrochen hat und der sich erhängt haben soll. Der Boxer war, wie Max Schmeling, der 1935 Steve Hamas besiegt, aber Arthur nicht mehr besucht.

Von der olympischen Polomannschaft, die jedes Match verliert, oder von einem Keller, in dem Ida Dehmel Handarbeiten macht. Sie erzählt uns Wahres und Fiktives. Auch von Männern, die zu Leni, der Prostituierten kommen. Heddas Freundin, die abgeholt und für immer verschwinden wird. „Schsch“.

Hedda legt sich eine zweite Haut zu, eine „Rita“. „Sie ist ich. Aber die bessere Version.“ Eine, die sich nach außen hin anpasst, die überleben möchte. Für ihre Brüder, für Jaan, der sich auf einem Walfänger für kurze Zeit dem Schicksal entzieht, und für den kleinen behinderten Pauli.

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Kampmanns Formulierungen sind einfühlsam und doppelsinnig. Wenn Hedda beispielsweise Andrés und ihren jugendlichen Bruder Jaan beobachtet. Dessen weichen Mund sieht. „Ein Vogeljunge, der erst jetzt Farbe bekommt, kurz vor dem Winter.“ Aber solche Worte sind es, die den Hals zuschnüren. Hinrichtung, Deportation, Euthanasie schweben unausgesprochen von Blatt zu Blatt. Und die Mädchen aus dem Varieté? Zwangssterilisation. Der weder „Rita“ noch Hedda entkommt. „Schsch“.

Es sind viele Geschichten von der Akrobatin, die sich durchs Leben windet, und die trotz der Freunde, die sie nach und nach verliert, ihre Empathie behält. Aber alles schafft sie nicht. Manchmal schließt auch sie die Augen. Seilt sich ab in ihre innere Kammer, wo sie zu wohnen vermag. Zwischen Halluzinationen, Hoffnungen und Realitäten. „Schsch.“

Es ist ein aufrüttelnder Roman geworden, den die 44-jährige Autorin geschrieben hat. Nicht nur, weil sie Zeitgeschichtliches und Bedrückendes in Erinnerung ruft. Auch, weil sie beim Lesen die Jetztzeit wie dunkle Wolken über uns schiebt. „Schsch.“


Zum Buch

Anja Kampmann

Die Wut ist ein heller Stern.

Roman. Hanser Verlag, München. 496 Seiten, 28 Euro.

Freie Autorin Studium: Journalismus, Medien- und Pressearbeit-PR

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