Heidelberg. Die Angst steht mir wohl ins Gesicht geschrieben. "Du musst jetzt rein, sie ist verletzt", ruft Pierre Allard. Ich klemme den Stock zwischen meine Beine und als Allard ruft "Brooms up!" (Besen hoch), renne ich wie verrückt mit dem Volleyball in meiner Hand los und werfe - zwischen den Ringen vorbei. Mist.
Wer hat die siebenteilige Reihe über Harry Potter nicht gelesen? Oder zumindest in den Kinositzen vor der Großleinwand mitgefiebert? Joanna K. Rowling hat mit dem Magier - so scheint es - die ganze Welt verzaubert. Und an einem Samstag um 11.30 Uhr auf einem Hartplatz im Neuenheimerfeld in Heidelberg sehe ich, welchen Anstoß sie durch ihre Geschichten noch gegeben hat.
Etwa eine Stunde vor meinem kläglichen Wurf stehen dort 21 Menschen und bauen Ringe auf, die sie an Stangen befestigen. Die Größe erinnert mich an Hula-Hoop-Reifen. Auf jeder Seite des Feldes drei Stück: Jetzt wird Muggle-Quidditch gespielt. Die Sportart, die nur aus der Fantasiegeschichte um Harry Potter bekannt ist. Für die Sportler der Heidelberger "HellHounds" ist sie aber mehr als das. Eine Leidenschaft.
Ungewohnter Fremdkörper
Es ist eine Mischung aus Handball, Völkerball und Rugby. Eine Vollkontakt-Sportart. Der 21-jährige Student Pierre Allard leitet als stellvertretender Mannschaftskapitän das Training. Er streckt mir eine PVC-Stange entgegen - das ist jetzt mein Besen. Mein persönlicher "Nimbus 2000". "Wir laufen uns erstmal ein paar Runden warm", ist die Anweisung. Natürlich mit Stange zwischen den Beinen, die wir mit einer Hand festhalten. Das bekomme ich hin.
Das Joggen ist viel anstrengender, als es aussieht. Ich lasse die Stange gedankenverloren immer wieder los und muss sie häufig vom Boden wieder aufsammeln. Nach ein paar Runden sind wir warm - und es geht weiter. Allard erklärt die Regeln. Wir werden in zwei Gruppen aufgeteilt. Die Treiber und die Jäger. Die Treiber trainieren die Reaktion und die Treffgenauigkeit, wie beim Völkerball in der Schule, und die Jäger - dazu zähle auch ich - üben das Passspiel wie beim Handball.
In zwei Teams müssen wir versuchen, uns zehn Pässe zuzuwerfen, ohne, dass die andere Mannschaft den Ball bekommt. "Einfach", denke ich. Hier spüre ich das erste Mal die Rugby-Komponente. Die Spieler blocken nicht wie beim Basketball, sondern werfen sich mit dem gesamten Körper in meine Laufrichtung. Außerdem lasse ich ständig meinen Besen los, der dann natürlich auf den Boden fällt - häufig zusammen mit mir.
Letztendlich bin ich froh, als die Übung vorbei ist. "Jetzt spielen wir richtig!", ruft Allard über den Hartplatz. Mir wird mulmig, als ich sehe, dass alle ihren Zahnschutz, wie ihn die Männer beim Eishockey anziehen, aus der Tasche holen. "Wofür braucht ihr das?", frage ich. Die meisten lächeln nur verschmitzt, was mich nicht beruhigt. "Das wird heute nicht so hart", antwortet mir Tanja Ginkel, die schon seit vergangenem Sommer Teil des festen Stamms ist. Augen zu und durch. Ich bin Jäger und soll mit meinen Mitspielern den Volleyball durch die Ringe werfen. Die Treiber der gegnerischen Mannschaft versuchen, uns daran zu hindern, indem sie uns mit einem anderen Ball abwerfen. Dann muss der Jäger vom Besen absteigen, seine Ringe berühren und darf erst im Anschluss wieder mitspielen.
Immer wieder muss ich nach hinten rennen und die Ringe anfassen. Nach den ersten fünf Minuten bin ich deshalb bereits aus der Puste und lasse mich auswechseln. Nach einer etwas zu kurzen Verschnaufpause nehme ich den Besen zwischen meinen Beinen kaum mehr wahr. Und die Motivation packt mich.
Aktionen im Sekundentakt
Nach 18 Minuten Spielzeit schicken die Schiedsrichter den Schnatz ins Rennen. Jetzt geht alles drunter und drüber. Im Sekundentakt lässt ein Jäger den Volleyball fallen und rennt zu seinen Ringen, weil er getroffen wurde. Der menschliche Schnatz, der einen Tennisball in einer Socke an seinem Hosenbund befestigt hat, rennt kreuz und quer über das Spielfeld. Gefolgt von den beiden Suchern der Mannschaften, die den Tennisball fangen wollen - und damit das Spiel beenden. Und mittendrin ich. Halte meine PVC-Stange zwischen den Beinen. Sprinte mit nach vorne - und wieder zurück. Werde abgeworfen und bekomme Seitenhiebe der gegnerischen Mannschaft, wenn ich den Ball habe.
Und dann - unser Sucher hat den Schnatz gefangen. JA! Aber wir haben verloren. Was? Der Schnatz bringt uns nur 30 Punkte, leider hat das nicht gereicht. Trotzdem bin ich stolz und denke, das Training ist jetzt beendet. Falsch gedacht. Wir bilden neue Teams, knien uns auf den Boden und dann heißt es noch eine Runde "Brooms up!" (Besen hoch).
Die Regeln der Fantasie-Sportart
Muggel-Quidditch ist eine Vollkontakt-Sportart, die Männer und Frauen gemeinsam spielen. Sie basiert auf dem fiktiven Sport Quidditch aus den Harry-Potter-Geschichten.
Es ist eine Mischung aus Völkerball, Handball und Rugby.
Als Muggle werden in den Harry-Potter-Romanen nichtmagische Menschen bezeichnet.
Der Schnatz ist eine neutrale Person, die einen Tennisball in einer Socke am Hosenbund befestigt hat. Die Mannschaft, die den Ball fängt, bekommt 30 Punkte und das Spiel ist beendet.
Der "Nimbus 2000" ist ein begehrter Besen aus der Harry Potter-Welt.
Die Heidelberger Mannschaft "Hellhounds" hat Birte Peters 2015 als Universitätssport ins Leben gerufen.
Trainingszeiten: mittwochs, 19 bis 21 Uhr, und samstags, 11.30 bis 13 Uhr, auf dem Rasenbolzplatz hinter INF 720 im Neuenheimerfeld. nina
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