Von Jasper Rothfels
Langer Bart, Nasenring, Gesichtstattoos: Wenn man Senay Gueler sieht, denkt man nicht unbedingt an den Odenwald. Und dennoch ist der Berliner Szene-DJ und Schauspieler, der mit Filmen wie „4 Blocks“ und der Teilnahme bei „Promi Big Brother“ über Berlin hinaus bekannt wurde, auf untrennbare Weise mit dem Odenwald verbunden.
Als viertes Kind eines türkischen Ehepaares wurde Gueler in Erbach geboren und wuchs in Michelstadt auf, wo er nach eigenen Angaben eine großartige Kindheit hatte – mit viel Grün, viel Freiheit und viel Spaß. „Für mich war das echt ‘ne schöne Zeit“, sagt der 44-Jährige. Und es ging weiter. Ob beim VfL Michelstadt im Fußballtor, als Querflötist im Spielmannszug oder bei der Freiwilligen Feuerwehr – Gueler war dabei. „Ich war immer sehr integriert, was meine Stadt und unsere Veranstaltungen angeht“, sagt er.
Seine Schilderungen stehen in starkem Kontrast zur Klage der Autorin Antonia Baum über Kindheit und Jugend in der „Odenwaldhölle“, wie Baum die Gegend 2014 in einem Artikel nannte. Die Frau, die als Sechsjährige mit ihrer Familie in den „für den Kopf lebensgefährlichen Odenwald“ gezogen war, klagte damals in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, das „Niemandsland“ zwischen Birkenau und Rimbach sei „der scheußlichste Ort der Welt“, eine „totale Geisteswüste“. In der Region sorgte das für Empörung. Der Einwand von Baums Ressortchef, der Artikel stehe in der Tradition berühmter literarischer Ortsbeschimpfungen, konnte die Wogen kaum glätten.
Bei Gueler sucht man Odenwald-Beschimpfungen vergebens. Deutschland habe viele schöne Ecken, aber der Odenwald sei etwas Besonderes, sagt er. „Diese Ruhe, diese Gelassenheit, und du kennst jeden Winkel, jeden Grashalm, weil du als Kind einfach jeden Stein umgedreht hast – das schafft eine andere Verbundenheit.“ Deshalb sagte er zu, als ihn ein Freund vor ein paar Jahren fragte, ob er in einem Werbespot für den Odenwald mitmachen wolle. Der Clip findet sich auf der Homepage des Odenwaldkreises. Eine Ehre sei das für ihn gewesen, „gerade als Gastarbeiterkind“, so Gueler, dem es dabei nach eigenen Angaben vor allem um Heimatverbundenheit ging. „Wir haben uns nie unwillkommen in Michelstadt gefühlt, ganz im Gegenteil“, sagt er. Mitunter spiele er auch in Michelstadt, weil es ihm wichtig sei, seinem Zuhause etwas zurückzugeben. Seine Jugend gibt es demnächst zum Nachlesen, zumindest ungefähr. Mit einer Co-Autorin schreibe er ein halb-autobiografisches Buch über einen türkischen Jungen, der im Odenwald aufwachse und „nichts Negatives zu erzählen“ hat. Das Buch, das lustige Anekdoten enthalten soll, sei fast fertig.
Aber Gueler weiß auch, dass es für Jugendliche schwer sein kann im Odenwald – weil mehr und mehr Lokale verschwunden seien und man ohne Auto festhänge. Für ihn, der bereits mit 14 Platten auflegte, kam nach Fachabi und Ausbildung zum Fremdsprachenassistent der Abschied. Ohrringe, Tattoos schon damals: „Ich war eigentlich zu bunt für den Odenwald“, sagt er. Wäre er geblieben, wäre er eingegangen. „Was nicht heißt, dass ich meine Heimat dort nicht liebe. Denn da liegen meine Wurzeln.“ Einer Frau zuliebe ging er nach Berlin, das ebenfalls eine „große Liebe“ wurde. Sein Handtattoo „Hirschbär“ steht für die Verbundenheit mit Berlin (Bär) und dem Odenwald (Hirschgeweih). Er arbeitete fast zehn Jahre bei einer Plattenfirma, dann kam die Scheidung, er kündigte, landete auf der Straße, rappelte sich auf und startete als Event-DJ, Schauspieler und Tattoo-Model wieder durch. Corona bremste ihn wie so viele aus – und stoppte auch die regelmäßigen Fahrten in den Odenwald. Um Geld zu verdienen, machte der dreifache Vater 2020 bei der Sat.1-Show „Promi Big Brother“ mit – „der größte Fehler meines Lebens“, wie er heute sagt. Denn Gueler, der sich als sehr sozial beschreibt, wirkte mitunter sehr gereizt und sah sich – nach Streits mit Mitbewohnerinnen – bald in der Rolle des „bad boy“. Nach sechs Tagen stieg er aus.
Inzwischen sind seine finanziellen Reserven aufgebraucht. Aber das könne sich wieder ändern. Mit einem Freund hat er in den USA einen Vertrag für eine Single unterschrieben. „Und wenn alles gut läuft, bin ich bald wieder im Fernsehen zu sehen.“
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