Mannheim. Eine der großen Sängerinnen des Jazz hat die Bühne für immer verlassen. Sheila Jordan ist, wie am Dienstag bekannt wurde, tags zuvor in ihrer Wohnung in New York verstorben, mit 96 Jahren. Dass das Alter eine Lebensphase voller Beschwernisse und Limitierungen ist, hat diese Ausnahme-Persönlichkeit stets eindrucksvoll widerlegt. Vor vier Jahren, mit fast 93, war sie im Mannheimer Ella & Louis zu Gast.
Ich hatte die Ehre, über das Konzert zu berichten, muss aber zugeben, dass ich etwas skeptisch war, was man von der hochbetagten Dame zu erwarten hatte. Mit dem Fotografen Manfred Rinderspacher traf ich mich vor dem Auftritt im Eingangsbereich des Jazzclubs. Auch er war sich über die Bühnentauglichkeit der Sängerin nicht so ganz sicher. Dann stand sie plötzlich neben uns. Mein Kollege fragte sie höflich, ob er ein Foto von ihr machen könne. Da erhob sie ihre Stimme – und die war metallisch und durchdringend. „Junger Mann“, dröhnte sie und stemmte ihre Arme wie Mae West in die Hüften, „geben Sie einer Dame etwas Zeit, um sich zurechtzumachen!“
Schlagartig waren sämtliche Vorbehalte eines berufsskeptischen Journalisten zerstoben und hinweggefegt. Das zeigte sich auch während Jordans Darbietung. Vom ersten Moment an ließ sie keinen Zweifel daran, wer bei diesem Konzert, das sie mit zwei jungen, wahrlich exzellenten Sängerinnen bestritt, im Mittelpunkt stand. Mit robuster Stimme, schlagfertiger Moderation und starker Bühnenpräsenz stellte Sheila Jordan unter Beweis, dass man auch mit über 90 vor Vitalität nur so strotzen kann.
Nie werde ich diese Begegnung vergessen. Sie hat einem Mut gemacht.
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Bergsträßer Anzeiger Plus-Artikel Zeitzeichen Unvergessliche Begegnung mit Sheila Jordan
Sheila Jordan ist tot. Unser Kolumnist erinnert sich an seine Begegnung mit der Jazzsängerin in Mannheim.