Viernheimer Innenstadt

Viernheimer Kaffeeröster André Zehm: „Qualität setzt sich durch“

Das Café Artezania in der vermeintlich ungeliebten Viernheimer Fußgängerzone brummt. Ein Besuch in dem Laden, der so gar nicht zum Vorurteil passt.

Von 
Martin Schulte
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André Zehm – vom Einzelhandelskaufmann zum lächelnden Kaffeeröster und Barista. © Martin Schulte

Viernheim. Sie sitzt drinnen, direkt am großen Fenster zum Apostelplatz, und liest entspannt in ihrem Wälzer. Hereinspaziert. Ein umwerfender Kaffeeduft, frisch, kraftvoll. Und die Leute zwischen 30 und 60 sitzen oder stehen an den Tischen und unterhalten sich angeregt bei Kaffee und einer Kleinigkeit zu essen. Gute Laune. Heute, Anfang November, scheint die Sonne auf den Apostelplatz. Deshalb auch draußen in den Bistrostühlen: gute Laune. Wo wir sind? Viernheim. Innenstadt. Mittendrin. Von wegen, die City ist tot. Ein Perspektivwechsel.

Dieser Kaffeeduft ist wirklich umwerfend. Für Kaffeetrinker allemal. Allgegenwärtig, aber nicht aufdringlich. Die Tassen der Gäste allein können es kaum sein. Nein, André Zehm (41) röstet im Café Artezania montags, am Ruhetag. „Aber immer wieder auch dienstags und mittwochs vor der Öffnung, wenn ich viele Bestellungen habe.“ Der Duft, den die Röstmaschine freisetzt, hat sich eingenistet in dem Raum. Herrlich.

Umwerfend ist der Aufenthalt auch ganz allgemein. Kaffeehausatmosphäre. Nur die Größe passt nicht zu dem Begriff. Eine Handvoll Tische, zwei hohe, lange Tische mit Barhockern an den Fenstern. Aber die Atmosphäre passt: Entspannte Leute intensiv im Gespräch vertieft. Und solche, wie die Dame mit dem Wälzer. Hier sind alle per Du, Personal und Gäste. Inhaber Zehm meldet sich am Telefon mit „Artezania, André, hallo.“

André Zehm vom Café Artezania in Viernheim: Ausbildung zum Barista, Kaffeeröster und in Sensorik

André ist Einzelhandelskaufmann, er hat als Marktmanager gearbeitet und im Vertrieb. Bis sich seine Leidenschaft für den Kaffee durchgesetzt hat. Ausbildung zum Barista, Ausbildung in Sensorik, Ausbildung zum Kaffeeröster bei verschiedenen Kaffeeschulen. Vor dreieinhalb Jahren hat er das Artezania aufgemacht.

Und die meisten Gäste von Tag eins kommen heute noch. Wir haben sehr viele und sehr treue Stammgäste.
André Zehm Inhaber Café Artezania

Bei unserem Treffen vormittags um elf sind alle Tische besetzt, nur die Hocker an den Fenstern sind noch frei. Noch. Der Laden brummt? Andrés Strahlen ist Antwort genug. Apropos Strahlen. Er ist ein freundlicher, zugewandter Typ, dieser Barista. Seine Mitarbeiter sind es auch. Hier stimmt die Chemie.

Hat es lange gedauert, bis sein Café angenommen wurde. Kurz nachdenken. „Nein, es lief vom ersten Tag an. Und die meisten Gäste von Tag eins kommen heute noch. Wir haben sehr viele und sehr treue Stammgäste. Dafür bin ich dankbar.“ Wie ihm das gelungen ist? „Qualität setzt sich durch. Die Gäste kommen ganz gezielt, um hier einen guten Kaffee zu trinken.“

Fußgängerzone in Viernheim: Trotz teils schlechtem Ruf der Innenstadt läuft das Café

Wir wissen, dass die Viernheimer Fußgängerzone verglichen mit solchen in der Umgebung vielleicht kein Hotspot ist. Aber wie entsteht diese Divergenz in der Wahrnehmung – Andrés Laden brummt, wie andere hier auch, trotzdem wird doch immer wieder schlecht geredet über die City. Der Barista kennt das Thema aus Gesprächen mit den Gästen. Außerdem lebt er selbst in Viernheim. Nein, tot sei sie wahrlich nicht, die City.

„Aber die Kundschaft kommt eben nur ganz gezielt zu einzelnen Geschäften. Es bräuchte ein Geschäft mit größerer, allgemeinerer Anziehungskraft. Ich höre immer wieder, dass die Leute hier einen Drogeriemarkt vermissen.“ Diesen Anspruch teilt André. „Der würde viel mehr Frequenz bringen.“ Es ist noch lange nicht so weit. Aber wenn nach dem mehrheitlich beabsichtigten Abriss des alten Rathauses freier Raum entsteht, bestünde hier womöglich eine Chance. Wie berichtet, will die Stadt die Bevölkerung in die Entwicklung des Areals einbeziehen.

Café Artezania: 83 von 100 Qualitätspunkten der internationalen Kaffee-Skala

Zurück zur Qualität. André erklärt, seine Bohnen ausschließlich von kleinen Fincas zu beziehen. Aus Mexiko, Brasilien, Kolumbien, Äthiopien, Indien. „Ich kaufe nur Bohnen, von denen ich weiß, wo sie herkommen. Und wenn ich weiß, dass die Bauern dort anständig bezahlt werden.“ Der Kaffee, der im Artezania genossen wird, ist ausnahmslos von ihm selbst geröstet. Das Kilo zum Mitnehmen kommt auf knapp 35, 90 Euro. Qualität setzt sich durch. Und hat ihren Preis. André berichtet von einer internationalen Punkteskala für Qualität, sie reicht bis Hundert. „Meine Kaffees liegen bei 83 Punkten. Hundert sind gar nicht erreichbar.“

Die Röstmaschine trägt zum Wohlgeruch in dem Café bei. Sie läuft immer montags, dem Ruhetag. © Martin Schulte

Hat es großen Mut gebraucht für den Schritt, das Café zu machen? Kurz nachdenken. „Nein, nicht wirklich. Aber ohne den Rückhalt der Familie – ich weiß nicht.“ Andrés Frau macht die Buchhaltung. Seine Schwester hilft hinterm Tresen, die Schwiegermutter auch. Letztere backt übrigens auch die Kuchen.

Und der Name – Artezania? Das ist spanisch und heißt so viel wie Handwerkskunst. „Das schreibt man eigentlich mit S. Ich habe es durch Z ersetzt. Meine Initialen. AZ.“

Redaktion Reporter.

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