Vasco da Gama ist nicht zu Hause, die Fensterläden des weiß getünchten Häuschens am Altstadtrand von Sines an der Alentejo-Küste sind geschlossen. Schon vor über 500 Jahren ist er ausgezogen.
Er hatte Großes vor, musste aufbrechen. Die neuen Besitzer pflegen das Häuschen gut und sind doch selten da. An der Klingel steht kein Name, aus dem Briefkasten quillt Werbung. Irgendwer hat eine Tafel an die Fassade gemörtelt: „Hier wurde Vasco da Gama geboren“. 1468 oder 69 muss das gewesen sein.
Portugal
Anreise Flug mit TAP Portugal (www.flytap.com) nach Lissabon, Leihwagen z. B. bei Sunnycars (www.sunnycars.de).
Unterkunft Das Landhotel A Serenada Enoturismo thront landschaftlich reizvoll oberhalb eines großen Korkeichenwaldes in einem Weinbaugebiet, Doppelzimmer ab 80 Euro, www.serenada.pt. Das Hotel Casa do Médico de São Rafael befindet sich in einem historischen Gebäude zentral in Sines. Doppelzimmer mit Frühstück ab 146 Euro, buchbar z. B. über www.booking.com. Gut und günstig wohnt man im familiären Drei-Sterne-Hotel Veleiro, Doppelzimmer mit Frühstück ab 92 Euro, ebenfalls buchbar über das Portal www.booking.com.
Allgemeine Informationen Portugal-Turismo, www.visitportugal.com Alentejo-Region, www.visitalentejo.com.
In Sines an der portugiesischen Atlantikküste sind sie stolz auf den großen Sohn, der einst den Seeweg nach Indien entdeckt hat. Ein überlebensgroßes Denkmal neben der Festung zeigt einen stämmigen Mann mit gerader Haltung und entschlossenem Blick: Er schaut hinaus auf die Weite des leeren Ozeans, der hinten am Horizont noch genauso mit dem Himmel verschmilzt wie vor mehr als einem halben Jahrtausend.
Doch das reicht nicht aus, um einen Mann für Sines einzunehmen, der in Lissabon ein Antiquitätengeschäft führt. Auch sein Name: Vasco da Gama. Wie der Ururopa, ein direkter Nachkomme in 17. Generation. Ihn zieht es nicht oft in die 13 000-Einwohner-Stadt: „Was soll ich da?“, fragt Dom Vasco da Gama. Der Mann, Jahrgang 1954, heißt wie sein berühmter seefahrender Vorfahr. So wie die längste Brücke Europas, wie ein Krater auf dem Mond, ein Einkaufszentrum in Lissabon, wie Fußballvereine in Rio, Kapstadt und Goa. Vorteile bringt es ihm nicht – nicht mal in einer Polizeikontrolle, wenn er den Ausweis zücken muss. Er ist weder prominent, noch drängt er sich danach. Er ist zurückhaltend, gebildet, ein bisschen melancholisch. Irgendwie typisch portugiesisch.
Ob Vasco da Gama die Leidenschaften des großen Vorfahren teile? Ob er gerne segeln gehe? Er lächelt. „Ich habe kein Boot. Ich hatte auch nie eines. Die meisten Portugiesen haben keines. Und ich werde sogar schnell seekrank.“ Nicht alles, scheint es, liegt in den Genen. „Wissen Sie“, sagt der schmale Mann mit der Hornbrille, „der Ritterorden von Santiago hat meinen Vorfahren damals aus Sines gejagt, er musste nach seinen Entdeckungsreisen nach Vidigueira umsiedeln. Unsere Familie hat keinen Besitz in Sines, keinen Bezug mehr zu dieser Stadt.“ Und als sie dort neulich feierlich die neu gepflasterte Fußgängerzone eingeweiht haben, in deren Oberfläche mit dunkleren Steinen kunstvoll die Silhouetten der breitbauchigen portugiesischen Karavellen-Variante aus dem 15. Jahrhundert eingearbeitet sind, ist er nicht hingefahren.
Dabei ist Dom Vasco stolz auf die Familiengeschichte, hat sogar mal in Los Angeles eine Auszeichnung für den Vorfahr entgegengenommen, der im Jerónimos-Kloster von Belém ruht. Es wirkt seltsam, wenn jemand, der Vasco da Gama heißt, flüchtig auf den riesigen Marmor-Sarkophag deutet, dabei „Vasco da Gama!“ murmelt und dann den Kopf senkt wie ein Dirigent, der allen Applaus seinem Orchester zugedenkt.
In Sines hatte bereits die letzte Wirtschaftskrise Spuren hinterlassen. Im Hafen war der Umschlag deutlich zurückgegangen, und am Stadtstrand Praia Vasco da Gama feierten sie nicht mehr wie früher. Die Fischerboote, die im seichten Wasser dümpeln, warten auf einen neuen Anstrich, manche Restaurants in der Altstadt sind geschlossen. Aber auf dem Platz vor der Burg hat einer neue Sonnenschirme aufgestellt, neue Tische und Stühle angeschafft und versucht es noch mal. Aus dem alten Bahnhof haben sie ein kleines Theater gemacht. Regelmäßig putzt jemand die historischen Fliesen an der Fassade. In mehreren Szenen erzählen sie die Geschichte von der Entdeckung des Seeweges nach Indien. Was sonst. Die Stadt hofft auf den Tourismus. Der funktioniert auch in der Krise irgendwie. Kein Wunder angesichts der kilometerlangen Alentejo-Strände, kein Wunder angesichts des milden Klimas, der vielen Sonne, der niedrigen Preise.
Ob Dom Vasco selbst mal nach Indien möchte, nach Cochin, wie sein berühmter Vorfahr? Jetzt entfährt es dem freundlichen Mann in aller Deutlichkeit: „Auf keinen Fall!“ Er macht eine Pause. „Mein Vater war da. Es muss sich angefühlt haben, wie nach Jahrzehnten auf Besuch ins längst an wildfremde andere Menschen verkaufte Elternhaus zurückzukehren.“ Das tue man doch auch nicht.
Dom Vasco Xavier Teles da Gama ist spezialisiert auf portugiesische Militaria, Wappen und Alltagsgegenstände aus dem 17. bis 19. Jahrhundert. Den berühmten Namen des Antiquitätenhändlers erfahren nur Kunden, die um seine Karte bitten. Ihre Reaktion? „Sie sind verblüfft. Manche möchten ein gemeinsames Foto, einer wollte mal ein Autogramm.“
Am Meer schätzt der Graf den Strand. Zum Spazierengehen. Ansonsten ist sein Blick eher ins Hinterland gewandt, weg von der Küste, von Sines, sogar weg von Lissabon: dorthin, wo er gerne ausreitet. Was Sines tut, um die Aufmerksamkeit der Familie zu erringen? Nichts. Man ignoriert sich gegenseitig. Es stört nicht, wenn man einander übersieht – und einen trotzdem ein gewisser Stolz verbindet: auf Vasca da Gama, geboren in Sines.
Der Ritterorden hat meinen Vorfahren aus Sines gejagt. Vasco da ...
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