Griechenland

Wann Santorini am schönsten ist

Wenn auf Santorin die Sonne im Meer versinkt, wird das zelebriert – inklusive Kampf um die besten Plätze Richtung Westen und Rückwärtszählen. Dabei ist die Stunde nach dem Sonnenuntergang noch viel schöner.

Von 
Helge Sobik
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Der Sonnenuntergang in Oia wird gefeiert, wann immer die Natur ihn auf den Spielplan hebt. © Helge Sobik

Irgendwer hat ganz plötzlich den Mond über der vorgelagerten Insel Thirasia gehisst, Sterne an den Himmel geklebt, jemand anders die Musik eingeschaltet: nicht mehr laute Lounge-Musik, sondern leise griechische Gitarrenmusik, damit das Plätschern der Wellen an die Kaimauer von Ammoudi nicht übertönt wird.

Ab und zu klappert Geschirr auf den kleinen Tischchen, knarzt ein strohbespannter Holzstuhl, lachen Menschen. Es ist Abend geworden auf Santorin, stiller geworden in Ammoudi, dem alten Hafen am Fuß des Steilhangs 290 gepflasterte Stufen unterhalb von Oia. Dabei hat die Sonne erst vor einer Stunde als kreisrunder oranger Feuerball am Horizont auf der Wasserlinie direkt hinter einem Kreuzfahrtschiff aufgesetzt, um gleich danach ungebremst im Mittelmeer zu versinken.

Jeder Quadratmeter vor einer Bar wird zur Loge

Santorin

Anreise Flüge ab Stuttgart via Athen nach Santorin mit Aegean Air, www.aegeanair.com, oder und mit Lufthansa, www.lufthansa.com ab Frankfurt.

Reisezeit Die Saison auf Santorin dauert von Anfang/Mitte Mai bis Mitte Oktober, die Hochsaison ist von Juli bis Anfang September.

Unterkunft Übernachtung im luxuriösen Hotel Perivolas Traditional Houses am Ortsrand von Oia ab 287 Euro pro Person und Nacht, www.perivolas.gr.

Günstiger ist z. B. das Apartmenthotel Merovigliosso in Imerovigli. Studios für zwei Personen gibt es bereits ab 94 Euro, z. B. über www.booking.com.

Essen und Trinken Die Speisekarte von Dimitri’s am Kai von Ammoudi unterhalb von Oia wechselt täglich und hängt immer davon ab, was die lokalen Fischer morgens von der Fangfahrt mitgebracht haben. Am Tresen in der Küche suchen Gäste sich den Fisch ihrer Wahl aus. Geöffnet ab 11.30 Uhr, mittleres Preisniveau, www.dimitris-ammoudi-restaurant.com.

Allgemeine Informationen Griechische Zentrale für Fremdenverkehr, www.visitgreece.gr, bzw. Marketing Greece, www.discovergreece.com.

Es duftet nach gegrilltem Fisch, nach Krustentieren und Muscheln, nach Koriander, Salbei, Knoblauch, nach Gurke, Tomate und nach Holzkohle. An den Pollern sind die Kutter der Fischer vertäut, schwappen auf den Wellen vor der Taverne Dimitrios ganz am Ende der langen Restaurant-Zeile hin und her. Romantisch ist es hier, obwohl die Plätze nachgefragt und die Tische in der Saison fast jeden Abend alle belegt sind, manche sogar mehrfach nacheinander. Weil geradeaus das Meer ist, im Rücken der Felsen.

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„Als Kind hatte ich mal den Traum, jedem in der Welt die Hand zu schütteln“, sagt Wirtin Joy Kerluke. „Es sind viele geworden im Laufe des Lebens – aber viel weniger, als wenn wir die Taverne damals vor über 30 Jahren oben in Oia eröffnet hätten.“ Obwohl auch hier unten inzwischen mehr los ist als noch vor ein paar Jahren. Namensgeber Dimitrios steht derweil am Grill, wendet Doraden, Tintenfisch-Arme, Sepia-Tuben – und schweigt. Als Fischer kann er das gut, Rummel braucht er nicht.

Eben noch war es eng in den Gassen, ziemlich voll auf den Terrassen der Bars und Restaurants oben in Oia, schon seit über einer Stunde vor Sonnenuntergang nirgendwo mehr ein Platz mit Blick Richtung Westen und die Chance, einen bunten Cocktail zu bekommen: weil die Aussicht so schön ist. Mehr noch aber weil rückwärts gezählt wird wie in der letzten Minute an Silvester. Weil dort dann stets laute Lounge-Musik mit ein paar griechischen Zwischentönen aus den Boxen scheppert, es gleich Applaus geben wird. Ein bisschen hält sich dieser Sound danach über dem Örtchen an der Steilküste im äußersten Nordosten der Insel und bald darauf löst sich alles wieder auf und verteilen sich die Menschen in alle Himmelsrichtungen: zurück in die Ferienhotels von Kamari auf der gegenüberliegenden Seite der Insel, heim in die berühmten und oft sündhaft teuren Höhlenhotels von Oia, Imerovigli und Firostefani. Oder hinunter nach Ammoudi, um von der Kaimauer aus auf Mond und Sterne zu schauen – und fangfrischen Fisch vom Grill zu essen.

Über die ganze Saison von Mai bis Anfang Oktober hinweg wird der Sonnenuntergang in Oia von ständig wechselndem Publikum gefeiert, wann immer die Natur ihn auf den Spielplan hebt, und das ist fast immer, denn Wolken und Nebel haben um diese Jahreszeit Seltenheitswert in der Ägäis. Jede Terrasse, jeder waagerechte Quadratmeter vor einer Bar, auf den sich ein hellblaues Holzstühlchen stellen lässt, wird zur Loge.

Dabei ist es der Moment danach, um den es eigentlich geht: wenn die Fassaden der Häuser im letzten Licht orange zu leuchten scheinen, die Farbe in ein seltsames Übergangshellblau wechselt, in diesen flüchtigen Ton zwischen Tag und Nacht – bis unversehens Sterne und Mond da sind, die Straßenbeleuchtung übernimmt. Die vielen Tischchen mit Souvenirs werden abgetakelt, die Auslagen für die Nacht nach drinnen geräumt: Feierabend in Oia, Schluss mit Rummel, wenn die Sonne weg ist. Winzer Paris Sigalas hat für diese Zeit einen persönlichen Lieblingsplatz, von dem aus er seine Weinreben bei Baxedes auf der Hochebene östlich von Oia sehen kann: die Kirche Kyra Panagia. Dort hockt er dann gerne auf den Stufen, betet erst, gerät schließlich ins Träumen. Es ist für ihn der entspannendste Moment des Tages. Auf über 20 Hektar baut Paris Sigalas Wein an: den harzigen Assyrtiko-Athiri vor allem, ein kräftiger Tropfen, mit Geschmack nach Nüssen und Honig. Seinen Vin Santo verkauft er an die besten Tavernen auf Santorin. Weil der Geschmack so gut hierher passt, zu dieser Zeit nach dem Sonnenuntergang, zu der zurückgewonnenen Besinnlichkeit. Ob es so etwas wie einen zweitschönsten Moment auf Santorin gibt? Das ist der Sonnenaufgang - und es sind die zwei Stunden unmittelbar danach, wenn die Farben kräftiger werden, die Fassaden zu leuchten beginnen. Und ganz langsam das Leben in die Straßen zurückkehrt - so langsam, das noch Zeit für ein Lächeln, ein Gespräch und einen griechischen Mokka im Café ist.

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