Viele Inselgesichter

Madeira zeigt bei jeder neuen Wanderung andere Facetten. Mal karg und trocken, mal bergig beim Gipfelstürmen, mal so, als hätte man sich in einen Dschungel verirrt.

Von 
Sascha Rettig
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Trocken und felsig - wandern auf dem östlichsten Zipfel Madeiras, einem Kap, der Ponta de São Lourenço. © Sascha Rettig

Wie ein Vorhang hängen die dicken Nebelschwaden auf der einen Seite des schmalen Pfads. Hinter den Büschen und Bäumen, die ihn säumen, schaut man daher auf der Wanderung zum Caldeirão Verde, dem grünen Kessel, vor allem ins Nichts, ins weiße Nichts. Eine grandiose Bergaussicht wird so zwar verhindert, dafür bleiben jedem höhenängstlichen Wanderer kleinere Schweißausbrüche erspart, weil man eben auch nicht die vielen, vielen Meter in den steilen Abgrund schaut, der direkt dahinter lauert. Stattdessen konzentriert man sich auf die direkte Umgebung – und in der scheint alles überall zu fließen.

Nicht nur, dass es zu Beginn der Wanderung angefangen hat zu regnen. Das Wasser rinnt auch an den Felswänden entlang. Dicke Tropfen liegen auf den Blättern, hängen im Moos, fallen in die Pfützen auf dem Waldboden. In der Levada, diesem alten Bewässerungskanal, fließt es stetig vor sich hin. Und beim ersten Wasserfall stürzt es eindrucksvoll aus der Höhe. Selbst in der Luft hängt die Feuchtigkeit in dieser tropischen Waschküche. Wie ein Amphibium läuft man staunend Schritt für Schritt durch das Sattgrün des geheimnisvoll anmutenden Waldes dieser klammen Dschungelhöhle. Das Ziel in diesem Fall: der Wasserfall im grünen Kessel.

madeira

Anreise Von Stuttgart fliegen viele Airlines Madeira mit mindestens einem Zwischenstopp an, z. B. Lufthansa, www.lufthansa.com, oder TAP, www.flytap.com.

Unterkunft Auf der Nordseite als Ausgangsbasis ist das Quinta do Furão in Santana ein hübsches Hotel mit Pool direkt an der Steilküste (DZ ab 85 Euro inkl. Frühstück, www.quintadofurao.com/en/Home). Die meisten Hotels befinden sich allerdings im Süden Madeiras, wo neben der Hauptstadt Funchal der Ort Caniço bei Aktivurlaubern beliebt ist. Das Galomar Hotel dort verfügt über einen Spa-Bereich, Pools, direkten Zugang zum Meer und Restaurants. (DZ ab 110 Euro inkl. Frühstück, Halbpension buchbar, www.galoresort.com).

Aktivitäten Auf der Insel findet man einige Anbieter für geführte Touren; darunter ist beispielsweise Adventure Kingdom, wo verschiedene Aktivitäten wie Levada-Wanderungen gebucht werden können. www.madeira-adventure-kingdom.com. Ausführliche Informationen zu Wandermöglichkeiten auf Madeira findet man unter www.visitmadeira.pt.

Allgemeine Informationen https://www.madeiraallyear.com/de/

Dieser beliebte Wanderweg ist Teil eines großen Netzes an Wanderwegen, das Madeira überzieht: zwischen der dicht besiedelten Südküste mit der wie ein Amphitheater in die Berge gebauten Hauptstadt Funchal bis zu den dramatischen Felsszenerien der Nordküste. Über 2000 Kilometer sollen auf der portugiesischen Atlantikinsel allein an den Levadas entlangführen, die ab Ende des 15. Jahrhunderts zunächst von Sklaven ins Gestein gehauen wurden, um Wasser aus dem wasserreichen Norden in den trockenen Süden zu leiten. Manchmal kann man auf den Wanderentdeckungen kaum glauben, dass man sich immer auf derselben Insel befindet. So unterschiedlich zeigt sich Madeira; so verschieden sind die Gesichter.

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Ganz anders als im grünen Kessel sieht es beispielsweise schon aus, wenn man die Gipfel im Visier hat. Den höchsten Berg, den Pico Ruivo, könnte man sich durchaus etwas härter erarbeiten, indem man die Wanderung mit dem zweithöchsten Berg Pico das Torres oder sogar mit dem dritthöchsten Berg Pico de Arieiro kombiniert. Schließlich führt ein Pfad über steilere An- und Abstiege von einem Gipfel zum anderen. Man kann aber durchaus etwas gemütlicher vorgehen: den Mietwagen am Parkplatz Achada do Teixeira auf 1640 Metern stehen lassen und auf dem direkten Weg zum Gipfel starten. Knapp drei Kilometer ist er lang, gut gepflastert, und man muss lediglich noch 220 Höhenmeter überwinden, um ganz oben anzukommen.

Seinen Namen hat der Pico Ruivo von der roten, eisenhaltigen Erde dort. Viele Heidebüsche sorgen in dieser Höhe für etwas Farbe. Zwischendrin breiten immer wieder knorrige Baumgerippe geisterhaft ihre Astknochen aus. Vor allem aber hat man hier Augen für die Weite und die Berge, in denen die Wolken ganz mystisch hängen bleiben. Auf 1862 Metern und weit über den Wolken angekommen, hat man einen großartigen Rundumblick auf die Bergwelt. Wirklich verdient durch Schweiß und Steigung hat man sich den Gipfel nicht. Letztlich ist das zweitrangig. Selbst wenn die Wanderung verhältnismäßig einfach ist, wird man genauso belohnt wie die Wanderer, die den längeren Weg gewählt haben.

Wiederum ganz anders ist die Wanderung, die zur Ponta de São Lourenço führt, dem Kap, das wie ein schmaler Zipfel im Osten aus der Insel herausreicht und mit zwei vorgelagerten Inseln noch verlängert wird. Levadas gibt es dort keine. Und so nass wie im Norden, wo die Wolken in den Bergen hängen bleiben und sich abregnen, ist es hier auch nicht.

Im Gegenteil: Die Landschaft ist karg und steinig. Bäume wachsen kaum, dafür hat die Natur kunstvolle Formationen in Rot, Schwarz und Beige aus den Felsen herausgemeißelt, die man entlang des staubigen Pfads nach und nach entdeckt. Außerdem sieht man beim Wandern unter der prallen Sonne über diesen Inselfortsatz aus der Entfernung malerische Buchten wie die Baia de Abra und einen für Madeira typischen Kiesstrand.

Im weiten Blau bis zum Horizont über den Atlantik tauchen hin und wieder Schiffe und Segelboote auf. Die Küste ist dabei rau und zerklüftet. Die Wellen rauschen gegen die steilen Klippen, die mit jedem Schwappen noch ein wenig mehr ausgewaschen werden. Es ist pure Ozeandramatik, bei der man die Kraft des Meeres spürt. Einziges Zeichen der Zivilisation ist das kleine Restaurant Cais do Sardinha, auf das man die ganze Zeit zuläuft. Umsäumt von Palmen erinnert es an eine Oase in der Wüste, in der im herbeigesehnten Schatten bei einem kalten Bier eine Rast eingelegt wird. Hier muss man sich auch entscheiden: Zurückzuwandern oder doch noch ein Stück weiter auf den Berg hinauf, um so weit östlich zu kommen, wie es möglich ist.

Zurück im grünen Kessel, der sehr besonders und doch typisch für ein Levada ist. Trotz einer Strecke von über 20 Kilometern ist die Wanderung nicht herausfordernd. Schließlich gibt es mit einem Meter pro Kilometer kaum ein Gefälle. Auch der Weg ist einfach zu finden. Man folgt einfach nur immer dem Pfad über den Waldboden, entlang der Abgründe, durch klamme, dunkle Tunnel, für die man am besten eine Taschenlampe dabeihat, bis man zum großen Finale den Wasserfall erreicht, ihn kurz bewundert und dann denselben Weg zurücklaufen muss. Mittlerweile ist es schon recht spät. Auf den letzten Kilometern fängt es langsam an zu dämmern und auch die sonst sehr zuverlässige Regenkleidung hat in diesem nassen Dschungel inzwischen jeden Widerstand aufgegeben. Völlig durchnässt, aber glücklich geht es zurück - bis morgen noch einmal eine andere ganz neue Seite der Insel erkundet wird.

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