Sommer in Orange

Sie leuchtet rötlich, ist saftig und schmeckt süßsauer: Zwischen Melk und Krems in Niederösterreich dreht sich fast alles um die berühmte Wachauer Marille.

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Claudia Linz
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Alles gelb-rot: Mann, Frucht, Korb © Claudia List, imago/Shotshop/Vitalii Borovyk

Hochsommer im Marillengarten: Daniel Mach schüttet in der Mittagshitze die leuchtend orangefarbene Ernte in den Anhänger. Der 30-Jährige hat ein Händchen für die Früchte. „Ist die Marille erntereif, lässt sie sich mit einer sanften Drehbewegung behutsam vom Baum pflücken“, erklärt er. Er spürt genau, ob sich das Steinobst gleich in seine Hand fallen lässt oder ob noch einige Sonnenstunden mehr nötig sind. Denn anders als bei anderem Obst reifen die Früchte der Marille nicht zum selben Zeitpunkt.

Die Bäume werden über Wochen nach und nach geleert und täglich behutsam geschüttelt. Die, die vom Baum fallen, lesen junge Helferinnen mit Eimern vom Boden auf. Später werden die Marillen zu Marmelade, Röster, Nektar, Chutney, Brand, Likör und Perlwein, aber auch zu Marillenkren und Marillenschokolade weiterverarbeitet oder mit Speck ummantelt serviert.

Wie wär's mit einem Marillenspritz?

Im Weingasthof Aufreiter unten im Dorf Angern beginnt derweil das Mittagsgeschäft. „Was darf’s zum Trinken sein? Ein Marillenspritz?“, fragt Adi Tanzer in die Runde, während seine Frau Ilse Tanzer-Aufreiter in die Schule der Marillenknödelzubereitung einführt. Die gibt es mit Kartoffel-, Topfen- oder Brandteig, und fast jeder habe sein Geheimrezept, erzählt sie. Manche lassen den Kern in der Marille, manche ersetzen ihn durch ein Stück Würfelzucker, pur oder mit Espresso getränkt.

Wachau

Anreise Mit dem Zug über München oder Nürnberg nach Krems, www.bahn.de.

Unterkunft Ad Vineas Gästehaus Nikolaihof in Mautern mit angeschlossenem Demeter-Weingut und Restaurant, DZ/F ab 106 Euro/Nacht, www.advineas.at. Auf einem Marillenhof übernachten kann man zum Beispiel in einer der Ferienwohnungen auf dem Weinhof Aufreiter in Krems-Angern, mit Frühstück ab 76 Euro pro Person/Nacht, www.weinhof.at.

Essen und Trinken Weinbau Matthias Pöchlinger in Mitterarnsdorf, urige Schänke, www.poechlinger-wachau.at. Das Gasthaus Prankl in Spitz hat eine Terrasse mit schöner Aussicht, www.gasthof-prankl.at. Gasthaus Jell in Krems mit rustikaler Stube, www.amon-jell.at. Restaurant Loibnerhof in Unterloiben mit Garten und regionaler, pfiffiger Küche, https://www.loibnerhof.at/ Demeter-Restaurant Nikolaihof in Mauern, www.nikolaihof.at.

Aktivitäten Führung im beeindruckenden Stift Melk, www.stiftmelk.at. Spaziergang am Marillenweg in Krems-Angern, www.marillenweg.at. Führung durch das Benediktinerstift Göttweig, www.stiftgoettweig.at. Donauschifffahrt von Krems nach Spitz, https://ddsg-blue-danube.at. Schifffahrtsmuseum Spitz, www.schifffahrtsmuseum-spitz.at. Überfahrt mit der Rollfähre in Spitz, www.wachau-touristik.at. Landesgalerie in Krems, www.lgnoe.at. Weinverkostung in der Domäne Wachau, www.domaene-wachau.at. Spaziergang durch die Altstadt von Dürnstein, www.duernstein.gc.at.

Allgemeine Informationen Donau Niederösterreich Tourismus GmbH, www.donau.com DIA

„Wieder andere füllen Marzipan oder Nugat in die Marille“, ergänzt Tochter Kathi, die sich dazugesellt. Wirtin Ilse hat sich in diesem Sommer für eine Mischung aus Erdäpfel- und Topfenteig, einem Rezept ihrer Mutter Gertrude, entschieden, obwohl sie eigentlich die flaumig-luftige Konsistenz des Quarks bevorzugt. Denn werden die Topfenknödel abgeholt und nicht sofort nach der Zubereitung verspeist, verfärbe sich der Teig in ein unappetitliches Grau. Diesen Anblick reißt auch die perfekteste Wachauer Marille nicht raus, die laut Ilse Tanzer-Aufreiter ein rotes Backerl auf der Sonnen- und ein grünes Popscherl auf der Schattenseite haben muss. Wir nennen das im Dialekt „greaoarschert“, verrät sie lachend, während sich die Gäste im Innenhof des Restaurants die Wachauer Spezialität mit Marillensoße und in Butter gerösteten Semmelbröseln schmecken lassen.

Marillenknödel und -spritz, also mit Mineralwasser gemischter Nektar, werden im Sommer in fast allen Restaurants zwischen Krems und Melk serviert. Im Demeter-Weingut Nikolaihof in Mautern ebenso wie im Loibnerhof mit Gastgarten in Unterloiben. Draußen prägen etwa 100 000 Marillenbäume die Kulturlandschaft des österreichischen Weltkulturerbes Wachau. Reben klettern an den sonnenverwöhnten Steinterrassen in die Höhe und die Weine werden, etwa in der Domäne Wachau, in den Kategorien Steinfeder, Federspiel und Smaragd angeboten. Unten im Tal mäandert die Donau. Gerade steuert das Ausflugsschiff aus Krems den Ort Dürnstein mit seinem charakteristischen blauen Kirchturm an. Dort, in der heute sehr belebten Altstadt, wurde 1961 der Film „Mariandl“ gedreht, und passend dazu tönt das Volkslied aus dem Bordlautsprecher.

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Weiter geht es an verschlafenen Burgruinen vorbei bis nach Spitz. In dem hübschen Winzerort mit den Renaissance- und Barockhäusern im Herzen der Wachau gibt es ein Schifffahrtsmuseum, das die Besucher mitnimmt auf eine Reise durch die Geschichte der Donauschifffahrt. Ein in vielen Jahren detailgetreu nachgebautes Modell des letzten großen Segel-Kriegsschiffs auf dem Fluss, die Fregatte „Theresia“, wird gezeigt. Ebenso ist ein Schiffszug zu sehen, der von bis zu 60 Pferden stromaufwärts gezogen wird. Man nennt das Treideln, und dazu wurden am Ufer sogenannte Treppelpfade genutzt. Heute treten auf diesen Treppelpfaden Fahrradfahrer in die Pedale. Auf dem Rückweg von Spitz nach Krems etwa radelt man neben Weinterrassen auf der einen und der Donau auf der anderen Seite durch pittoreske Dörfer wie Wösendorf und Joching. Am Wegesrand werden frische Marillen und hausgemachte Marmeladen zum Kauf angeboten. Das Geld dafür wirft man in den Briefkasten.

Nach eineinhalb Stunden kommt das Benediktinerstift Göttweig in Sicht, das hoch auf dem Berg über dem Donautal thront. Dort droben, im höchsten Marillengarten der Wachau, stehen rund 50 Bäume und im „Marillenbaumkindergarten“ werden junge Bäumchen aufgezogen. Die Aussicht von der Höhe auf den Fluss und die sanft geschwungenen Hänge ist atemberaubend. Von der gegenüberliegenden Seite blickt man auf das Kirchlein von Klein-Wien am Fuße des Göttweiger Bergs, das sich, eingebettet in die liebliche Landschaft, wie das Arrangement einer Modellbahn ausnimmt. Familie Aufreiter aus Angern hilft dem Stift bei der Pflege der Marillenbäume und verarbeitet die reifen Früchte. Heute wird in der Produktion im Tal das Fruchtmark aus den sonnengereiften Früchten schonend erhitzt und in Vakuumbehältern von 1000 Litern gelagert. Ein Teil wird zu Kompott eingekocht.

Marillenkuchen, Marillenknödelrohlinge und Früchte für Marillenröster werden eingefroren, damit man das Jahr über nicht auf den Geschmack der Wachau verzichten muss. Im Hofladen nebenan bietet Katharina Aufreiter ein Sortiment an Marillenprodukten und das Kinderbuch „Lilli Marilli“ an, das sie selbst geschrieben hat. Bald ist die diesjährige Erntezeit vorbei, und die Marillengärtner werden es wieder einmal geschafft haben, mit ihren heiklen Früchten Schritt zu halten. Denn, so sagt man in der Wachau: „Der Wein wartet auf die Lese, aber die Marille eilt davon.“

Trotzdem ist bei aller Anstrengung überall die Freude an der Arbeit zu spüren. Im Hofladen und in der Produktion ebenso wie im Restaurant und im Marillengarten bei der Ernte. Daniel Mach freut sich darauf, auch im nächsten Jahr wieder dabei zu sein und die Wachauer Marillen von den Bäumen zu pflücken.

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