Reise

Paddeln auf der Lahn: Drei Tage im Kanu zuhause

Von 
Clemens Dörrenberg
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Das Gepäck wird in Tonnen und wasserdichten Säcken im offenen Kanu verstaut. © Clemens Dörrenberg

Die ersten Paddelschläge des Tages sind die schönsten. Ganz bewusst und gemächlich tauchen wir am Morgen des zweiten Tages unserer knapp dreitägigen Kanu-Tour die Stechpaddel in das bräunlich schimmernde Wasser der Lahn. Mit jedem sanften Schub gleitet unser Boot weiter durch den Fluss, der im Rothaargebirge entspringt, die hessischen Mittelgebirge Westerwald sowie Taunus durchfließt, bis er bei Lahnstein in den Rhein mündet. Soweit geht es für uns natürlich nicht. Trotzdem kommen wir an jenem Morgen gut voran und machen Meter um Meter vorwärts und damit flussabwärts. Es ist noch nicht zu heiß an diesem Hochsommertag und die Arme noch ausgeruht. Zu diesem frühen Zeitpunkt des Tages sind wir die Einzigen auf dem Wasser, Stille um uns herum. Mit jedem Zug gleiten wir ein Stück weiter in unbekanntes Land. Unsere Blicke richten sich neugierig nach vorne, um zu sehen, was uns um die nächste Biegung erwartet.

Hinter jeder Kurve Neues

Mein Neffe Luke sitzt vorne im Canadier. „Ich mache kleine Tornados“, sagt der Zwölfjährige, während er mit seinem Paddel bei jedem neuen Einstich das Wasser unter sich etwas aufwirbelt. Regelmäßig schaut er auf einen laminierten Plan, auf dem zentrale Wegmarken der Strecke, wie etwa die selbst zu bedienenden Schleusen, verzeichnet sind. Ein kleines Spiel ist es für ihn, die Markierungen am Flussufer zu entdecken, die nach jedem halben und vollen Kilometer hinter grünem Gestrüpp auftauchen und an denen wir uns orientieren können.

Die Uhrzeit ist schon länger in den Hintergrund getreten, dafür anderes wichtiger geworden. Hinter jeder Kurve wartet Neues. Schließlich zählt der gesamte Uferbereich zum Auenschutzgebiet. Seien es Eisvögel, Fische oder ein Graureiher, der uns mit krächzenden Lauten begrüßt und eine ganze Weile vor uns her fliegt, ja uns über mehrere Tage zu begleiten scheint. Oder sind das jeweils andere Reiher, die in unserem Rücken auftauchen und sich einige hundert Meter vor uns in sicherer Entfernung auf Steinen niederlassen? Sei’s drum, in jedem Fall ist es eindrucksvoll, die Tiere aus nächster Nähe und dank unseres tief liegenden Kahns fast wie aus der Schneckenperspektive zu beobachten. Während einer Rast am Flussufer begegnet uns auch eine Entenmutter mit ihren drei Jungen. Ziemlich nah schwimmen sie uns vorbei. Das Quartett scheint jedoch mehr an unserem Proviant als an uns interessiert zu sein.

Alles, was wir dabei haben, ist in wasserdichten Säcken im offenen Kanu verstaut, auch das Zelt, in dem wir an diesem Morgen in Weilburg, auf dem Campingplatz, erwacht sind. Am Vortag sind wir mit unseren Rädern in der Bahn nach Solms, südlich von Wetzlar, gereist, um dort das Paddel-Abenteuer zu starten. Die wichtigste Frage, die Luke bei hochsommerlichen Temperaturen interessiert hatte: „Kann man in der Lahn schwimmen?“ Julien Kruse vom Kanuverleiher Lahn-Tours, der uns seine Ausrüstung stellt, hatte geantwortet: „Fast überall.“ Nur in zu seichtem Wasser, das wir unterwegs aufgrund des trockenen Sommers des Öfteren sehen sollten, sowie an Stellen mit zu großen Strömungen ginge es nicht, hatte Kruse berichtet, der uns eine Einleitung sowie Sicherheitshinweise mit auf den Weg gegeben hatte. „Drei Tage wird das Kanu euer Zuhause sein“, hatte er gesagt. Sein Kollege Thiemo Walter hatte, an Luke gewandt, gescherzt: „Guck öfter mal, ob hinten auch gepaddelt wird.“ Aber selbstverständlich. Doch in der Tat kristallisiert sich auf der Lahn heraus, dass ich nicht nur paddle, sondern vor allem mit Kurskorrekturen beschäftigt bin, indem ich das Paddel etwas gegen die Fahrtrichtung drücke. Zu Beginn haben wir beiden Paddel-Anfänger noch etwas Schwierigkeiten, einen gleichmäßigen Takt zu finden. Das legt sich aber.

Lange können wir bei der Hitze nicht bis zur ersten Schwimmpause warten. Also das Kanu kurz unter einem Stein angeleint und ab ins Wasser. Herrlich frisch ist das Nass bei einer Temperatur von etwa 20 Grad vor allem dank der Strömung. Das ist neu für Luke. Im Meer ist er schon geschwommen. Aber eine Flussströmung ist doch etwas ganz anderes: ein großer Spaß. Später wieder im Kanu tauchen wir unsere Hüte ins Wasser und setzen sie uns zur Abkühlung wieder auf die Köpfe. So haben wir buchstäblich den „nasse’ Hut uff“, wie es auf Hessisch heißt.

Abenteuer Schleuse

Von einem durchschnittlichen Paddel-Tempo von drei bis vier Kilometern pro Stunde hatte Julien Kruse gesprochen und uns empfohlen, Schleusen im Schlepptau anderer Kanuten zu durchfahren und von ihnen bedienen zu lassen. Wer es - wie wir - noch nie gemacht hat, dürfte sich mitunter zunächst etwas überfordert fühlen, trotz Bedienungsanleitung. Unglücklicherweise sind am Abend von Tag eins, an dem wir die erste Schleuse unserer Reise erreichen, nirgendwo Kanuten zu sehen. Ein freundlicher Stand-Up-Paddler aus der Umgebung schleust uns hindurch. Und auch durch den Weilburger Schiffstunnel, ein Überbleibsel aus Zeiten des Erzabbaus, leitet uns nach unseren erfolglosen Versuchen ein Einheimischer durch die Doppelschleuse. Dann ist endlich der Zeltplatz in Sicht und das Tagesziel erreicht. Das war genug Abenteuer für heute.

Reise-Infos

Die Lahn misst von ihrer Quelle im Rothaargebirge bis zur Mündung in den Rhein in Lahnstein 242 Kilometer. Rund zwei Drittel können im Kanu zurückgelegt werden.

Bei den rund 20 Kanuverleihern entlang der Lahn gelten die allgemeinen Kontaktbeschränkungen der gültigen Coronavirus-Schutzverordnung. So müssen Kontaktdaten hinterlassen und bei Übernachtungen negative Corona-Tests vorgelegt werden. Schwimmweste, Paddel, wasserdichte Säcke und Tonnen werden vom Verleiher gestellt.

www.daslahntal.de/wasserwandern

Am zweiten Tag erleben wir einen Kontrast und teils Stau an den weiteren drei Schleusen. Mit mehr als einem Dutzend Kanus warten wir auf Durchfahrt. Beim dritten Schiffshebewerk, kurz vor dem Tagesziel bei Runkel, wagen auch wir uns - mit Unterstützung einer Familie aus Berlin - an die Schleusen-Tore, um sie selbstständig zu öffnen. Das klappt mit etwas Übung ganz gut und bald ist der nächste Zeltplatz erreicht. So kommen auch wir noch in den seltenen Genuss des eigenständigen Schleusenbedienens, das übrigens ab Limburg per elektronischer Methode von Schleusenwärtern übernommen wird. Dort beginnt dann auch der Schifffahrtsverkehr. Davon sind wir aber an diesem schwülen Sommerabend ausreichend viele Meilen entfernt. Ohne Schiffe fürchten zu müssen, lassen wir uns dann noch kurz zum abendlichen Abkühlen mit unseren neuen Berliner Freunden durch die Strömung direkt am Campingplatz treiben. Der dritte Tag kann kommen.

Auf einer entspannten Etappe erreichen wir müde, aber glücklich am Nachmittag des letzten Tages nach etwas mehr als 50 gepaddelten Kilometern unser Ziel bei Limburg, wo wir Boote und Ausrüstung zurückgeben und uns auf unsere mitgebrachten Fahrräder schwingen - natürlich nicht, ohne uns ein letztes Mal in der Lahn zu erfrischen.

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Veröffentlicht
Von
Sabine Neumann
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