88 Cent Miete

In der Fuggerei in Augsburg wohnen unschuldig in Not Geratene zu günstigen Konditionen

In der Fuggerei in Augsburg wohnen unschuldig in Not Geratene zu günstigen Konditionen. Die Siedlung wird in diesem Jahr 500 Jahre alt – und hat sich auch zu einer kleinen Touristenattraktion entwickelt.

Von 
Sascha Rettig
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Die 500 Jahre alte Sozialsiedlung erstrahlt in Sonnengelb. © Rettig

Augsburg. Als Tourist landet man normalerweise nicht in einer Sozialsiedlung. Solch eine Gegend ist schließlich selten von historischer Bedeutung. Außer man besucht die Fuggerei in Augsburg. Dort, am Zentrum in der sogenannten Jakobervorstadt-Süd, bezahlt man am Eingangstor Eintritt. Sogar Führungen gibt es. Und überhaupt ist alles anders als gedacht.

Geradezu gemütlich ist die Atmosphäre in den malerischen Gässchen hinter den Mauern, die sie umgeben und die nur durch drei Tore mit der Außenwelt verbunden sind. Gelbe, kleine Reihenhäuser stehen in dieser Kleinstadt in der Stadt. Manche Fassade ist mit Efeu zugewuchert. Die Haustüren und Fensterläden sind grün. In einem Brunnen plätschert das Wasser. Ein wenig fühlt man sich wie im Freiluftmuseum – obwohl hier 150 Menschen wohnen. 67 Häuser stehen hier, mit 142 Wohnungen und einer eigenen Kirche. Dabei ist die Fuggerei die älteste bestehende Sozialsiedlung der Welt. Dieses Jahr feiert sie Jubiläum: 500 Jahre existiert sie bereits. Der Mann, auf den das alles zurückgeht, steht etwas versteckt mit einer Büste verewigt: Jakob Fugger der Reiche. Der berühmte Sohn der Stadt, ein Kaufmann und schwerreicher Bankier, stiftete sie einst, um Gutes zu tun – und auch etwas fürs eigene Seelenheil. Als Augsburg vor 500 Jahren eine Blütezeit erlebte, hatten Handelsfamilien wie die Fugger viel Einfluss. „Sie handelten mit Erzen, Stoffen, allem, was Geld abwarf“, sagt Gästeführerin Elisabeth Retsch. „Sie waren zwar normale Kaufleute, dabei aber mutig und clever und wurden immer reicher.“

Augsburg

Anreise Mit dem Zug nach Augsburg (www.bahn.de)

Unterkunft Das Hotel Augsburger Hof ist ein gepflegtes, gutes Mittelklassehotel in zentraler Lage. Doppelzimmer ab 80 Euro, www.augsburger-hof.de Das Dom Hotel ist ein Stadthotel in guter Lage mit modernen Zimmern. DZ mit Frühstück ab 80 Euro, www.domhotel-augsburg.de

Aktivitäten Informationen über die Fuggerei und einen Besuch in der Siedlung: www.fugger.de/fuggerei.html Das Augsburger Wassermanagement-System gehört zum Unesco-Welterbe. Informationen über Geschichte, Führungen etc. unter https://wassersystem-augsburg.de

Allgemeine Informationen www.augsburg.de

Bis heute wird die Siedlung nach Jakob Fuggers damaligen Vorstellungen betrieben. Der Einzug in eine der Wohnungen ist an Bedingungen geknüpft: Man muss aus Augsburg kommen, der katholischen Konfession angehören und unverschuldet in Not geraten sein. „Der oder die Bedürftigste bekommt die Wohnung“, erklärt Retsch. Das Image sei dabei keinesfalls schlecht. „Der kann in die Fuggerei“, sagt man heute, und nicht „Der muss in die Fuggerei“.

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Gegen die Spirale permanenter Mieterhöhungen ist die Siedlung resistent. Die Miete beträgt exakt einen Rheinischen Gulden. Das sind heutzutage umgerechnet gerade einmal 88 Cent für 60 Quadratmeter. Kaltmiete zwar, dafür aber für ein gesamtes Jahr! Außerdem sind nach wie vor tägliche Gebete für Jakob Fugger und die Stifterfamilie Teil des Mietvertrags: das „Vaterunser“, das „Ave Maria“ und das „Glaubensbekenntnis“. „Finanziert wird das durch die Fuggersche Stiftung, die vor allem in Wald und Holz investiert hat“, erklärt die Fremdenführerin. „Bis heute gibt es noch drei Familienlinien der Fugger und jede stellt eine Person für den Stiftungsrat – das machen sie ehrenamtlich, mittlerweile in der 17. Generation.“ Darüber hinaus werden die Instandhaltung und der Betrieb noch mit Eintrittsgeldern unterstützt. Rund 200 000 Besucher zählt die Fuggerei jedes Jahr.

Während man die Gassen erkundet, ist man ganz erstaunt, dass solch eine Siedlung über die Jahrhunderte langzeitüberleben kann. Außerhalb der Siedlungsmauern haben sich schließlich die Verhältnisse permanent verändert. Es gab zahlreiche Wirtschafts- und Währungskrisen. Vor allem die Kriege aber zogen die Fuggerei in Mitleidenschaft. Zuletzt wurde sie im Zweiten Weltkrieg zu großen Teilen zerstört.

Auch wenn die Reihenhäuschen bewohnt sind, besteht die Möglichkeit, einen Eindruck davon zu bekommen, wie es hinter den Mauern aussieht. In insgesamt drei Museen streift man durch die Historie zur Fuggerei und erfährt sehr anschaulich die Hintergründe. Dazu läuft man nicht nur durch eine historische Wohnung, sondern auch durch eine aktuelle Musterwohnung. In einer kleinen Videoinstallation stellen sich virtuell auch einige Bewohner der Fuggerei vor. Viele Alleinstehende leben heutzutage in den begehrten Wohnungen, oftmals ältere Menschen; wenige Familien mit Kindern hingegen, nur ein paar Alleinerziehende. Nicht nur Besucher müssen übrigens bezahlen, sondern auch die Bewohner selbst – allerdings wenn sie die Fuggerei verlassen wollen. Abend für Abend zieht der Nachtwächter durch die Siedlung und sperrt ab 22 Uhr die Tore zu. „Das vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Die Bewohner können nachts sogar ihre Fenster auflassen“, sagt Gästeführerin Retsch. Raus oder rein kommen die Mieter natürlich trotzdem: zwischen 22 Uhr und Mitternacht für 50 Cent. Danach bis 5 Uhr morgens für einen Euro – also etwas mehr als die Jahresmiete für eine ganze Wohnung.

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