Der Gletscher ruft

Im Stubaital fängt die Skisaison früher an als anderswo. Strahlende Sonne, Höhenlage, Skimaterial zum Ausprobieren und rund ein Dutzend präparierter Pisten haben Sogwirkung. Die Süchtigen lassen nicht auf sich warten.

Von 
Inge Jacobs
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Am Stubaier Gletscher beginnt die Saison schon früh - und zuverlässig. © siehe Bildtext

Simon Beranek hat den Bogen gleich raus. Lässig dreht der 21-Jährige bei der Carving Session am Eisjoch auf dem Innenski und lässt den Außenski durch die Luft fliegen. So wie es Skilehrer Matthew Mannarn gezeigt hat. Auch die Eisplatten bringen Simon nicht zu Fall. Denn trotz bestens präparierter Pisten ist das bisschen Schnee überm Gletschereis an vielen Stellen rasch weggeschoben. Doch das ficht den 21-jährigen Tschechen nicht an. Für das Skivergnügen auf 3000 Meter Höhe und mehr ist er mit seinem Vater Jaroslav extra aus Prag angereist. „Das ist perfektes Skifahren“, findet auch der Papa. „Um diese Zeit geht das nur auf dem Gletscher.“

Und in dieser Größenordnung biete dies eben nur das Stubaier Gletscherskigebiet, findet Petra Sobinger aus Berchtesgaden. Auch wenn für sie das Kitzsteinhorn eigentlich näher sei. „Ich bin einfach wintergeil“, sagt die 54-Jährige. Da nehme sie auch für einen Tag die zweieinhalbstündige Anfahrt in Kauf. CO2-Abdruck hin oder her. Dass man an diesem Wochenende beim Testival Neuheiten testen könne - umso besser. Auch das nutzt sie aus. Sie ist nicht die Einzige. Die Zelte der Skihersteller auf dem Eisgrat auf 2900 Meter sind schwer umlagert, am späten Vormittag ist das meiste Material verliehen.

Andere Skifans kommen aus Salzgitter, Köln oder München. Aber auch aus Italien oder Osteuropa, wie das Sprachengewirr verrät. Die Pisten sind voll, die Warteschlangen an den Liften lang. Morgens zieht sich die Autokolonne der Schneesüchtigen wie ein träger Lindwurm hinauf zur Talstation der Eisgratgondel, die direkt ins Gletscherskigebiet führt. Dabei gibt es einen kostenlosen Busverkehr. Und Gäste des Stubaitals, die komplett öffentlich anreisen, erhalten ab Innsbruck und retour einen Gutschein vom Tourismusverband. Doch viele wählen eben den bequemeren Weg. Zumal der Parkplatz an der Talstation gebührenfrei ist.

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Trotz Schneefällen im September sind Mitte November nur die Bergspitzen gezuckert, außerhalb der Pisten dominieren Steine. Der richtige Schnee steht noch aus. Die Piste zur Mittelstation der Eisgratbahn auf 2300 Meter ist vor allem das Werk einer Vielzahl von Schneekanonen. Weiter unten geht um diese Jahreszeit noch gar nichts. Und droben ist das blaue Gletschereis an vielen Stellen mit dicken weißen Planen abgedeckt. „Die Gletscher ziehen sich zurück“, sagt Catherine Probst vom Stubaier Gletscher-Team. „Wir legen im Winter Schneedepots an.“ Auch die Beschneiungsanlagen rutschten immer weiter nach oben. Man habe einen zweiten Speicherteich gebaut. „So bereiten wir uns auf den Klimawandel vor – er ist längst da“, räumt sie ein. Der Schlepplift am Windachferner ist bereits ein Opfer. Dennoch sieht man die Lage im Stubaital nicht so negativ. „Unser Vorteil ist die Höhenlage“, sagt Probst. Die zieht auch die Weltcup-Profis zum Gaiskarferner.

Mit aberwitzigen Zigfachdrehungen trainieren Nationalteams aus den USA, Neuseeland und 20 anderen Ländern auf der Pro Line, einer Art Schanze, für die Quali und den Freeski Worldcup im Slope Style vom 20. bis 23. November. Ein echter Hingucker für die Hobbyskifahrer. So haben sie im Schlepplift und in der Warteschlange davor Unterhaltung. Samt Gänsehautfeeling.

Aber auch die Freizeitsportler dürfen von den Besten lernen. Beim Workshop „Ride with your Pro“ zeigt die österreichische Freeriderin Ulla Gilot den Teilnehmern ein paar Tricks. Aber die müssen sich sputen, um der Ulla zu folgen, als die es erst mal „gemütlich angehen“ lässt. Wie zum Teufel kann die Ulla auf so einem flachen Hang nur so ein Tempo herausholen? Jessi Seidel aus München fährt seit drei Jahren Ski und will gern „ein bisschen Technik lernen“. Kein Problem. Ulla motiviert alle mit ihrer guten Laune und ihrem rasant-lässigen Stil.

Am Daunferner, direkt auf der Kante von der Piste zum Gelände, wo es etwas steiler ist, simuliert Ulla eine Buckelpiste. Jetzt ist Tiefentlastung samt Drehung auf Gletschereis gefragt. Na also, geht doch. Bei den Hobbysportlern ist die B-Note eh wurscht. Dafür erleben sie die pure Lust am Skifoan, den Schwüngen, der Wintersonne. „Mega“, sagt Justin Redieck, der sich mit seiner Freundin zwei Snowboardtage gegönnt hat: „Ich hab heut richtig Feuer unter den Füßen gekriegt.“ Und sein neues Lieblingsboard entdeckt: „Das werden wir uns holen.“ Klar für ihn: „Demnächst geht’s wieder auf die Piste.“

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