Es gibt Bäume hier am Ortsrand von Palmera, die hat er in silbergraue Stoffe verpacken lassen, als wäre Christo am Werk gewesen. Jeder Faltenwurf ist anders, jede Form hat einen neuen Akzent, jeder Schatten variiert im Tagesverlauf und immer ist so reichlich Stoff verwendet worden, als ginge es in Wirklichkeit um einen Bühnenvorhang. Ein bisschen ist es tatsächlich so, denn wenn jener Vorhang eines Tages wieder gelüftet wird, hat der Baum sich neu inszeniert, Blüten oder sogar bereits Früchte entwickelt, Zweige in die Krone emporgeschoben. Und haben sich Blüten geöffnet, breitet sich dieser intensive Duft über der ganzen Umgebung aus. Als hätte jemand einen überdimensionalen Parfum-Flacon offen stehen gelassen. „Es ist dann so, als wäre kein anderer irdischer Ort näher dran am biblischen Paradies“, schwärmt Vicente Todolí von seinem durch und durch lebendigen Freilichtmuseum: „Ein Garten, eine Plantage, ein Museum. All das ist es geworden.“
In unmittelbarer Nachbarschaft des Wohnhauses der Eltern und Großeltern hatte er in einem ersten Schritt Gewächshäuser für Zierkräuter abgerissen, Tausende Quadratmeter Boden entsiegelt, in Dutzenden Lastwagenladungen Betontrümmer abfahren lassen – und mit dieser Plantage nach seinen Vorstellungen gänzlich neu begonnen. Über 20 Jahre ist das jetzt her, wirklich vorzeigen mag er all das erst in jüngerer Zeit. Wie bei einer großen Schau im Museum: Sie muss erst im Kopf entstanden sein, reifen, sorgfältig kuratiert werden. Kunstwerke müssen beschafft, inszeniert, ausgeleuchtet werden. All das braucht Zeit.
Costa Blanca
Anreise: Flug nach Valencia ab Stuttgart mit Eurowings, www.eurowings.com
Unterkunft: Ferienhäuser an der Costa Blanca gibt es bei verschiedenen Anbietern (www.interhome.de, www.fewo-direkt.de, www.belvilla.de).
Aktivitäten: Nach Online-Voranmeldung kann man die Gärten der Todolí Citrus Fundació (www.todolicitrusfundacio.org) in Palmera besichtigen. Kosten für zweistündigen Spaziergang: 15 Euro pro Person.
Allgemeine Informationen: Spanisches Fremdenverkehrsamt, www.spain.info, www.comunitatvalenciana.com, www.gandia.org. HS
Sieben Jahre lang war Vicente Todolí Direktor der Tate Modern Gallery in London, einem der renommiertesten Kunstmuseen der Welt. Heute kümmert er sich um diesen wunderschönen Garten, die Todolí Citrus Fundació, in seiner Heimat auf dem Land der Vorfahren 60 Kilometer südlich von Valencia im Hinterland der Costa Blanca bei Gandia.
Jede Zitrusfrucht der Welt
Hier ist er aufgewachsen, hier hat er als kleines Kind unter Orangenbäumen gespielt. Die Gegend mit ihrer Luft, ihrem Licht und diesem Geruch nach Zitrusblüten war Inspirationsquelle des Mannes, der als Kunsthistoriker eine Weltkarriere machen sollte – und den es zurück zu den Wurzeln gezogen hat.
Was er nun tut? Und was das mit Kunst zu tun hat? Todolí sammelt Zitrusfrüchte. Er hat sich zum Ziel gesetzt, jede Zitrusfrucht der Welt in seinem Garten zu kultivieren. Er hat sogar eine Versuchsküche errichten lassen, damit Spitzenköche wie Quique Dacosta mit sechs Michelin-Sternen aus drei Restaurants in Dénia, Madrid und Valencia und Manuel Alonso aus Daimus bei Gandia dort neue Soßen, Dips, Marinaden, Füllungen, neue Eiscreme-Sorten, neues Gebäck, ganze neue Gerichte unter Verwendung seltener Früchte kreieren können. Gemeinsam arbeitet er mit Dacosta jetzt an einem Buch, dem Libro de los Citricos.
Jeder Gang ein Experiment
Alonso hat derweil bereits ein neungängiges Menü entwickelt, bei dem Gang für Gang die Zitrusfrüchte den entscheidenden Akzent setzen – selbst bei der Bacalao-Krokette, deren Kabeljaufleisch anfangs im Saft der Valetta-Limette langsam geköchelt wurde. „Für jeden Gang“, erzählt er, „gab es unzählige Experimente. Immer haben wir ganz genau geschaut, wie die Texturen zusammenarbeiten, wie viel Hitze sein darf und für wie lange.“
Höhepunkt sind Gambas, deren Köpfe frittiert sind und deren Leiber roh mariniert mit Bergamotte verzaubert werden. Und der erst im Wasserbad gegarte Mittelmeer-Fisch Lubina, der auf der Haut gebraten und mit Blutorangen-Soße serviert wird! Für das Versuchsküchen-Gebäude auf dem Gelände der Todolí-Stiftung gab es bereits einen Architektenpreis, für die kulinarischen Kreationen viel Lob. Berater bei der Konzeption der Versuchsküche war kein Geringerer als Ferran Adrià, legendärer Miterfinder der Molekularküche und über Jahre Chef des „El Bulli“ weiter nördlich an der Costa Brava, das mehrfach als „Bestes Restaurant der Welt“ ausgezeichnet wurde. All das ist Kunst – auch wenn es nicht gerahmt an einer Wand hängen kann. Todolí rückt seinen Sonnenhut zurecht, erzählt, ordnet ein – und sprüht vor Begeisterung. Er sehe sich ganz in der Tradition von Cosimo de Medici um das Jahr 1550, dem ersten und lange Zeit größten Zitrusfrüchtesammler.
Von Tangerine und Yuzu
482 verschiedene Sorten von der naheliegenden Saftorange über die Zitrone, von der Bergamotte bis zur Limone, von der Kumquat zur Limequat, vom Pomelo über Mandarine, Clementine, Tangerine und Yuzu bis zum Citrus Maxima als Mutter aller Zitrusfrüchte hat Todolí heute in seinem Garten.
Wie viele Sorten es tatsächlich rund um den Globus gibt, weiß niemand ganz genau: „Zitrusfrüchte sind außerordentlich mutationsfreudig, es entstehen ständig neue Varianten. Bis 450 jedenfalls war das Sammeln einfach, jetzt wird es langsam kompliziert.“ Und kann Vicente Todolí sich eine Welt ohne Zitrusfrüchte vorstellen? „Das wäre zumindest gar nicht meine Welt“, sagt er, nimmt den Hut ab, bückt sich nach einer heruntergefallenen Bergamotte. „Das hier ist meine Welt, hier komme ich her.“
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben/machen_artikel,-machen-der-garten-der-vergessenen-orangen-_arid,2067939.html