Bozen. Ja, ich gebe zu: Jahrelang fahre ich achtlos daran vorbei auf dem Weg von Mannheim an den Gardasee. Das Einzige, das ich von dieser Stadt sehe, ist beim Stopp des Zuges das Schild des Bahnhofes „Bolzano/Bozen“. Aber auch die meisten Autofahrer lassen die Stadt keine 100 Kilometer hinter der Grenze links liegen. Das ändert sich erst ab 1998 – durch eine Eiszeitmumie namens Ötzi. Die erhält ein eigenes Museum, und die Leute strömen dorthin. Und erkennen: Bozen bietet sogar noch mehr.
So fahre auch ich diesmal nicht vorbei, sondern steige aus, auf dem Bahnhof, 1859 in klassizistischem Stil erbaut, 1928 vom Faschismus in seiner Manier ergänzt. Das ist bis heute erhalten, allerdings in einer historischen Ausstellung erläutert.
Fußläufig führt der Weg vorbei an den großen Regierungsgebäuden der Landeshauptstadt von Südtirol ins Hotel, das Laurin. Ein klassisches Grand Hotel der Jahrhundertwende, eröffnet 1910, als Bozen noch bei Österreich war. Kaiser Franz-Joseph war hier zu Gast, aber auch der Dalai Lama oder Angela Merkel.
Tor zu den Dolomiten
Aus dem Hotelzimmer geht der Blick in die Berge. Und man merkt: Schon die Lage Bozens ist einmalig, eingebettet zwischen Dolomiten und Weinbergen, Mixtur aus Alpenpanorama und mediterranem Flair – mit Locations aus dem „Bozen-Krimi“.
Im Herzen der Stadt, gerne als ihr „Salon“ bezeichnet: der Waltherplatz, benannt nach dem mittelalterlichen Dichter Walther von der Vogelweide, der aus Tirol stammen soll und dem 1889 ein Denkmal errichtet wird. Umgeben von Arkadenhäusern, darin Cafés und Lokale, mit Außenbestuhlung sowohl im Sommer als auch im Winter, dann auch als Ort des Christkindlmarktes. In Bozen spielt sich eben vieles im Freien ab – im Sommer wie im Winter.
Der Waltherplatz ist Ausgangspunkt jeder Stadterkundung. Und dabei marschiert man durch 1000 Jahre Geschichte. Die illustren Altstadtgassen sind geprägt von unterschiedlichen Baustilen – Gotik, Renaissance und Barock – , die Häuser kunstvoll gestaltet mit Erkern, Stuck, Fresken oder einfach wunderschönen pastellfarbenen Fassaden.
Jede Gasse hat ihren eigenen Stil: die Mustergasse mit repräsentativen Palais, die Silbergasse mit schmucken Bürgerhäusern, allen voran dem Merkantilmuseum, die Bindergasse mit traditionsreichen Wirtshäusern und natürlich die berühmteste: die Laubengasse. Denn bei ihr ist der Name Programm: Auf beiden Seiten wird sie von Bogengängen begrenzt, in denen sich Laden an Laden reiht. Ideal zum Schoppen – bei Hitze im Schatten und bei Regen im Trockenen. Sie endet im Westen auf dem Obstmarkt.
Hier schlägt das mediterrane Herz Bozens. Schon Goethe ist von diesem Platz derart begeistert, dass er ihn in seiner „Italienischen Reise“ literarisch verewigt. Längst gibt es hier natürlich mehr als die saftigen Südtiroler Äpfel. Im Winter sorgen die Maroni-Brater mit ihren Öfen für Duft und Wärme.
Eine Attraktion an der Ecke ist das Torgglhaus, ein Gasthaus aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, mit schmiedeeisernem Balkon, Fresken, urwüchsigen Fensterläden, kunstvollen Figuren am Fensterbrett.
Und natürlich Kirchen über Kirchen. Allen voran an der südwestlichen Ecke des Waltherplatzes der Dom, dessen Wurzeln bis ins sechste Jahrhundert zurückreichen. Mit seinem filigranen, 62 Meter hohen Turm bietet er bis heute zumindest geografische Orientierung. Oder das Kloster des 800 Jahre alten Franziskanerordens. Sehenswert der über 500 Jahre alte, gotische Hochaltar und der Kreuzgang. Ein schlichter, gerade deshalb besinnlicher Ort.
Eher ein Besucher-Hotspot ist dagegen das Archäologische Museum, 1998 eigens begründet, um dem sieben Jahre zuvor entdeckten Eismenschen Ötzi eine Bleibe zu bieten. Die Idee, früh am Morgen vor Ort zu sein, um Wartezeiten zu vermeiden, haben offenbar viele Interessierte; lange Schlangen stehen bereits vor dem ersten Einlass.
Tipps für Besucher in Bozen
Lage: Entfernung Mannheim-Bozen 395 km Luftlinie, Autofahrstrecke 565 km. Autobahn teils mit Vignette. Bahn: Ab Hbf. Mannheim 10.34 Uhr, an Bozen 17.27 Uhr.
Wohnen: Erstes Haus am Platze, wenige Fußminuten vom Bahnhof: das „Laurin“, Grand Hotel der Jahrhundertwende, innen hochmodern. Park mit Lounge und Pool, Bar mit Ledersesseln und Kamin. DZmF aktuell 213 €. www.laurin.it
Gastronomie: Hierin spiegeln sich die zwei historischen Prägungen Bozens: sowohl uriger Tiroler Gasthof als auch schickes Ristorante.
Das „Muss“: zu Ötzi – im Archäologiemuseum. 1. OG: kurzer Blick durch eine Scheibe auf die Mumie, die dort in einer Kühlzelle bei permanent minus sechs Grad Celsius und 99 % Luftfeuchtigkeit liegt; 2. OG: Rekonstruktion Ötzis (allerdings weiß man seit August 2023, dass er doch anders aussah, nämlich dunkelhäutig). www.iceman.it
Weitere Sehenswürdigkeiten: Dom: Besteigung des 62 Meter hohen Turms im Rahmen einstündiger Führung nach Anmeldung; Franziskanerkloster: Besichtigung des Kreuzgangs nach Anmeldung.
Events: Obstmarkt (Mo-Sa 8-19 Uhr), Weinkost (März), Blumenmarkt (April/Mai), Festival (Aug./Sept.), Christkindlmarkt (Dez. bis 7.1., täglich 10 bzw. 11-19 Uhr). -tin
Weiter geht es durch die Sparkassenstraße – ja, so heißt sie wirklich, Traum jedes Sparkassendirektors – in ein vergleichsweise junges Viertel. Erbaut gegen Ende des 19. Jahrhunderts, mit seinen Erkern und Türmchen an die Architektur der Wiener Ringstraße erinnernd. Überhaupt finden sich überall Zeugnisse des österreichischen Kaisertums, zu dem Bozen bis 1918 gehört. „A. Dinzl K.u.k. Hof-Juwelier“ etwa steht über einem Portal in der Laubengasse.
Durchzogen wird die Stadt in Nord-Süd-Richtung von der Talfer. Ihre wiesen-, ja parkartigen Ufer bilden die grünen Lungen Bozens. Ein wahres Blumenmeer ziert im Sommer die Fluss-Brücke, erbaut 1900. Sie verbindet zugleich zwei völlig verschiedene Teile der Stadt: Östlich der historische Kern mit den Sehenswürdigkeiten, westlich das Neubauviertel, nach Machtübernahme der Faschisten 1922 entstanden, mit systematischer Ansiedlung von armen Arbeitern aus Süditalien. Das hallt bis heute nach: Während man hier fast nur Italienisch hört, ist in der Altstadt Deutsch weit verbreitet.
Überall Geschichte
Am Ende der Brücke stößt man auf die umstrittenste Sehenswürdigkeit Bozens: das 20 Meter hohe Siegesdenkmal, 1928 errichtet auf persönlichen Wunsch von Diktator Mussolini zur Feier des Triumphes über Österreich-Ungarn 1918 und der darauf folgenden Abtrennung Bozens an Italien. Damals für die deutschsprachige Bevölkerung ebenso eine Provokation wie für viele noch heute. Ein Abriss wird lange diskutiert. Stattdessen wird das Bauwerk erhalten, sogar restauriert und 2014 durch eine Gedenkstätte ergänzt, die sich mit dem Faschismus beschäftigt.
Gleichwohl ist es für einen Deutschen atemberaubend, wie die Italiener auch in Bozen mit der faschistischen Vergangenheit umgehen. Nicht nur bei Siegesdenkmal oder Bahnhof, sondern auch bei Privathäusern. Da findet man über einem Türbogen eingemeißelt die Jahreszahl „1933“ und ein Faszienbündel, das Zeichen der Faschisten.
Am südlichen Rand der Stadt geht es hoch hinaus. Gleich mit drei Gondeln kann man aus dem Stadtgebiet abheben, um die umliegenden Berge zu erkunden. In nur zwölf Minuten fährt die Rittner Seilbahn 950 Meter nach Oberbozen. Spätestens hier oben erkennt man: Bozen bietet viel. Eben viel mehr als nur den Ötzi.
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