Sie mussten noch bei Dunkelheit mit ihrer „Santa Isabel“ ablegen, um am besten wieder vor allen anderen dort draußen auf See zu sein, wo um diese Jahreszeit die meisten Doraden anzutreffen waren, die Goldbrassen, Seeteufel und Seehechte. Da kann man schon mal etwas vergessen. Sogar das Wichtigste: den Reis. Fast immer gab es bei den Fischern aus Gandia südlich von Valencia an Bord Paella, das spanische Nationalgericht mit Reis und Meeresfrüchten. Um die Meerestiere brauchten sich die Männer der „Santa Isabel“ keine Sorgen zu machen, die zogen sie wie immer frisch aus dem Wasser. Aber ohne Reis war nicht viel zu wollen: keine Chance auf das ersehnte Leib-und-Magen-Gericht.
Außer sie würden einen Frevel begehen und improvisieren. Mit kleinen dünnen Nudeln, ausgerechnet. Die gab es noch im Vorratsschrank der Kombüse. Es müsste doch gelingen, sie so ähnlich zuzubereiten wie den Reis: mit Sofrito aus Zwiebeln, Knoblauch, Tomaten, Petersilie, Salz und Paprikapulver, mit etwas mehr Fischsud, dem Caldo, als üblich köcheln lassen, dann die angebratenen Meerestiere zugeben, am besten Cigalas oder Gambas, manchmal auch Fisch. Und ein paar Safranfäden.
valencia
Anreise
Flüge nach Valencia ab Stuttgart mit Eurowings (www.eurowings.com), ab Frankfurt gibt es Verbindungen mit Lufthansa (www.lufthansa.com).
Unterkunft
Ferienhäuser an der Costa Blanca findet man bei Anbietern wie www.interhome.de, www.fewo-direkt.de, www.belvilla.de. Preis je nach Reisezeit, Lage und Größe ab rund 500 Euro pro Woche. Zentral: NH Hotel Valencia Center, DZ ab 105 Euro, www.nh-hotels.com.
Essen und Trinken
José Manuel Navarro experimentiert in seinem Restaurant Casa José in Gandia auch mit neuen Fideuà-Varianten, www.restaurantecasajose.com.
Das Restaurant El Nou Cavall Verd von Evarist Miralles befindet sich im Hinterland im Vall de Laguar. Er setzt auf den Klassiker in Perfektion, https://el-nou-restaurante-cavall-verd.business.site/
Aktivitäten
Der Wettbewerb Concurso Internaticional Fideuà de Gandia findet am 5. Juni statt, www.fideuadegandia.org.
Allgemeine Informationen
Spanisches Fremdenverkehrsamt, www.spain.info, Stadt Valencia, www.comunitatvalenciana.com. HSO
Was erst für lange Gesichter der sechs Besatzungsmitglieder gesorgt haben soll, als der Koch kleinlaut aus der Kombüse trat, hat richtig gut geschmeckt – so gut, dass es diese Neuerfindung an Bord plötzlich immer häufiger gab. Dass sich das Rezept herumsprach, erst in Fischerfamilien, dann in ganz Gandia. Und dass es immer mehr Fans fand und recht bald auch auf den Speisekarten der ersten Restaurants auftauchte. Sogar einen Namen bekam das neue Gericht: Fideuà.
Und weil es nun mal von heimischen Fischern erfunden wurde, darf in der offiziellen Vollversion des Namens der Ort nicht fehlen: Fideuà de Gandia. Nur Spötter sprechen von der „Nudel-Paella“. Obwohl das ziemlich genau den Tatsachen entspricht. Für die Leute von hier ist es die Fideuà. Ihre Fideuà! De Gandia! Fast so etwas wie ihr eigen Fleisch und Blut, lokales und regionales Kulturgut.
Sogar so etwas wie den offiziellen Kulturrat der Fideuà gibt es, die Asociación Gastronómica Fideuà de Gandia, um das Erbe und die Einhaltung der Tradition zu wahren. Avelino Alfaro Serrano ist seit vielen Jahren ihr Präsident. Er duldet es, wenn junge Köche mit der Fideuà experimentieren, Dinge anders machen. „Jeder wie er will“, sagt er großmütig. „Aber nur die echte ist die echte!“ Er sagt es ohne jede Verbissenheit, viel eher aus Überzeugung, aus Stolz. Denn Menschen von anderswo kommen nach Gandia, um die echte Fideuà zu probieren, Restaurants machen beträchtlichen Umsatz damit. In vielen Gaststätten ist die Fideuà der Bestseller, manche sind berühmt dafür - wie „Casa José“ von José Manuel Navarro in dritter Reihe zwischen den Apartmenthäusern am Strand Platja de Gandia. Avelino Serrano verzeiht ihm, dass er mit der Fideuà experimentiert: Navarro hat das Original auf der Karte - und ein paar Varianten.
Die frechste ist eine in Grün. Mit Algen, Spirulina, Wakame. Und Sepia ist auch dabei. Und statt Gambas und der als „Mini-Hummer“ populären Cigalas verwendet er Seeschnecken. „Wenn du etwas Neues ausprobierst, geht das nur, wenn du das Alte haargenau kennst. Und wenn du es wertschätzt und die Tradition hochhältst“, rechtfertigt sich Navarro. Einmal im Jahr gibt es sogar ein Fideuà-Festival, den „Concurso Internaticional Fideuà de Gandia“, im Juni 2024 zum 49. Mal: eine Mischung aus Volksfest und Kulinarik-Event, bei dem die beste Fideuà prämiert wird. Küchenchefs aus dem In- und Ausland treten dort an. Es waren schon Teilnehmer aus China, Japan und Mexiko dabei.
Der Jury sitzt Evarist Miralles vor, der ein eigenes Restaurant in den Bergen des Hinterlandes hat und an der Tourismusfachschule in Gandia unterrichtet - die Zubereitung der perfekten, authentischen Fideuà zum Beispiel. Was ihm die Fideuà bedeutet? „Sie ist das Beste, was wir haben. Besonders, typisch, authentisch. Sie gehört hierher, sie schmeckt nach dem Meer.“ Und wie lange die dünnen Nudeln köcheln müssen? „Erst kurz trocken nur mit dem Sofrito, dann bis zu einer Viertelstunde im Caldo, dem Fischsud. Die Zeit ist nicht wirklich wichtig. Entscheidend ist, zu probieren. Ich höre nur auf den Klang, wenn es brutzelt. Daran kann ich entscheiden, wie es weitergeht. Und wann es fertig ist.“ Wie lange die aufwendige Zubereitung insgesamt dauert? „Wer es gut kann, braucht einschließlich der Herstellung des Fischsuds eine Stunde. Was wirklich Zeit kostet und den Unterschied ausmacht, ist, selbst zum Markt zu gehen und die besten und frischesten Zutaten auszusuchen.“
Dass es die Fideuà inzwischen auch anderswo gibt, in ein paar Restaurants in Madrid sogar, vor allem aber die Mittelmeerküste nördlich und südlich von Valencia rauf und runter, schert die Kulturgut-Hüter aus Gandia wenig. „Anderswo“, sagt Avelino Serrano von der Fideuà-Vereinigung, „ist es eher touristisch. Hier aber kommt die Fideuà aus der Mitte des Alltags der Menschen - das schmeckt man.“ Dass sie bei der Hochzeit von Prinzessin Cristina, der Schwester des Königs Felipe VI., Teil des Festmenüs war, obwohl nicht in Gandia gefeiert wurde, macht Avelino, José, Evarist und alle ihre Mitstreiter stolz. Es ist so etwas wie der Ritterschlag für ihre Spezialität.
Ob die Tradition mit der nächsten Generation verloren gehen wird, sich junge Leute die Mühe machen werden, die echte Fideuà zu verteidigen? Ob sie den Unterschied herausschmecken? „Oh ja.“ Avelino lächelt entspannt. „Ganz sicher“, sagt er. „Mein Enkel ist sieben. Und er hat noch nie gesagt: ‚Opa, mach doch mal Milchreis.‘ Er sagt: ‚Opa, wann ist die Fideuà fertig?‘ Und er schaut zu, wenn ich am Herd stehe.“ Wenn das so ist, dann kann nichts schiefgehen.
URL dieses Artikels:
https://www.bergstraesser-anzeiger.de/leben/machen_artikel,-machen-auf-die-nudel-gekommen-_arid,2204210.html