Dangast im Jadebusen stellt ein Tummelbecken für Künstler und Würmer dar

Zeitloses Watt

Von 
Karsten-Thilo Raab
Lesedauer: 

Die Figur "Jade" (rechts!) des Künstlers Anatol Hatzfeld zeigt ihren Busen und zieht damit in Dangast die Blicke aller Urlauber auf sich, die sich am und im Wattenmeer vergnügen.

© dpa

Wind und Wellen haben bizarre Muster in die Weiten des Wattenmeers gemalt. In der Luft liegt ein bizarrer Duft. Ein wenig fischig, ein wenig moderig. Die "Jade", eine zwei Zentner schwere Statue, die von Beuys-Schüler Anatol Hatzfeld in den 1970er Jahren geschaffen wurde, zeigt ihren nackten Busen. Der ein wenig klapprig wirkende Stuhl von Kaiser Butjatha am zwei Kilometer langen Strand von Dangast ist von vielen Fluten gezeichnet.

Suhlen im Schlamm

Kinder lachen und schreien vor Vergnügen. Einige jagen einem Ball am Strand hinterher, andere bauen vergängliche Burgen aus Sand, und wiederum andere suhlen sich genüsslich im Schlamm des Wattenmeers. Auch die eine oder andere Schlammschlacht entbrennt. Keine Frage, der Jadebusen bebt. Teils vor Gelächter, teils ob der schweren Schritte im Schlamm, teils ob der langsam wieder einsetzenden Flut.

Eine Szenerie, wie sie in Dangast, dem südlichsten deutschen Nordseebad, seit vielen, vielen Jahrzehnten zum gewohnten Bild gehört. Während vor allem der Strand und das angrenzende Künstlerdorf die Touristen in Heerscharen anlocken, wirken der Anblick der riesigen Campingplatzareale und das überdimensionierte Meerwasserquellbad mit seiner heilenden Jod-Sole-Quelle eher gewöhnungsbedürftig. Auch der aus Granitsäulen und einer Glocke bestehende Friesendom, der an die im Jadebusen versunkenen Dörfer und Kirchen erinnert, ist nicht gerade eine Augenweide.

Aber von all dem ist rund um das Kurhaus von 1820 wenig zu spüren. Dort trifft man sich zu einem Plausch bei einer Tasse Tee oder Kaffee. Man schaut Künstlern bei der Arbeit über die Schulter, kauft kleine oder große Kunstwerke als Erinnerung. Ein bisschen überwiegend der Charme des Gestern. Kein Wunder, erlebte doch Dangast seine Blütezeit ab dem frühen 19. Jahrhundert, nachdem Graf Gustav Friedrich Wilhelm Bentinck im Jahr 1795 beschloss, am Jadebusen ein Seebad nach englischem Vorbild bauen zu lassen. Zwischen 1804 und 1865 nahm das Nordseebad dann mehr und mehr Gestalt an.

Zentrum für Künstler

Begründet wurde der noch immer exzellente Ruf des 600-Seelen-Nestes, das heute Teil von Varel ist, jedoch erst Anfang des 20. Jahrhunderts, als Expressionisten wie Max Pechstein, Erich Heckel oder Karl Schmidt-Rottluff von der Schönheit des beschaulichen Nordseebades in Bann gezogen wurden. Was zu einem nicht unerheblichen Teil am Wattenmeer lag. Das wechselnde Licht, die wechselnden Wasserstände und das mit jeder Ebbe neu freigelegte Wattenmeer verschafften Landschaftsmalern eine schier endlose Palette an Motiven.

Eine Faszination, der sich auch Franz Radziwill nicht entziehen konnte. 1922 kam der Maler mit seiner Staffelei hierher und blieb für den Rest seines Erdendaseins. Die von ihm bis zu seinem Tod 1983 bewohnte Fischerkate an der Sielstraße 3 beheimatet heute ein Museum.

Aber auch die im Ort verteilten Skulpturen und Kunstwerke, die über einen Kunstpfad miteinander verbunden sind, zeugen von den Künstlern, die hier Station machten. Waren es anfänglich überwiegend Maler, die den Weg nach Dangast fanden, folgten in den 1970er Jahren vornehmlich Bildhauer.

Extremer Gezeitenhub

Am Jadebusen zeigen sich die Gezeiten der Nordsee in all ihren Ausmaßen. Der Tidenhub ist mit dreieinhalb Metern der höchste an der deutschen Küste. Der Uferbereich des Jadebusens läuft bei Ebbe bis auf eine schmale Fahrrinne für Schiffe völlig leer. Fast 2000 Tier- und 250 Pflanzenarten tummeln sich im Watt. Eine Vielfalt, wie sie sonst nur im Regenwald zu finden ist.

Kein Wunder, dass das Wattenmeer seit 2009 als Weltnaturerbe unter dem Schutz der Unesco steht und damit den gleichen Stellenwert genießt wie etwa das Great Barrier Reef in Australien oder die Serengeti in Tansania. Nur mit dem Unterschied, dass das Wattenmeer wohl das einzige Welterbe ist, das tagein, tagaus zwischendurch für ein paar Stunden verschwindet, um dann mit der nächsten Ebbe wieder wie aus dem Nichts aufzutauchen.

Das Watt schärft den Blick für die kleinen Dinge. Was vielleicht am Tempo liegt, mit dem man sich mühevoll vorwärtsbewegt. In Pfützen warten Krabben auf die Flut. Überall aufragende Klumpen sind dem Eifer des Wattwurms zu verdanken, der fleißig den Schlamm durchwühlt und wie ein Maulwurf den Aushub nach oben befördert. Erstaunliche Leistungen wissen auch die Wattschnecken zu vollbringen. Auf ihrem eigenen Schleim rutschen sie in einem fast schon atemberaubenden Tempo von bis zu drei Stundenkilometer zur nächsten Pfütze.

Als Königsdisziplin für Wattwanderer gilt übrigens eine geführte Wanderung zum Leuchtturm Arngast. Sieben Stunden dauert der beschwerliche Marsch hin und zurück. Während langsam die Flut wieder einsetzt, genießen die Helden des Watts nach der Rückkehr den schon legendären Rhabarberkuchen des Kurhauses, der seit mehr als einem Jahrhundert als Kunstwerk aus der Rührschüssel gilt. Als ein gezeitenunabhängiges noch dazu.

Tipps und Adressen

Info: Kurverwaltung Nordseebad Dangast, Am Alten Deich 4-10, 26316 Varel-Dangast, Tel.: 04451-911 40, www.dangast.de

Lage: Dangast liegt in Friesland und ist Teil der Stadt Varel. Zu erreichen ist das Seebad über die A 29, Ausfahrt Varel/Bockhorn

Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer: Nationalpark-Haus, Zum Jadebusen 179, Tel.: 04451-70 58, www.nlph.de, www.nationalpark-wattenmeer.de

Essen und Trinken: Kurhaus Dangast, Tel.: 04451-4409, www.kurhausdangast.de

Übernachten: Altes Posthaus, An der Rennweide 38, 26316 Varel-Dangast, Tel.: 04451-833 53, www.altes-posthaus.de

Freier Autor Karsten-Thilo Raaqb berichtet in Wort und Bild über Reiseziele weltweit. Daneben hat er sich als Autoren von rund 90 Büchern - darunter viele Reise-, Wander- und Radführer - einen Namen gemacht.

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen