Mannheim. Der Eingang zur Saint-Michel-Métro, die Unterführung zum Arc de Triomphe, das Trottoir des Boulevard du Montparnasse, die U-Bahn zum West-End, die Cherry Hinton Road, die Kreuzung Port Royal - alles Orte in Paris und London, wo der Schriftsteller Jan Turovski lange gelebt und die er zu Schauplätzen seiner Geschichten gemacht hat. Nachdem der heute in Bonn lebende Autor bei der Edition Andiamo fast zwanzig Romane, einen Lyrikband und einen Band Kurzprosa veröffentlicht hat, ist jüngst im gleichen Verlag das Buch „Café noir, Paris Stories - Under-Ground, London Stories“ erschienen.
Darin stellt der Schriftsteller keine Sehenswürdigkeiten dieser berühmten Metropolen vor, die Texte sind eher als innere Monologe der Hauptfiguren angelegt, die stark und suggestiv Details ihrer Existenz zur Sprache bringen. Ob Frau oder Mann, ob Ich-Erzähler oder namentlich genannt, ihr stetes Flanieren, die Unrast der Protagonisten ist der Widerschein einer inneren Haltung, die Suche nach dem Zusammenhang in den Dingen, Orten, Personen. Turovskis Sinn für das Paradoxe, sein Gespür für die Sensation des Gewöhnlichen, der verdeckten Sehnsucht, der unscheinbaren Gesten der Verzweiflung und eindringlichen Erotik teilt sich auch dem Leser mit. Er schärft den Blick für die verborgenen Dramen des Alltags jenseits der großen Abenteuer.
Tiefgehende Geschichten
Ein Blinder ertastet mit den Händen das Gesicht einer Frau, die eine fiktive Figur eines Gedichtes ist („Laura“), ein zehnjähriger Junge erklärt seiner Mutter vor den endlos scheinenden Stufen des Universitätsgebäudes, wie Demokratie funktioniert („Passanten“), ein Ehemann lässt sich aus unerklärlichen Gründen zu einer folgenschweren Tat hinreißen („Secours perpétuel“), ein von Ängsten geplagter Mann gesteht einer Unbekannten ein ungeheures Verbrechen („Die Zeugin“), oder eine unauffällige Frau wird zur Mörderin als Konsequenz einstiger Demütigungen („Die Lust der Betty Barne“).
Aus den Titelerzählungen „Café noir“ und „Under-Ground“ lassen sich Lebensentwürfe herauslesen, die gültig sind für alle weiteren in dem Band versammelten Geschichten: Sie handeln von Menschen, die von ihrer Vergangenheit eingeholt werden, die sich einsam und leer fühlen, in Abgründe schauen und Rettung allein in der Musik, Kunst, insbesondere aber in der Literatur sehen. Mit sprachlicher Virtuosität seziert Turovski das Beziehungsgeflecht zwischen ihnen - Liebes-, Freundschafts- und Familienbeziehungen - fernab von Klischees und Gemeinplätzen und gewährt Einblicke in die vielen Facetten ihrer Existenz. Untereinander sind die Kurzgeschichten durch zahllose wiederkehrende Motive verbunden, für die der Autor stets neuartige Wendungen findet. Lesenswert sind diese Short Stories auch deshalb, weil die oft surreal anmutenden Texte keine Handlung bieten, die sich nacherzählen ließe, sondern skizzenhaft offen bleiben und genau da abbrechen, wo jedes Mehr ein Zuviel wäre.
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