Herr Karl, überlegt man sich zweimal, ob man die Person Hitler wirklich verkörpern möchte?
Fritz Karl: Ich bin Schauspieler und Teil einer Geschichte. Man überlegt sich vorher, was durch diesen Film erzählt wird. Kann ich den Leuten vertrauen, die dort mitarbeiten? Kann ich mir sicher sein, dass am Ende nichts rauskommt, was ich gar nicht erzählen wollte oder womit ich ein Problem habe? Das ist am wichtigsten, wenn man solch eine Rolle spielt. Ansonsten war es einfach eine wahnsinnig interessante Aufgabe, endlich mal zu zeigen, dass meine Figur eben nicht nur ständig cholerisch herumbrüllte. Das ist Quatsch und wird deutlich, wenn man sich Zeitzeugen anhört oder den Film mit Traudl Junge anschaut, die Sekretärin in der Wolfsschanze war. Sie war ganz erstaunt, als sie diesen Mann getroffen hat, weil sie ihn nur aus der Wochenschau kannte, wo er martialisch schreit. Er war ruhig, sanft und hatte einen österreichischen Singsang.
Haben Sie sich noch einmal intensiv mit dieser Zeit auseinandergesetzt?
Karl: Ich habe mich schon Jahre vorher mit dem „Dritten Reich“ befasst. Mit der Geschichte, aber auch mit der Figur. Ich habe Biografien gelesen und war erstaunt, dass er in sämtlichen Hitler-Filmen als der schreiende, R-rollende Mann dargestellt wird. Es kann aber nicht sein, dass er, wenn er eine Sitzung führt, zu Abend isst und mit Eva Braun zusammen ist, „Gib mir das Salz!“ schreit. Wenn man diese Banalität zeigt - dass er ganz ruhig sagt: „Ja, dann bringen wir die halt um“ -, macht es alles noch viel fürchterlicher. Ich glaube, dass die Möglichkeit, diese Rolle zu spielen, auch eine Chance ist, den Leuten aufzuzeigen: Vorsicht, Obacht! Das Ziel dieses Films ist, zu demonstrieren, was mit Propaganda alles möglich ist. Wenn ich im ZDF eine History-Serie über diese Zeit sehe, besteht das gesamte Filmmaterial fast nur aus Aufnahmen, die in der Wochenschau ausgestrahlt oder über den Tisch von Goebbels gewandert sind.
Zum Beispiel?
Karl: Filme von Leni Riefenstahl, Aufmärsche. Das ist das, was übriggeblieben ist. Wenn wir das im Fernsehen sehen, denken wir, dass es dokumentarisch ist. Nein, das ist es eben nicht! Das stammt aus einer Propaganda-Wochenschau. Wenn Hitler irgendwo aufgetreten ist, haben vier, fünf, sechs Kameras um ihn herum das aufgenommen. Dann wurde das geschnitten und es entstand ein Film daraus.
Es ist ganz einfach geworden, uns mit Fake News zu täuschen
Diese Macht der Bilder und wie man das Denken der Menschen damit beeinflussen kann ist unglaublich, nicht? Was nicht heißt, dass man die Zuschauer aus der Verantwortung nimmt. Wir haben immer eine Verantwortung. Wir haben immer eine Wahl. Wir können immer zwischen den Zeilen lesen und uns unterschiedliche Meinungen anhören, um unsere eigenen Meinungen zu bilden.
Ist der Film deshalb genau der richtige zur richtigen Zeit?
Karl: Absolut. Weil er zeigt, wie Einflussnahme und Propaganda gemacht werden. Das Problem ist, dass das heute noch viel einfacher funktioniert. Mit der KI kommt etwas auf uns zu, was uferlos ist. Wenn die Politik weltweit jetzt nicht wirklich aufpasst und sagt: „Moment mal, wir müssen das wirklich in Bahnen lenken. Wir müssen gewisse Grenzen identifizieren, die nicht überschritten werden dürfen“, kann das ein Fass ohne Boden werden. Das macht mir richtig Angst. Man sieht im Film, wie Goebbels Filme produziert hat. Wie er eine Realität vortäuscht, um Meinungen zu bilden und Menschen zu beeinflussen: mit Bild, mit Ton, mit Emotionen. Jetzt leben wir in einer Zeit, in der das noch viel einfacher ist.
Infos zum Darsteller Fritz Karl
Dem deutschen TV-Publikum ist der österreichische Schauspieler Fritz Karl vor allem aus der ARD-Anwaltsserie „Falk“ bekannt.
Die Filmographie des 56-Jährigen ist lang. Unter anderem wirkte er in der Komödie „Wer früher stirbt, ist länger tot“ sowie in dem Drama „Jennerwein“ mit, das für den Deutschen Fernsehpreis nominiert war.
1995 erhielt er den Max-Ophüls-Preis; für seine Rolle in „Ein Dorf wehrt sich“ wurde er als beliebtester Schauspieler mit der Romy ausgezeichnet.
Meine jungen Kinder sind 14 und 16 und wachsen mit dem Smartphone auf. Was über dieses Instrument so alles an Informationen verteilt wird, um Jugendliche zu beeinflussen! Wenn meine Kinder sagen: „Das und das ist so“, dann frage ich: „Woher hast du das?“ - „Aus dem Internet.“ - „Wer sagt dir das? Hol dir eine zweite Meinung, du hast die Möglichkeit, dir auch im Internet viele Meinungen anzuhören. Du kannst lesen, du kannst fernschauen und dir dann deine Meinung bilden.“ Mittlerweile werden historisch hanebüchene Dinge erzählt. In der Zeit, in der wir leben, sind wir diesen Mechanismen extrem ausgesetzt und es ist ganz einfach geworden, die Wahrheit zu manipulieren und uns mit Fake News zu täuschen. Deswegen ist es wichtig, viele Blickwinkel zuzulassen und zwischen den Zeilen zu lesen.
Ihr Kollege Moritz Führmann, der den Reichsführer SS Karl Hanke spielt, sagt: „Diese Leute waren keine Bestien, sondern einfach verkommene Kreaturen.“
Karl: Gute Formulierung. Das sind skrupellose Verbrecher, nicht? Zum Beispiel diese Rede von Hitler vor den Generälen, bei der ganz klar wird, dass sie den Krieg aus einer wirtschaftlichen Notwendigkeit heraus beginnen werden. Sie waren pleite, sie brauchten Geld. Sie mussten einen Raubzug starten. So einfach war das.
Würden Sie Adolf Hitler gern etwas fragen?
Karl: Das ist eine sehr interessante Frage. Ich weiß gar nicht, ob man den das fragen könnte, aber ich überlege immer, was gewesen wäre, wenn er in die Akademie der bildenden Künste aufgenommen worden wäre. Wäre er bei der Malerei geblieben? Das wäre interessant. Man muss natürlich sagen, dass in dieser Zeit die Politform des Faschismus in verschiedensten Ländern nach oben kam. In Italien, Spanien. Diese Diktatoren, die plötzlich wie Pilze aus dem Boden schossen. Dollfuß in Österreich darf man nicht vergessen, auch ein Diktator. Aber trotzdem wäre interessant gewesen, was passiert wäre, wenn Hitler die Aufnahmeprüfung geschafft hätte. Oder wenn seine Erbtante, die ihn jahrelang unterstützt hat, nicht gestorben wäre. Erst dann ist er ins Elend gefallen und ihm wurde die Unterstützung gestrichen. Der Mann hat nichts gearbeitet. In den ersten Jahren lebte er wie ein Gigolo. Opernbesuche, Kaffeehausbesuche, gut gekleidet. Er hatte sozusagen eine Apanage von seiner Tante. Dieses Märchen des hoffnungslosen Arbeiters, der keine Stellung hatte, ist Quatsch. Die Regierung der Arbeitsscheuen wurde durch die Arbeitsfaulen ersetzt. Plötzlich war eine Partei an der Macht, deren Anführer nicht gerade sehr arbeitsam waren. Man darf nicht vergessen, dass es diese Berichte vom „Führer“ auf dem Obersalzberg gibt, der gerne bis drei, vier Uhr in der Früh Filme geschaut hat, sich dann seine Sahnetorten reingeschaufelt und bis um zwei Uhr Nachmittag geschlafen hat. Also von Regieren war da lange nicht die Rede. Ich weiß nicht, woher diese Mär der Fleißigen und Tüchtigen kommt. Auch das war Propaganda.
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