Was wissen Sie über Troja? Sicherlich die Geschichte vom gleichnamigen Pferd. Dem Ross aus Holz, in dessen Bauch sich Soldaten in die belagerte Stadt einschleichen. Seither Synonym für ein harmlos anmutendes Objekt, mit dem man in einen eigentlich gesicherten Bereich eindringen kann. Nicht ohne Grund bezeichnet man eine Schadenssoftware als Trojaner.
Dabei ist die Frage, ob es Troja je gegeben hat, bis heute umstritten. Der griechische Dichter Homer verewigt es im achten Jahrhundert vor Christus im Epos „Ilias“ und begründet damit einen langlebigen Mythos. Doch es ist der Hobby-Archäologe Heinrich Schliemann, der es vor 150 Jahren entdeckt haben will – und am 31. Mai 1873 den Fund seines Lebens: den „Schatz des Priamos“.
Das alles ist ihm nicht in die Wiege gelegt, als er 1822 in einem Dorf im Mecklenburgischen als fünftes von neun Kindern eines Pastors das Licht der Welt erblickt. Die Mutter stirbt, als er neun Jahre ist, der Vater ist Trinker und Schürzenjäger. Heinrich nimmt eine Lehrstelle als Kaufmannsgehilfe an. Das befriedigt den wissbegierigen jungen Mann nicht.
Stürmischer Werdegang
1841 entschließt er sich zur Auswanderung nach Venezuela. Doch das Schiff strandet in der Nordsee. Er bleibt in Europa, zunächst bei einem Handelshaus in Amsterdam, ab 1846 als dessen Vertreter in St. Petersburg. Schon ein Jahr später macht er sich dort selbstständig, erwirbt Reichtum durch den Handel mit dem Farbstoff Indigo und dem zur Pulver-Herstellung nötigen Salpeter. Verdoppeln kann er sein Vermögen in den 1850er Jahren in Kalifornien im Zuge des Goldrausches: In Sacramento gründet er eine Bank, begehrt dank ihres Safes, sicher, weil so schwer, dass zwölf Pferde ihn ziehen müssen.
Inzwischen Millionär, widmet er sich nun seiner wahren Passion: die Welt zu entdecken wie Elon Musk heute den Mond. Was ihm als Kind verwehrt bleibt, will er nun nachholen, reist bis nach China und Japan, als dies noch ein Abenteuer ist. Mehr als eine halbe Million Kilometer legt er Zeit Lebens zurück, ausgestattet mit der Kenntnis in 13 Sprachen.
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Ankershagen: Im Pfarrhaus, in dem Schliemann aufgewachsen ist, befindet sich heute ein Museum. Hier sind kleinere Originalfunde aus Keramik und Bronze sowie Nachbildungen aus Mykene und Troja zu sehen.
Berlin: Im Museum für Vor- und Frühgeschichte im Neuen Museum gibt es einen Schliemann-Saal, in dem seit 2009 der Schatz als Kopie ausgestellt ist. Zu sehen sind auch die wenigen einst von der Sowjetunion an die DDR zurückgegebenen Originalteile wie das Silbergeschirr oder die Vase, in der Schliemann den Schatz fand. Anlässlich seines 200. Geburtstags 2022 fand hier eine große Sonderausstellung statt.
Athen: In der Gennadius-Bibliothek lagern 100 000 Dokumente aus Schliemanns Besitz, darunter seine sämtlichen Briefe. Sein 1881 erbautes, antik verziertes Wohnhaus im Stadtzentrum (Universitätsstraße 12) beherbergt heute das Numismatische Museum Griechenlands.
Literatur: Zur Sonderausstellung in Berlin erschien 2022 ein Ausstellungskatalog, der den aktuellsten Wissensstand über Schliemann darstellt – auf 320 Seiten mit 250 farbigen Abbildungen, erschienen im Seemann-Verlag, 36 Euro.
Doku: Auf Youtube ist eine sehenswerte, weil instruktive ZDF-Fernsehdoku von 2022 mit dem Titel „Der Schatz des Priamos – Wem gehört das Gold von Troja?“ zu finden.
Unterhaltung: 2007 entstand der Spielfilm „Der geheimnisvolle Schatz von Troja“ mit Heino Ferch als Schliemann. Interessantes Zeitgemälde, auch wenn aus dramaturgischen Gründen vor allem biografische Darstellungen eher fiktiv sind. -tin
Doch seine Liebe ist die Antike. Er will Troja entdecken. Und zwar dort, wo die wenigsten es vermuten. Dabei folgt er, so seine Legende, der Literatur Homers – oder einem Hinweis des britischen Diplomaten und Archäologen Frank Calvert, wie man heute weiß. 1871 beginnt er am Hügel Hisarlik an der türkischen Westküste mit den Grabungen. Bis zu 150 Arbeiter sind auf seiner Großbaustelle im Einsatz. Durch die Anhöhe schlägt er eine Schneise, 40 Meter lang, 20 Meter breit, 17 Meter tief.
Dieser Schliemann-Graben treibt Archäologen noch heute Tränen in die Augen, zerstört er doch unwiederbringlich wichtige Siedlungsspuren. Doch es bleibt Schliemanns historische Leistung: die Entdeckung einer frühzeitlichen Hochkultur. Er legt Straßen frei, Plätze, Mauern.
Funde geschmuggelt
Am 31. Mai 1873 stößt er unter einem Feigenbaum auf jenen Fund, der ihn berühmt macht: Gold und Schmuck, dem er die Bezeichnung „Schatz des Priamos“ gibt, nach dem König von Troja. Unter anderem in einer großen Silbervase entdeckt er zwei Diademe, ein Stirnband, vier Ohrgehänge, sechs Armreife, 56 Ohrringe sowie 8750 Ringe und Knöpfe. Um sie „der Habsucht meiner Arbeiter zu entziehen“, wie er in seinen Memoiren formuliert, schickt er die Helfer zum Frühstück und bringt den Fund heimlich in seine Hütte.
Entgegen den Abmachungen mit dem Osmanischen Reich, schmuggelt er den Schatz in Gemüsekisten außer Landes. Und inszeniert seine 30 Jahre jüngere Frau Sophia mit dem Schmuck als schöne Helena. Das Foto geht um die Welt und wird zu einer Ikone der Archäologie.
Doch das Osmanische Reich wehrt sich, verklagt Schliemann vor einem Gericht an seinem Wohnort Athen auf die Herausgabe der bei archäologischen Grabungen damals üblichen Hälfte der Funde. Das Urteil nach einjährigem Verfahren verpflichtet ihn zu 20 000 Goldfranken. Schliemann zahlt freiwillig 50 000.
Denn er will seinen Ruf bewahren und weitergraben, nun in Griechenland. Ab 1876 arbeitet er in Mykene, der Stadt des Agamemnon, des großen Gegners von Troja. Und in der Tat macht er hier erneut einen Sensationsfund: eine Goldmaske, die er Agamemnon zuschreibt – auch dies gilt heute allerdings als überholt.
Die Maske muss in Griechenland bleiben, darf nicht ins Ausland, anders als beim „Schatz des Priamos“ geschehen. Den schenkt Schliemann 1881 „dem deutschen Volke zu ewigem Besitze“. Dessen Kaiser Wilhelm I. entscheidet, ihn im gerade erbauten Völkerkundemuseum auszustellen. Zum Dank wird Schliemann Ehrenbürger von Berlin.
1890 verschlechtert sich Schliemanns Gesundheitszustand. Im November unterzieht er sich einer komplizierten Ohrenoperation, Mitte Dezember reist er gegen den Rat der Ärzte nach Neapel, um die Ausgrabungen in Pompeji zu besichtigen. Er kollabiert auf offener Straße und stirbt am 26. Dezember 1890 im Hotel. Der einbalsamierte Leichnam wird nach Athen überführt und auf dem Heldenfriedhof in einem neoklassizistischen Mausoleum beigesetzt – mit Blick auf die Akropolis.
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Sein Tod löst international Reaktionen aus. Wilhelm II. höchstselbst kondoliert in einem Telegramm an „Frau Dr. Heinrich Schliemann“ – so adressiert man damals. Der Kaiser spricht von „Bewunderung und Verehrung“, die sich der Verstorbene „als Forscher wie als Mensch bei der Mit- und Nachwelt gesichert hat“.
Heute ist umstritten, ob es Troja ist, auf das Schliemann stößt, ja ob diese Stadt außerhalb der Literatur überhaupt jemals existiert. Doch unbestritten ist, dass er bei seinen Grabungen als Erster zwei bronzezeitliche Siedlungen entdeckt.
Zwiespältig auch das Urteil über den Goldschmuck: Noch in Schliemanns letztem Lebensjahr wird klar, dass es nicht der Schatz des Priamos ist, den er entdeckt hat. Der Fund ist 1250 Jahre älter als das von Homer beschriebene Troja. Es handelt sich vielmehr um den Schatz einer Hochkultur des Jahres 2500 vor Christus – als archäologischer Fund also noch wertvoller, auch wenn Schliemann sich bei der Identifizierung irrt.
40 Jahre verschollen
Fast 60 Jahre ist er im Völkerkundemuseum Berlin zu sehen. Im Kriegsjahr 1939 wird er in drei Holzkisten verpackt und im Museumskeller in Sicherheit gebracht, nach Intensivierung der alliierten Luftangriffe im Januar 1941 in den unterirdischen Tresor der Preußischen Staatsbank, Ende 1941 in den bombensicheren Flakturm am Tiergarten.
Im März 1945 ergeht ein „Führer-Befehl“, den Schatz in den Westen zu transportieren, um ihn vor der Russen zu retten. Der Direktor des Museums, Wilhelm Unverzagt, sabotiert die Anweisung, bleibt vielmehr bei den Kisten, bis Rotarmisten den Flakturm besetzen. Am 30. Juni 1945 wird der Schatz des Priamos nach Moskau geflogen und ins Puschkin-Museum verbracht. Hier lagert er jahrzehntelang geheim im Depot.
Im Zuge der Perestroika tauchen 1987 erste Informationen über die Existenz des Schatzes auf, die offiziell jedoch weiterhin nicht bestätigt wird – bis Präsident Boris Jelzin bei einem Staatsbesuch in Griechenland 1993 angeheitert davon spricht. Am 26. Oktober 1994 präsentiert die Leiterin der Archäologieabteilung des Puschkin-Museums im russischen Fernsehen die Stücke – in einer Kammer unterhalb des Daches. Fortan ist der Schatz im Puschkin-Museum öffentlich ausgestellt.
Eine Rückgabe dieses Teils der Beutekunst von 1945 an die Bundesrepublik, 2013 sogar von Angela Merkel gefordert, lehnt Russland ab – in der aktuellen politischen Situation ist sie erst recht völlig unrealistisch. Ohnehin ist beim Thema Restitution als Erster ein anderer Player im Spiel: die Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches, die Türkei.
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