Neidenfels. Der Sage nach kam die Burg Neidenfels auf dramatische Weise zu ihrem Namen. Ursprünglich hießen demnach die beiden Burgen Lichtenstein, da sie zwei Brüdern gehörten. Doch der Eigentümer der später Neidenfels genannten Anlage hasste und beneidete seinen Bruder und wollte ihn ermorden, um den gesamten Besitz in seiner Hand zu vereinen. Eines Abends legte er sich mit einem Gewehr auf die Lauer, und als er den Bruder an einem erleuchteten Fenster der nahen Nachbarburg sah, drückte er kaltblütig ab. Tödlich getroffen sank der andere zu Boden, und der Mörder übernahm den kompletten Besitz. Seitdem heißt seine ehemalige Burg Neidenfels.
In vielen Sagen steckt zumindest ein Körnchen historischer Wahrheit, doch diese ist frei erfunden. Burg Neidenfels wird nämlich erst etwa 50 Jahre nach der Zerstörung von Lichtenstein erbaut. Deren Gründung erfolgt um 1200. 1219 wird mit einem Konrad der erste bekannte Lichtensteiner in einer Urkunde erwähnt. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts gerät er in finanzielle Schwierigkeiten und verkauft Besitzungen.
Eine schillernde Figur
Mit Johannes, dem Sohn von Konrads Bruder Albecht, betritt eine schillernde Figur die Bühne der pfälzischen Geschichte. Er pflegt ein gutes Verhältnis zu den Bischöfen sowie der Stadt Speyer und verpflichtet sich Ende 1280 dazu, die Bürger für ein Jahr zu unterstützen, auch mit militärischen Mitteln. Das wäre an sich nichts besonderes, doch der Beistand richtet sich gegen seine eigene Familie, nämlich gegen seine Brüder und die beiden Cousins.
Immerhin sollen sie nicht getötet, sondern an Speyer ausgeliefert werden. Warum gibt sich Johannes dafür her? Dass es Streitigkeiten in der Familie gegeben haben muss, liegt nahe. Aber Belege dafür finden sich nicht, ebenso wenig für die Gründe der Feindschaft von Speyer gegen die Lichtensteiner. Der Vorwurf des Raubrittertums wird erst in einer etwa drei Jahrhunderte später verfassten Chronik der Stadt erhoben.
Auch Kinder getötet?
Johannes jedenfalls weiß wohl, was kommt und verkauft im April 1281 sein Drittel der Burg Lichtenstein an die Reichsstadt. In dem 1857 erschienenen Werk „Burgen und Bergschlösser der Pfalz“ beschreibt Johann Georg Lehmann das darauf Folgende: „So rückte der Lichtensteiner vor seine (...) Stammburg, erstürmte dieselbe und verwandelte sie durch Feuer und sonstige gewaltsame Verwüstung in eine öde Stätte, indem alte Nachrichten sagen: ‘daß man viel in dem Schloß beschädigt, weder Weib oder Kinder verschohnt, dasselb mit Feuer angesteckt, alles nidergerissen, die Mauer verbrochen und zu Grund verhergt und zerstört hat’.“
Dass Frauen und Kinder getötet werden, ist für eine Burgeroberung ungewöhnlich. Auch Martin Wenz, Denkmalpfleger in Baden-Württemberg und einer der profiliertesten Kenner pfälzischer Burgen, zweifelt daran: „Man sollte hinterfragen, wie viele Frauen und Kinder sich zu diesem Zeitpunkt tatsächlich auf der relativ kleinen Burg befunden haben. Der nachweisbare Umfang lässt wohl höchstens auf 20 bis 30 ständige Bewohner der Kernburg schließen. Der Anteil von Frauen und Kindern war wohl recht gering. Außerdem fanden bei solchen Belagerungen und Zerstörungen von Adelssitzen nur selten solche drastischen Massaker statt. Oft wurden nur die Bewohner vertrieben und die eroberte Burg in Brand gesetzt. Ob dies auch auf dem Lichtenstein der Fall war, wissen wir natürlich nicht.“
Doch die Nachprüfung stößt auf ein Problem, so Dr. Wenz: „ Da ich das Originaldokument, auf das sich Lehmann vermutlich bezieht, nicht finden konnte, ist es schwierig zu sagen, ob seine Aussage hinsichtlich der Frauen und Kinder tatsächlich stimmt.“ Das bleibt also ungewisss.
Albrecht von Lichtenstein erhält eine hohe Abfindung von der Stadt Speyer. Im Gegenzug verzichtet er auf weitere Forderungen und verpflichtet sich dazu, die Burg nicht wieder aufzubauen.
Lehmanns Beschreibung der Ruine trifft noch heute zu. Lediglich ein Mauerstück hat er gefunden: „Sonst ist an dieser wüsten, verwilderten Stätte nichts Kenntliches mehr zu sehen, keine Spur eines Thores oder eines Fenstergestelles ist mehr zu erspähen, ein klarer Beweis, dieses feste Haus sei gewaltsam und von Grund auf zerstört worden.“ Die Mauerteile aus schönen Buckelquadern könnten zu einem mächtigen Wohnturm gehört haben, der eventuell den gesamten sechs Meter hohen Felsen einschloss. Spuren anderer Gebäude sucht der Besucher tatsächlich vergebens. Was auffällt: Die Lage der Burg ermöglicht eine perfekte Kontrolle der Straße, hat aber für die Verteidigung gravierende Nachteile, da ein darüber liegendes Plateau Feinden eine optimale Angriffsposition bietet.
Nach 1281 dient die Ruine als Steinbruch. Material kommt um die Mitte des 19. Jahrhunderts beim Bau der Bahnstrecke im Tal zum Einsatz und vielleicht bereits im 14. Jahrhundert bei der Errichtung der Burg Neidenfels.
1338 erstmals erwähnt, wird diese Burg wohl wenige Jahre zuvor von den Pfalzgrafen gegründet, denen sie während ihrer gesamten Existenz gehören sollte. Die Burg dient oft als Aufenthaltsort ihrer Besitzer, die dort viele Urkunden ausstellen. Sie vergeben die Anlage meist an niederadlige Burgmänner als Lehen.
Ein Bürgerlicher überragt sie jedoch alle an Bedeutung: der Reiterobrist Peter Beutterich, den Pfalzgraf Ludwig 1582 als Lehnsmann einsetzt. Unter diesem Mann dient die Burg als Dreh- und Angelpunkt kurpfälzischer Diplomatie. Der vielgereiste Doktor der Rechtswissenschaft tritt 1568 in den Dienst des Kurfürsten Friedrich III. von der Pfalz und macht sich als Heerführer und Diplomat einen Namen.
Beutterich ist nicht nur hochgebildet, sondern auch ein verwegener Mann, der sich auf Befehl seines Herrn unter anderem für die französischen Hugenotten einsetzt. Seine Ziele sind hochgesteckt, zu hoch. So will er im Auftrag von Pfalzgraf Johann Casimir die vom französischen König Heinrich II. widerrechtlich annektierten Bistümer Metz, Toul und Verdun für das Reich zurückgewinnen, was scheitern muss.
Das gilt auch für seine letzte Unternehmung. Er soll dem zum Protestantismus konvertierten Erzbischof Gerhard von Köln zu Hilfe eilen, der vom Papst exkommuniziert wird. Also zieht er 1583 mit 2000 Mann in den Kölnischen Krieg. Bei der vergeblichen Belagerung des Städtchens Unkel am Rhein wird Beutterich schwer verletzt. Deutz dagegen wird erobert.
Doch da Verbündete ausbleiben, folgt der Rückzug in die Pfalz. Am 12. Februar 1587 erliegt Beutterich in Heidelberg den Folgen seiner Verletzung, kombiniert mit Tuberkulose. Sein Sohn folgt ihm als Lehensmann auf Neidenfels. Den Dreißigjährigen Krieg scheint die Burg unbeschadet überstanden zu haben, nicht aber den Pfälzischen Erbfolgekrieg: 1689 zerstören französische Truppen die Anlage.
Von den Ruinen wäre noch wesentlich mehr erhalten, wenn sich Forstmeister Georg Glöckle nicht in den Kopf gesetzt hätte, in Neidenfels Weinbau zu betreiben. 1749/50 lässt er Teile der Ruine abbrechen und mit den Steinen auf dem Burgberg Terrassen anlegen. Das Vorhaben scheitert wie zu erwarten an den ungünstigen klimatischen Verhältnissen. Beim Betrachten der großflächigen Weinbergterrassen kommt man zu dem Schluss, dass Neidenfels eine Burg von beachtlichen Ausmaßen gewesen sein muss.
Ein elf Meter breiter und 13 Meter tiefer Graben trennt den Hauptburgfelsen vom steil ansteigenden Berghang. Doch was stand auf dem Felsen, um diese gefährdete Seite zu schützen? Spekuliert wird über Wohnturm, Bergfried oder Schildmauer. Zu sehen sind noch drei Felsenkeller, Reste eines runden Treppenturms, von kleinen Ringmauertürmen und Gebäuden.
Brunnen oder Zisterne?
Sehr auffällig: der Brunnen oder die Zisterne mit einem oberen Durchmesser von etwa zwei Metern. Während die Autoren im Pfälzischen Burgenlexikon für eine Zisterne plädieren, sprechen sich andere Forscher für einen Brunnen aus. Seit 1935 gehört die Ruine der Gemeinde Neidenfels, die sich mit Unterstützung von Ehrenamtlichen darum kümmert.
Neidenfels und Lichtenstein zählen nicht zu den spektakulären Wehranlagen der Pfalz, weisen jedoch beide Besonderheiten auf: Lichtenstein durch ihr frühes und trauriges Ende, Neidenfels wegen der kuriosen Zweitverwendung ihres Baumaterials. Und ein schöner Spaziergang verbindet sie.
Tipps für Besucher
Lage: Beide Ruinen liegen über dem pfälzischen Ort Neidenfels, etwa zwölf Kilometer nordwestlich von Neustadt/Weinstraße.
Entfernung von Mannheim: 47 Kilometer. Fahrzeit: etwa 45 Minuten
Anfahrt von Mannheim: Über A65 bis Neustadt-Nord, dort abbiegen und der Beschilderung Lambrecht folgen. Durch Lambrecht fahren und weiter nach Neidenfels. Im Ort Neidenfels von der B39 rechts auf den Mühlweg abbiegen, dann rechts in die Hintertalstraße bis zur Lichtensteinhütte (geöffnet Mittwoch 13-19 Uhr, Samstag 13-19 Uhr, Sonntag 11-19 Uhr, Adresse: Hintertalstraße 50, 67468 Neidenfels). Dort parken.
Mit der Bahn: In Neidenfels Bahnhaltepunkt mit S-Bahn-Anschluss Richtung Neustadt und Kaiserslautern
Wanderempfehlung: Von der Hütte ein Stück das Tal hochgehen. Von dem breiten Forstweg zweigt rechts ein schmaler, beschilderter Weg ab, der zur Ruine Neidenfels führt. Von dort geht eine steile Treppe durch die Weinbergsterrassen hinunter in den Ort. Sie mündet auf der Straße Schlossberg. Weiter geht es rechts auf die Hintertalstraße. Dort angelangt, sofort wieder links zwischen den Häusern hindurch auf einem Pfad den Berg hoch. Den Forstweg überqueren und immer weiter nach oben bis zur Ruine Lichtenstein. Zurück der gleiche Weg: Wieder auf der Hintertalstraße angelangt, links hoch zur Lichtensteinhütte gehen. Abgesehen von der steilen Treppe ohne Geländer ist er problemlos zu begehen. Länge Rundweg: 4 km
Literatur: Keddigkeit/Burkhart/Übel: Pfälzisches Burgenlexikon, Band 3, Kaiserslautern 2005. kba
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