Berlin
Bekannt? Nein, mit „sie“ ist hier nicht die Ukraine 2024 gemeint, sondern die Stadt Berlin 1948. Die Russen versuchen, den Westen der Metropole auszuhungern. Vor 75 Jahren, am 12. Mai 1949, scheitert das.
Informationen zum Thema Berliner Luftbrücke
Denkmal Berlin: vor dem Hauptgebäude des Flughafens Tempelhof, 1951 eingeweiht, 42 Meter hoch. Gestaltung: Aus einem Brückenbogen ragen drei Rippen heraus, die die drei alliierten Luftkorridore symbolisieren. Im Berliner Volksmund heißt das Denkmal „Hungerkralle“.
Gedenkstätte Frankfurt: nahe des Flughafens an der A 5, kleinere Version des Berliner Denkmals, flankiert von einer DC-3/C-47 und einer DC-4/C-54, 1985 eingeweiht, finanziert von einem privaten Verein – zu Fuß (fünf Minuten) erreichbar von Zeppelinheim aus (Parkplatz ausgeschildert). Mehr Infos beim Trägerverein unter www.luftbruecke-frankfurt-berlin.de
Ausstellung: Alliiertenmuseum in Berlin (www.alliiertenmuseum.de), Clayallee 135. Dort auch Kleinode wie die Postkarte des fünfjährigen Wolfgang an Gail Halvorsen: „Ach sei doch so gut und schreibe mir, wo du immer deine Schokolade abwirfst.“
Literatur: Volker Koop: „Kein Kampf um Berlin“, 564 Seiten, arbeitet sehr gut die Entscheidungsprozesse um die Luftbrücke heraus, besonders die Widerstände der deutschen Politik.
Spielfilm: Legendär: „The Big Lift“ von 1950 mit Montgomery Clift.
Fernsehserie: „Nur der Himmel war frei“, 2005, produziert von Nico Hofmann, mit Ulrich Tukor als Clay und Heino Ferch als General Turner.
Gedenken: 12. Mai, 10 Uhr, am Denkmal in Berlin mit Verteidigungsminister Pistorius; 11.30 Uhr Einweihung einer Gedenktafel für Gail Halvorsen. Ab 14 Uhr Fest für die Bevölkerung. 7. Juni: Fest in Faßberg bei Celle; der dortige Fliegerhorst war einer der Ausgangspunkte für die Hilfsflüge nach Berlin. Dort auch Museum. -tin
Rückblende. 1945 ist Deutschland besiegt, aufgeteilt in vier Besatzungszonen – je eine amerikanische, britische, französische und sowjetische. Ebenso die Hauptstadt Berlin, die wie eine Insel inmitten der sowjetischen Besatzungszone liegt.
Doch bald zerbricht die Einheit der Sieger. Der Westen registriert, dass die Sowjets unter ihrem Diktator Stalin überall, wo sie das können, demokratische Strukturen aushebeln und das Land unter ihre Herrschaft bringen. Amerikaner und Briten kommen überein, aus ihren Zonen einen eigenen Staat zu machen.
Stalin wählt ein archaisches Mittel: Aushungern
Am 7. Juni 1948 erteilen die Westalliierten auf einer Konferenz in London den Ministerpräsidenten der wieder errichteten deutschen Bundesländer den Auftrag, „eine Verfassungsgebende Versammlung zur Ausarbeitung einer Verfassung einzuberufen.“ Am 18. Juni kündigen sie für die drei Westzonen eine neue Währung an; die Ausgabe dieser D- Mark erfolgt am 20. Juni. Am 23. Juni dehnen sie deren Gültigkeit auf die Westsektoren Berlins aus.
Bereits am Tag danach (24. Juni) stellen die Russen den Strom für West-Berlin ab und sperren alle Zugänge zu Land und zu Wasser. Sowjet-Diktator Stalin entscheidet sich also für ein archaisches Instrument: Aushungern. Obwohl doch die Russen wissen, was dies für Folgen hat: nach der Belagerung Leningrads durch die Wehrmacht, der eine Million Menschen zum Opfer fallen.
Von der Blockade ist der Westen überrascht. Als sie beginnt, reichen die Lebensmittel in West-Berlin gerade für 36 Tage und die Kohle für 45. 2,2 Millionen Menschen müssen versorgt werden. Zudem 9000 amerikanische, 7600 britische und 6100 französische Soldaten teils gemeinsam mit ihren Familien. Der Westen muss reagieren. Aber wie?
General Lucius D. Clay, der US-Militärgouverneur in Deutschland, schlägt vor, die Blockade der Straßen mit Panzern zu durchbrechen. Das lehnt US-Präsident Truman ab. Einen Krieg wegen einer deutschen Stadt, das wollen er nicht und vor allem nicht die Briten, die noch immer unter den Folgen des vorherigen leiden. Als verträgliche Lösung kommt die Idee einer Luftbrücke auf. Im Unterschied zu Land- und Wasserstraßen sind die Luftwege offen; dies hatten die Russen einst schriftlich zugesichert, das gilt nach wie vor.
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Kritik kommt überraschenderweise von den Westdeutschen. Hessens Finanzminister Werner Hilpert (CDU) etwa meint, das sei ein Konflikt zwischen Amerikanern und Russen – warum sich einmischen und dafür zahlen. Bekannte Ausflüchte. Doch die Deutschen haben damals nichts zu sagen – zum Glück.
Am 26. Juni fliegen die ersten US-Maschinen von Frankfurt und Wiesbaden-Erbenheim nach Tempelhof, die Briten nach Gatow in ihren Sektor. Die Franzosen, die selbst nur wenige geeignete Flugzeuge haben und daher nicht viel beitragen können, errichten in ihrer Zone einen neuen Flugplatz, Tegel. In nur 90 Tagen.
Überhaupt ist die Luftbrücke eine logistische Meisterleistung. Bis zu 300 Maschinen, in fünf verschiedenen Ebenen übereinander, sind gleichzeitig in der Luft. Alle drei Minuten landet ein Flugzeug. Die Entladung dauert ganze sieben Minuten. Am 18. September wird mit 861 Flügen und 7000 Tonen Fracht ein erster Tagesrekord erreicht. Alles, was zum Leben gebraucht wird, kommt aus der Luft: Kohle und Ölfässer, Kartoffeln und Medikamente.
Es gibt Erlebnisse, die für eine ganze Generation von Berlinern prägend werden. Eines davon: Der Pilot Gail Halvorsen bindet Schokolade und Kaugummis an kleine Fallschirme, die er aus Taschentüchern bastelt, und wirft sie vor der Landung Kindern zu, die auf Trümmerbergen am Flughafen Tempelhof warten. Viele seiner Kameraden folgen, insgesamt fallen auf diese Weise 23 Tonnen Süßigkeiten vom Himmel. Die Amis nennen sich Candy Bomber, die Berliner Rosinenbomber.
„Als Pimpf kannte ich natürlich alle Flugzeugtypen“, erinnert sich der spätere Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen, damals sieben Jahre alt: „Wir wohnten in der Nähe der Havel. Daher sind mir besonders Flugzeuge in Erinnerung, die auf der Havel landeten.“
Trotz allem, es werden harte Monate für die Menschen im Westen Berlins. Nur vier Stunden am Tag gibt es Strom. Die Tagesrationen betragen 400 Gramm Brot, 40 Gramm Fleisch, 40 Gramm Zucker und fünf Gramm Käse. Dennoch hungern die West-Berliner lieber, als sich in Ost-Berlin mit Lebensmitteln zu versorgen. Dieses Angebot der Sowjets nehmen nur etwa zehn Prozent der West-Berliner an. Das gilt als Verrat.
Den Widerstandswillen bringt Oberbürgermeister Ernst Reuter (SPD) zum Ausdruck. Am 9. September spricht er vor 300 000 Menschen am Reichstag die legendären Worte: „Ihr Völker der Welt! Ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien: Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass Ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft, nicht preisgeben könnt.“
Die Appelle sind notwendig, sowohl nach außen als auch nach innen. Denn der Winter steht vor der Tür, das Flugwetter wird schlechter. Trotzdem werden im Dezember täglich immer noch 4500 Tonnen geliefert. Dennoch reicht die Kohle zum Heizen nicht aus: In Straßen, Vorgärten und Parks wie im Tiergarten oder im Grunewald werden sämtliche Bäume abgeholzt – die Folgen sieht man teilweise bis heute.
Die Russen erreichen das genaue Gegenteil ihres Ziels
Doch am Ende wird der Winter milder als befürchtet. Als der Frühling kommt, wird klar, dass die Blockade der Sowjets gescheitert ist. Die Lieferung steigert sich noch einmal auf 8000 Tonnen pro Tag. An Ostersonntag 1949, von den Alliierten „Osterparade“ genannt, sind es auf 1398 Flügen sogar 13 000 Tonnen.
Negative Folgen dagegen zunehmend im Osten: Wegen der Unterbrechung des Handels mit dem Westen müssen die Sowjets immer mehr eigene Ressourcen in ihre Zone stecken – und erkennen, dass sie gescheitert sind. „Diese Blockade war einer der schwersten Fehler der sowjetischen Politik nach 1945“, konstatiert Historiker Rolf Steininger. Die Sowjets beenden die Aktion. Am 12. Mai 1949 erreicht der erste britische Lkw wieder West-Berlin.
Insgesamt werden mit 278 000 Flügen mehr als zwei Millionen Tonnen angeliefert. Und dies in einer Zeit, in der es selbst im Siegerland Großbritannien noch Lebensmittelmarken gibt. Umgerechnet eine Milliarde Euro kostet die Aktion, 31 Amerikaner und 40 Briten sterben bei Abstürzen oder Unfällen. Zumeist Piloten, gestorben für Bürger des Landes, dessen Städte sie noch drei Jahre zuvor bombardiert haben.
„Westdeutsche und Westalliierte fühlten sich zum ersten Mal seit 1945 als Verbündete“, urteilt Historiker Steininger. Die Blockade „legte die Grundlage für die Einbeziehung Deutschlands in die westliche Wertegemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg“, meint Politiker Diepgen. „Sie war so etwas wie die Geburtsstunde der atlantischen Beziehungen“, sagt der frühere Präsident des NATO-Parlamentes, Karl A. Lamers.
Gail Halvorsen übrigens erhält 1974 das Bundesverdienstkreuz, nimmt an allen Jahrestagen in Tempelhof teil, zuletzt 2019 mit 98 Jahren. Er stirbt 2022 im Alter von 101 Jahren. Die Nachrufe sind sich einig: ein Held und Menschenfreund.
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