Schauspiel

NTM-Saison mit Theatertruck-Premiere eröffnet

Goldonis „Der Diener zweier Herren“ wurde schon 1746 uraufgeführt - und wird nun am Nationaltheater Mannheim unterhaltsam, neu und zeitgemäß gezeigt. Auch Klamauk und Sozialkritik kommen nicht zu kurz

Von 
Martin Vögele
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Sorgen für Trubel auf der Bühne (v.l.): Franziska von Harsdorf, Rocco Brück, Boris Koneczny, Patrick Schnicke, Maria Munkert und Sarah Zastrau. © NTM/Maximilian Borchardt

Mannheim. Drei Hochzeiten und ein Fall von kollektivem Glück zum Finale, so wie es geschrieben steht? Alle Verwechslungen, Irrungen, zwischenmenschlichen Turbulenzen und Fast-Katastrophen sind vergessen, verflogen, nun herrscht ungetrübte Heiterkeit? So einfach und buchstabengetreu geht es nicht zu, bei dieser Premiere von Carlo Goldonis Komödien-Klassiker „Der Diener zweier Herren“, den Carolina de Araújo Cesconetto und Eunsoon Jung am Mannheimer Nationaltheater (NTM) inszenieren, die, ebenso wie Lena Katzer (Bühne und Kostüm), dem jungen Theaterkollektiv hfs_ultras angehören - dem ersten rein weiblichen Regiejahrgang der Berliner Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch. Wegen der Wetterverhältnisse findet die Aufführung auf der mobilen Theatertruck-Bühne, die den Saisonbeginn der NTM-Schauspielsparte markiert, nicht wie geplant im Freien, sondern im Inneren der Probenbühne am Tanzhaus in Käfertal statt.

Die Stückhandlung im Schnelldurchlauf: Der Turiner Florindo wird bezichtigt, den Bruder seiner Geliebten Beatrice, Federigo Rasponi, getötet zu haben, und flieht nach Venedig. Als Mann verkleidet reist Beatrice gleichfalls dorthin, wo sie Truffaldino in ihre Dienste nimmt und sich als ihr eigener Bruder ausgibt - um dadurch erst einmal die zwischenzeitlich anberaumte Hochzeit zwischen Clarice (Tochter des Kaufmanns Pantalone, die Federigo gegen ihren Willen versprochen war) und Silvio (für den sie wirklich entflammt ist) zu sprengen. Truffaldino, schlecht (wenn überhaupt) bezahlt und hungrig, verdingt sich auch als Florindos Diener, was die Liebenden nicht wissen und dem Lakaien keineswegs doppelten Lohn und Mahlzeiten, sondern vielfachen Ärger beschert. Aber zumindest lernt er, sehr zu seinem Entzücken, darob Clarices Zofe Smeraldina kennen.

Neu und zeitgemäß

Goldonis Stück, 1746 uraufgeführt, gilt als Höhepunkt der Commedia dell’arte. Doch bricht der Dichter zugleich mit deren Konventionen, indem er den streng reglementierten Figuren individuellere Züge verleiht, und nicht zuletzt, weil er nicht das Liebespaar, Menschen von Stand, sondern den Diener und Narren ins Zentrum rückt. Das Regie-Duo löst die Figuren hier nun noch weiter aus ihrer theatralen Formelhaftigkeit, schreibt einiges um und neu und zeitgemäß, greift dabei auch Sozial- und Wirtschaftskritik auf (Florindo: „Die Inflation steigt gerade extrem! Die Mieten schießen in die Höhe und sind unbezahlbar, egal, wie viel man arbeitet!“).

Die Theatermacherinnen scheuen weder Klamauk noch klassische, durch die Kostüme potenzierte Screwball-Komödien-Elemente: Boris Koneczny ist hier als Pantalone ein hinreißend rumpeliger, in Kompost-Braun gekleideter Klabautermann; mit strähniger Perücke unter der Kochhaube mimt er zudem den Wirt Brighella. Clarice, angetan mit Faltboot-Hut und in purpurne Roben-Strenge gehüllt, wird mit wunderbar schroff-zorniger Verve von Franziska von Harsdorf verkörpert, die in einer Doppelrolle auch den Florindo gibt: mit Schnauzbart, dick gepolsterten Ärmeln und weitausschreitendem Selbstbewusstseins-Charme. Rocco Brück spielt den Silvio mit seufzendem Emo-Ennui, stets bereit, in den leidenschaftlichen Furor einer Dramaqueen auszubrechen.

Unterhaltsamer Slapstick

Maria Munkert (in Rosengold und Fischerhut gehüllt) agiert absolut souverän als Beatrice, die mit rauer Stimme und Unerschrockenheit in die Rolle des toten Bruders schlüpft. Sarah Zastrau, ins Picknick-Ornat einer Teegesellschaft gekleidet, legt als Smeraldina zunächst die wuselnd chaotische Umtriebigkeit eines Mr. Bean an den Tag (später wird sie noch überraschen!).

Patrick Schnicke operiert kompetent als Truffaldino, der mit knurrendem Magen alle Geistesgegenwart beisammen halten muss, um den Überblick über seine Schwindeleien nicht zu verlieren. Wie die meisten anderen „Zanni“ (die Angehörigen der Unterschicht der Commedia dell’arte), die von den Ensemblemitgliedern in Wechselbesetzungen gespielt werden, trägt er ein uniform weiß-schwarz gemustertes Kostüm.

Das ist sehr unterhaltsam, auch wenn die Slapstick-Szenen sich manchmal ein bisschen verlaufen und gerade Truffaldino in der Spielführung stellenweise etwas alleingelassen wirkt. Gleichwohl: Die Inszenierung steckt voller Energie, und wie das Ende variiert und hier tradierte patriarchale Selbstverständnisse abgewatscht werden - das ist ziemlich klasse. Jedenfalls wollen wir gerne mehr von den hfs_ultras sehen.

Freier Autor

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