Kulturparkett

Zehn Jahre Kulturpass: „Kunst ist ein Lebensmittel“

Menschen mit niedrigem Einkommen den Zugang zur Konzerten, Ausstellungen oder Sportveranstaltungen zu ermöglichen ist die Aufgabe des Vereins Kulturparkett, der mehrfach in der Rhein-Neckar-Region vertreten ist und nun zehn Jahre alt wird

Von 
Ralf-Carl Langhals
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Führen zu Sesseln im Parkett: Anne-Marie Geisthardt und Gerhard Fontagnier vor ihrer Anlaufstelle in S 3, 12. © Manfred Rinderspacher

„Es ist eine wahnsinnige Bereicherung - und ich nehme von jeder Veranstaltung etwas mit“, sagt Kulturpass-Inhaberin Dagmar K., die nicht viel Geld, aber großen Kulturhunger hat. Vor vier Jahren hat sich die 61-Jährige den Kulturpass im Büro des Kulturparketts im Mannheimer Quadrat S 3, 12 ausstellen lassen. „Anfangs kam ich mir vor wie eine Schmarotzerin, wenn ich ihn wo vorlegte, aber alle Museen und Veranstalter haben mir das gute Gefühl geben, dass es okay ist, dass man sich sogar freut, dass ich da bin.“ Und dann sprudelt es aus ihr heraus... Sie erzählt von wahnsinnig interessanten Vorträgen im Marchivum oder am DAI in Heidelberg, von tollen Ausstellungen in Kunstverein oder Technoseum, von Jazz im BASF Feierabendhaus oder Karlstorbahnhof, Gesprächsbanketten im Eintanzhaus („Das war der Hammer!“) und Konzerten in der Alten Feuerwache.

„Ich bin eben neugierig und offen“, sagt Dagmar K. Es sei freilich auch mal etwas dabei, das sie nicht so sehr anspreche, aber dann gehe man eben raus aus der Ausstellung. Man sei völlig frei von den quälenden Abwägungen, ob denn die zwölf Euro wirklich noch drin seien, oder ob sie es für ihr Mini-Budget dann auch wirklich wert waren - und vertretbar: „Für mich ist das viel Geld!“

Kulturparkett und Kulturpass

  • Unter dem Leitgedanken „Kultur darf kein Luxus sein!“ ermöglicht der Verein Kulturparkett seit 2013 6000 Menschen mit geringem Einkommen freien Eintritt zu Kulturveranstaltungen. Der Verein koordiniert und organisiert Spenden von Kulturinstitutionen und stellt dafür den Kulturpass aus.
  • Über 120 Einrichtungen in der Rhein-Neckar-Region spenden Ticketkontingente oder freien Zugang für Menschen, die unter die Bestimmungen des Arbeitlosengelds II, von Grundsicherung, Wohngeld, Asylbewerberleistungen oder Rente bis zur sogenannten Armutsgefährdungsschwelle fallen.
  • An den 1500 jährlichen Veranstaltungen aus den Bereichen Konzert, Schauspiel, Comedy, Ballett, Oper, Museum, Ausstellung, Lesung und Workshop beteiligen sich auch Sportvereine wie etwa TSG Hoffenheim, SV Sandhausen oder SG Leutershausen.
  • In Mannheim hat Kulturparkett seine Anlaufstelle in S 3, 12. Ferner gibt es Sprechstunden an Kontaktstellen in Heidelberg, Ludwigshafen, Schwetzingen/Oftersheim, Speyer, Bad Dürkheim und Hirschberg, weitere sind im Gespräch. Spenden für Ausbau von Angebot und Personalstellen sind willkommen: IBAN DE75 6709 0000 0090 6724 01. 

Da ist sie nicht allein. Viele Menschen können sich Eintritte in Museen und Kunstvereine oder Tickets für Konzert oder Theater einfach nicht leisten, weil es ihr Einkommen, ihre Grundsicherung, ihre kleine Rente einfach nicht zulässt.

Austausch und Wertschätzung

Szenenwechsel: Wir sitzen im Kulturparkett, nicht im zum Logo gewordenen Theatersessel, aber auf einer roten Couch, wo wir die Geschichte der Initiative zu deren zehnjährigem Bestehen im Gespräch mit Initiator Gerhard Fontagnier und Geschäftsführerin Anne-Marie Geisthardt Revue passieren lassen. Gelacht hätten die Gemeinderatskollegen damals, als er ihnen gemeinsam mit Miriam Caroli 2009 vorschlug, Menschen mit geringem Einkommen freien Eintritt zu kulturellen Veranstaltungen zu ermöglichen. Das könne man doch nicht machen, sagten die einen, die anderen meinten, Kultur müsse doch einen Wert haben - und was nichts koste, sei bekanntlich nichts wert ... „Wir stellten damals von der Grünen-Fraktion einen Antrag, der aber durchrasselte. Also gründeten wir einen Verein.“

Wir sind zum Glück bei den Institutionen vor Ort auf große Offenheit gestoßen

Spannend sei das gewesen, erzählt der Erste Vorsitzende, weil man feststellte, dass es in Frankfurt oder Stuttgart schon ähnliche Modelle gab oder andernorts im Entstehen waren, etwa die Kulturlogen. „Wir haben uns aus allen Modellen das Beste herausgepickt und am 19. Februar 2013 das Kulturparkett Rhein-Neckar gegründet - also gleich die Region miteinbezogen“, erklärt Fontagnier. „Wir sind zum Glück bei den Institutionen vor Ort auf große Offenheit gestoßen“ - von Planetarium bis Kurpfälzischem Kammerorchester, von Capitol bis Pro Arte Konzerte, von NTM bis SAP Arena spendeten die angefragten Kulturpartner Kartenkontingente in unterschiedlicher Höhe, das war die Basis. Warum sollen Plätze leer bleiben, während draußen Leute stehen, die gerne kämen, es sich aber nicht leisten können? So der Ansatz.

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„Jetzt galt es nur noch, die Verwaltung und Verteilung zu gewährleisten, die Zugangsvoraussetzungen für eine Kulturpass-Teilnahme abzustecken und das Angebot auszubauen ...“ Da muss Anne-Marie Geisthardt lachen. „Das war ganz schön stramm“, anfangs als Mini-Jobberin, die längst eine Vollzeitstelle als Geschäftsführerin innehat. Die Vernetzung mit anderen Partnern und Sozialträgern ist ihr ebenso wichtig. Ob Drogenverein, Diakonie, Arbeiterwohlfahrt oder Sozialpsychiatrischer Dienst, sie alle informieren und vermitteln diese niederschwellige und kostenlose „Möglichkeit der kulturellen Teilhabe, die auch soziale Teilhabe ist“, betont Geisthardt.

Armut nimmt spürbar zu

„In Zeiten wie diesen ist Kunst ein Lebensmittel, wenn nicht gar ein Grundnahrungsmittel“, sind sich Fontagnier und Geisthardt einig. In zehn Jahren hat sich die Schere der Armut spürbar geöffnet, berichten sie. Man versteht sich in S 3, 12 daher bewusst auch als „Anlaufstelle“.

Mittlerweile gibt es neben der dann doch schon 2014 erfolgten und stufenweise auf 50 000 Euro jährlich angehobenen Förderung der Stadt Mannheim auch Kontaktstellen und Zuwendungen in Heidelberg, Ludwigshafen, Schwetzingen, Speyer, Bad Dürkheim und Hirschberg. Insgesamt kümmern sich mittlerweile 50 ehrenamtliche Vereinsmitglieder um kulturell interessierten Gäste.

Ein Grund zum Feiern. Mit Künstlern und Weggefährten - und natürlich mit Dagmar K., die sich das Event in der ausverkauften Kunsthalle nicht entgehen lassen will.

Redaktion Seit 2006 ist er Kulturredakteur beim Mannheimer Morgen, zuständig für die Bereiche Schauspiel, Tanz und Performance.

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