Regionale Alben des Jahres 2023

Wo Apache 207 das Sieger-Treppchen im Jahr 2023 verpasst

Die 15 spannendsten Alben des Jahres aus Mannheim und der Region stammen für unsere Kritiker unter anderem von Engin, Paula Carolina, Jungstötter und Gringo Mayer

Von 
Jörg-Peter Klotz , Georg Spindler und Martin Vögele
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Guter Klang liegt wieder im Trend: Die meisten unserer regionalen Lieblingsalben sind auch auf Vinyl erschienen. Abgebildet sind nur die Tonträger, die der Kultur-Redaktion physisch vorlagen. © Klotz

Metropolregion. Die fast schon unheimliche Rekordjagd des in Mannheim geborenen Musikers Apache 207 ist 2023 weiter erfolgreich gewesen: Er war bei Spotify erneut der meistgestreamte deutsche Künstler. „Komet“, das Duett mit Deutschrock-Altmeister Udo Lindenberg, avancierte mit 18 Wochen auf Platz eins gar zur erfolgreichsten Single der deutschen Charts-Geschichte.

Da wird es der fußballbegeisterte 26-Jährige sportlich nehmen, dass er es in der Jahreswertung der 15 spannendsten 15 Alben aus Mannheim und der Region nicht aufs Treppchen geschafft hat: Sein zweites Album „Gartenstadt“ landet bei unseren Kritikern auf Platz vier. Hinter „Nacht“ vom deutschtürkischen Trio Engin, Paula Carolinas „Heiß/Kalt“ und Jungstötters „One Star“.

Zugegeben: Musik zu einander in Wettbewerb zu setzen, ist schwierig. Zumal, wenn man wie hier Pop, Rock, Indie, Punk und Jazz vergleicht, so dass sich unsere 15 Lieblingsalben wesentlich stärker voneinander unterscheiden als Äpfel von Birnen. Andererseits: Nicht nur Fans lieben Listen. Was schon Nick Hornby in seinem Pop-Roman „High Fidelity“ dokumentiert hat. Und 2023 war ein außergewöhnlich produktives Jahr der Musikschaffenden aus Mannheim und der Region. Auf sehr hohem Niveau. Denn zwangsläufig fehlen hier viele ebenfalls hochkarätige Veröffentlichungen.

Engin: „Nacht“ © Capadol

Engin: „Nacht“

Die Reihenfolge muss man nicht todernst nehmen. Aber Platz eins lässt sich sehr gut begründen: Dem an der Popakademie ausgebildeten Songwriter Engin Devekiran gelingen nicht nur höchst stimmungsvolle Szenenbilder aus der Mannheimer Nacht. Gleichzeitig lässt er westlichen Indie-Rock und -Pop so selbstverständlich mit türkischen Musikelementen ineinanderfließen, dass „Nacht“ perfekt in ein Jahr passt, nach dem die Welt wenig dringender benötigt als solche Brückenschläge. Lesen Sie hier unser Interview mit diesem auch live spekatukulären Musiker.

Paula Carolina: „Heiß/kalt“ © Sophie Löw

Paula Carolina: „Heiß/kalt“

Die gelingen auch Paula Carolina, allerdings zurück in der Zeit. Die Wahl-Mannheimerin ist spätestens mit den eingängigen, inhaltlich sehr zeitgemäßen Songs von „Heiß/Kalt“ eine der Speerspitzen der neuen Neuen Deutschen Welle (NDW) um Edwin Rosen, Bibiza oder den Herxheimer Drangsal.

Jungstötter: „One Star“ © Buback/PIAS

Jungstötter: „One Star“
 

Ex-Sizarr-Sänger Fabian Altstötter aus Landau ist quasi dessen Nachbar und hat als Jungstötter mit dem abwechslungsreichen, nicht nur melancholischen „One Star“ eines der besten deutschen Indie-Pop-Alben des Jahres veröffentlicht. Die ausführliche Albumkritik lesen sie hier.

Apache 207: „Gartenstadt“ © Feder Musik/Sony Music

Apache 207: „Gartenstadt“

Es folgen zwei weitere Pfälzer – aus Ludwigshafen: Apache hat sein Nummer-eins-Album, kommerziell mit Abstand das erfolgreichste unserer Wertung, nach seinem Heimatstadtteil benannt. „Gartenstadt ist ein ambitioniertes Party- und Nachtalbum zwischen tanzbarem Pop und relativ wenig Rap mit melancholischem Tiefgang – aber auch Ohrwürmern wie „Neunzig“, die zum Repertoire von Kerbe-Bands gehören. Zur weiteren Lektüre: Unsere Rezension zur Platte sowie Apaches erstes Interview im "Mannheimer Morgen".

Gringo Mayer: „Ihr liewe Leit“ © Olwer Records

Gringo Mayer: „Ihr liewe Leit“

Ebenfalls aus der Gartenstadt stammt Gringo Mayer: Der untermauert seinen imposanten Erfolgsweg als musikalischer Indie-Volksheld der Region mit seinem zweiten Album „Ihr liewe Leit“ (hier das Interview zum Album). Darauf gelingt es dem früheren Frontmann der Band Die Felsen mit erstaunlicher Leichtigkeit, an die Qualitäten seines gefeierten Debüts anzuknüpfen: Er liefert wieder Gassenhauer und Seelenschmeichler für das kurpfälzer Gemüt, lässt aber seinen scharfen Blick auf die Unstimmigkeiten unserer Gesellschaft nicht außen vor.

Anke Helfrich: „We’ll Rise“ © Enja & Yellowbird REecords

Anke Helfrich: „We’ll Rise“

Perfekt auch in die Zeit passt auch „We’ll Rise“. Darauf präsentiert die Weinheimer Jazzpianistin Anke Helfrich eine beeindruckende Hommage an Frauenpersönlichkeiten aus Kunst, Wissenschaft und Politik. Die Kompositionen reflektieren in ihrer Machart auf ungewöhnliche Weise die jeweiligen Charaktere. Dabei brilliert Anke Helfrich durch eine breite Stilpalette zwischen Tradition und Innovation, und ihr Debüt als Sängerin ist schlicht spektakulär. Hier spricht sie über das Projekt. 

Henny Herz: „Two Colors To Combine“ © Millaphon Records

Henny Herz: „Two Colors To Combine“

„Two Colors To Combine“ von Henny Herz ist ein Indie-Album, das bisweilen wie aus einer anderen Welt herüberzurufen scheint: ätherisch, folkig, jazzig, psychedelisch. Die Mannheimerin lässt hier vielfarbige Singer-Songwriter-Pop-Blüten aus dem Garagenrock-Schatten ins Licht wachsen. Großartig.

Jutta Glaser/Claus Boesser- Ferrari: „Return & Crossing“ © Enjoy Jazz Records

Jutta Glaser/Claus Boesser-Ferrari: „Return & Crossing“

Die Nusslocher Jazz-Vokalistin Jutta Glaser und der Laudenbacher Gitarrist Claus Besser Ferrari begeistern auf „Return & Crossing“ mit durch langjährige Kooperation gereifte Intensität des Zusammenspiels. In freien Sound-Kulissen und kühnen Noise-Collagen vertont das Duo Texte der Lyrikerin Etel Adnan über Krieg, Liebe, Sterben und Schönheit – so sensibel wie expressiv.

Listentojules: „Kaleidoscope“ © JUlia Woll / Jazzhaus Records

Listentojules: „Kaleidoscope“

Text, Inhalt, Ausstattung, Pressung der Vinyl-LP: Bei Listentojules ist alles nachhaltig – vor allem ihr Griff für Melodien und ihr charakteristischer Gesang zwischen Pop und Jazz auf der großartig klingenden LP "Kaleidoscope".

Lukas DeRungs: 7„Kosmos Suite“ © Berthold REcords

Lukas DeRungs: 7„Kosmos Suite“

Letzteren mit Chormusik zu kombinieren, ist Lukas DeRungs gelungen. So anspruchsvoll, inspiriert und beeindruckend kreativ, dass der Pianist mit „Kosmos Suite“ für den deutschen Jazzpreis nominiert wurde.

Söhne Mannheims: „Kompass“ © Götz Gramlich

Söhne Mannheims: „Kompass“

Zwei eher im Rock angesiedelte Alben aus Mannheim folgen: Die Söhne haben auf „Kompass“, dem zweiten Album der Bandgeschichte ohne Xavier Naidoo, endgültig wieder ihre Richtung zwischen Radio-Pop und schlagkräftigen Live-Nummern gefunden. Hörenswert.

The Intersphere: „Wanderer“ © Dromsjel / Odyssee Music Network

The Intersphere: „Wanderer“

Genau wie der Progressive-Metal der frühen Popakademie-Absolventen von The Intersphere: „Wanderer“ ist kompositorisch, textlich und bei der LP-Ausstattung bis ins feinste Detail ausgetüftelt – und lässt es trotzdem standesgemäß krachen.

Stiebel Eldron: „Lebendige dagegen“ © Georg Spindler

Stiebel Eldron: „Lebendige dagegen“

Allein der Titel! „Lebendige dagegen“ ist eine grandiose Überschrift über das Jahr 2023. Diese Wiederveröffentlichung von Musik der Ludwigshafener Punkband Stiebel Eldron aus dem Jahr 1983 ist mustergültig. Die durch Hochrüstung, konservative Wende und das Bewusstsein für zunehmende Umweltzerstörung geprägte Zeit wird durch die wilden Songs lebendig. Ausführliche Textbeilagen dokumentieren auch den Geist jener Ära, das Gefühl von Entfremdung, Angst und Rebellion. Hier unser Interview dazu.

Baxter: „Between Punk And Bourgeoisie“ © Bug Valley

Baxter: „Between Punk And Bourgeoisie“

Das Spannungsfeld zwischen Bürgertum und Punkrock-Seele lotet die Mannheimer Gruppe Baxter auf ihrem Album „Between Punk And Bourgeoisie“ aufs Kurzweiligste aus. Das Quartett führt einen dabei in selige Zeiten zurück, als Melodic-Hardcore- und Skatepunk-Formationen wie NOFX oder Pennywise einem das Gefühl gaben, dieser Sommer würde nie zu Ende gehen.

Betterov: „Olympia (Ehrenrunde)" © UNiversal Music

Betterov: „Olympia (Ehrenrunde)"

Zu guter Letzt würdigen wir die „Ehrenrunde“ von Betterov aus dem Bandpool der Popakademie: Sein großartiges, wundervoll betextetes Erfolgsalbum „Olympia“ ist im Oktober sinnvoll erweitert wieder veröffentlicht worden. Ein moderner Post-Punk-Klassiker, dessen Lakonie die Zeitläufe erträglicher macht.

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