Pop

Wie Helge Schneider in Mannheim artgerecht gehalten wird

Der brillante Jazz-Clown aus Mülheim begeistert im ausverkauften Mannheimer Rosengarten restlos

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Faxen und musikalische Magie: Helge Schneider glänzt im Rosengarten mit Gitarrist Sandro Giampietro (links) und Jool Timo am Bass. © Thomas Tröster

Helge Schneider ist wahrscheinlich der privilegierteste Musiker überhaupt: Er kann alles spielen, auch mal falsch, schief, grell, mit Textaussetzer – im Zweifel ist es dann ganz besonders genial. Dieses Prinzip reizt der 67-Jährige am Montagabend im ausverkauften Mannheimer Rosengarten zwar nur gelegentlich, dafür aber besonders lustvoll aus. Kein Wunder, denn Helge wird jetzt wieder artgerecht gehalten: Auf Live-Konzerten vor Publikum, das zu 99,9 Prozent ohne Masken und nicht in Strandkörben oder Autos vor der Bühne sitzt. Und das sich auf alles einlässt, was diesem meist brillant improvisierenden und mitunter erstaunlich stimmgewaltigen Jazz-Clown gerade wieder einfällt.

Die Leute wirken fast ausgehungert, so sehr saugen sie die musikalische Anarchie der „singenden Herrentorte aus Mülheim an der Ruhr“ auf. Schließlich lässt er sich normalerweise ungefähr im Zwei-Jahres-Turnus in Mannheim blicken; nun liegt sein jüngster Auftritt im Rosengarten fast vier Jahre zurück.

Dass Helge Schneider in der Pandemie ein Picknick-Konzert abgebrochen und die dazugehörige Strandkorb-Tournee abgesagt hat, brachte ihm ungewollt Gefolgschaft aus der Corona-Leugnerszene. Dabei ist doch klar, dass Helge Schneider einfach nur spielen und seiner mit Faxen garnierten musikalischen Magie freien Lauf lassen will – ungestört von servierendem Personal. So sehr Genie ist er auf jeden Fall, dass man ihm das auch zugestehen muss.

21 Instrumente im Einsatz

Seine Möglichkeiten, sich auszudrücken, sind ja auch schier endlos; allein, durch die Masse an Instrumenten, die er zumindest eindrucksvoll beherrscht. In Mannheim nutzt er 21. In der Reihenfolge ihres Auftretens: Gesang, Pfeife, Flügel, Spielzeug-Trommel, Orgel, Nebelwerfer, Reibe und vier weitere Percussion-Teilchen, Vibraphon, Saxophon, Trompete, Synthesizer, Flöte, Windspiel, performative Panflöte, geblasene Harmonika, Schlagzeug und Akustikgitarre. Nur eine E-Gitarre und die Bongo bleiben ungenutzt.

Dass dieser Auftritt jeden Cent wert ist, dazu tragen auch Schneiders Begleiter wesentlich bei: Gitarrist Sandro Giampietro spielt die italienisch luftig swingende Jazzgitarre genauso virtuos wie perlenden Rock ’n’ Roll. Dabei lässt er sogar den Blues-Virtuosen Hendrik Freischlader vergessen, der Schneider 2019 begleitet hatte. Paul-Kuhn-Schlagzeuger Willy Ketzer ist in allen Intensitätslagen tiefenentspannt und trotzdem ein wahrer Groove-Meister. Das subtile Bass-Spiel von Jool Timo („Studio Braun“) hilft dabei, dass viele Songs fliegen wie auf einem Rhythmus-Luftkissen. Optisch setzt er mit Lack-Hose, Lederjacke, Cowboyhut, Metal-Mähne und Damen-Plateau-Pantoffeln das optische Glanzlicht – als ob er bei Guns N’ Roses und den Village People gleichzeitig spielen würde.

Das Trio muss dabei so hellwach sein wie die Bandmitglieder von Bob Dylan oder der kürzlich verstorbenen Jazz-Legende Wayne Shorter. Denn auch bei Helge Schneider kann jederzeit alles passieren. Und nicht immer signalisiert der Meister explizit, wo es jetzt langgeht. Nicht zu vergessen: Das zauselige Faktotum Sergej Gleithmann, das die meiste Zeit im Off auf seinen Einsatz wartet. Um dann zu „Wurstfachverkäuferin“ (dem ersten Lied mit gegendertem Text) auf der Yoga-Matte Turnstunden aus den 70ern aufleben zu lassen oder beim lange selten gehörten „Katzeklo“ die Geige mit einer windschiefen Variation von „Alle meine Entchen“ zu quälen.

Repertoire Nebensache

Schneiders fast 30 Jahre alte Durchbruchnummer „Katzeklo“ findet jetzt wieder regelmäßig satt. Dass dazu fast schunkelnd mitgesungen wird, hätte der Hauptdarsteller früher unterbunden. Dass er dazu heute fast schon animiert und ungewöhnlich viele Gassenhauer wie „Texas“, „Der Telefonmann“ oder „Fitze, Fitze, Fatze“ aufführt, hat nicht nur mit Altersmilde zu tun, sondern mit der erspielten Narrenfreiheit, die ihm sein Publikum vollumfänglich zugesteht. Helge kann spielen, wie er will – und was er will! Auch, weil längst nicht mehr die Gefahr besteht, für immer auf ein „Katzeklo“ oder „Es gibt Reis, Baby!“ reduziert zu werden.

Viele Songs vom neuen Album

Zu dieser Freiheit gehört auch, dass von den acht Stücken des Mitte Februar erschienenen Albums „Torero“ sieben zu Gehör gebracht werden. Was fast die Hälfte des rund zweistündigen Programms ausmacht, das von den neuen Songs „The Guilty Doctor“ und „The Last Torero“ mit einem kunstvollen Gitarren-Intro von Schneider im spanischen Stil eingerahmt wird. Ungefähr in der Mitte bettelt „The Wizard“ um eine Einladung bei der Gesellschaft für Neue Musik.

Da schon die Studioaufnahmen rau, live und jazzig improvisiert klingen, zwischen vorsätzlichem Dilettantismus und Perfektionismus schwanken, passen sie ideal in sein Bühnenprogramm. Das beschließt Schneider im voll erleuchteten Mozartsaal solo am Flügel mit einer Improvisation auf Mannheim: „In Mannheim, in Mannheim, in Mannheim wohnen nicht nur Männer.“ Wie gesagt: Anything Goes.

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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