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Wie das Mannheimer Händelorchester Tradition und Gemeinschaft pflegt

Mit Leidenschaft und Humor schaffen die Musiker des Händelorchester Mannheims eine lebendige Gemeinschaft - doch sie fordern mehr Freiräume für gemeinsames Musizieren

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Karolin Jauernig
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Philipp Scholl (vorne), Eberhard Steinbrecher (Mitte) und Susanne Deeg (hinten) sind bereit für die kommenden Proben. © Jauernig

Mannheim. „Normalerweise kommen Konzertmeisterin und Dirigent zu spät, die Celli und Bässe haben schon aufgebaut und warten gemütlich auf den Rest“, schmunzelt Cellist Philipp Scholl. Diese Anekdote fängt den humorvollen und entspannten Geist des Händelorchesters Mannheim ein. Es ist weit mehr als nur ein Musikensemble – es ist eine lebendige Gemeinschaft, die von Tradition und starkem Zusammenhalt lebt.

Gegründet 1928 als evangelisches Gemeindeorchester in Neckarau, hat es sich im Laufe der Jahre zu einer festen Institution in der Mannheimer Musiklandschaft entwickelt. Die akribisch gesammelte Geschichte des Orchesters füllt zwölf dicke Leitz-Ordner voller alter Quellen, Programmhefte und Zeitungsartikel. Ursprünglich aus der evangelischen Jugendbewegung unter dem Namen „Evangelisches Gemeinde-Orchester Mannheim-Neckarau“ entstanden, verfolgte das Orchester das Ziel, das gesellige Leben in der Gemeinde zu fördern und Feierstunden musikalisch zu bereichern.

Neuer Schwung: die Ära Steinbrecher im Händelorchester

Ein neuer Meilenstein in der Geschichte des Orchesters wurde 2014 erreicht, als Eberhard Steinbrecher, 1. Solo-Fagottist des Mannheimer Nationaltheaters, die Leitung übernahm und dem Ensemble neuen Schwung verlieh. Im Orchester ist er bekannt für seinen „sprühenden Enthusiasmus“ und seine „musikalische Expertise“, fordert seine Musiker heraus und begeistert zugleich.

Steinbrecher hat nicht Dirigieren studiert und ist daher ein Laie in seinem Fach – ähnlich wie seine Musiker. Seine Leidenschaft dafür entdeckte er beim Unterrichten in Argentinien. Aufgrund der organisatorischen Unordnung dort übernahm er spontan die Rolle des Dirigenten. Diese Begeisterung ist seitdem ungebrochen. Als Dirigent genießt er es, im Vergleich zu seiner Rolle als Musiker im Nationaltheater, die Ansagen selbst machen zu dürfen.

2021 hat das Händelorchester mit dem Waldorf-Orchester zusammengefunden. Diese Fusion hat nicht nur die Besetzung vergrößert, sondern zusätzlich das Repertoire erweitert, wodurch auch symphonische Werke gespielt werden können.

Das Orchester besteht vorwiegend aus Berufstätigen – Lehrern, Ärzten und anderen engagierten Mitspielern. Sie alle finden trotz ihrer anstrengenden Arbeitstage den Weg zu den wöchentlichen Proben. Warum? „Weil es einfach Spaß macht!“ Die Proben sind ein fester Termin im Kalender, und die Mitspieler kommen, wie Konzertmeisterin Susanne Deeg erklärt „weil es so nett ist“. Steinbrecher sorgt mit seinen humorvollen und treffenden Bemerkungen immer wieder für Lacher und eine lockere Atmosphäre. Der „lustige, lockere Haufen“, wie sich das Orchester selbst bezeichnet, zieht sogar einen Klarinettisten aus Stuttgart an, der einmal im Monat anreist, um dabei zu sein.

Über das Händelorchester

Das Händelorchester ist ein traditionsreiches Mannheimer Laienorchester, das seit 1928 besteht.

Das Orchester steht seit 2014 unter der Leitung von Eberhard Steinbrecher, dem 1. Solo-Fagottisten des Mannheimer Nationaltheaters.

Seit der Fusion mit dem Waldorf-Orchester Mannheim im Jahr 2021 ist es dem Orchester nun möglich, auch symphonische Werke in größerer Besetzung aufzuführen.

Das nächste Konzert findet am 14. Dezember um 18 Uhr in der Matthäuskirche Neckarau gemeinsam mit dem MatthäusChor statt. Auf dem Programm stehen Auszüge aus Humperdincks „Hänsel und Gretel“, Chorälen aus dem Weihnachtsoratorium und weitere musikalische Highlights.

Neue interessierte Mitspieler (insbesondere Violinen und Violas) sind jederzeit willkommen. Die Proben finden immer donnerstags ab 19.30 Uhr in der freien Waldorfschule Mannheim-Neckarau statt.

Ursprünglich als Kammerorchester mit nur wenigen Bläsern gestartet, hat sich das Händelorchester zu einer Gruppe mit etwa 20 Streichern und acht Bläsern entwickelt. Neue Mitglieder kommen oft durch Mundpropaganda. Es werden jedoch immer neue Leute gesucht, um die Gemeinschaft und das musikalische Spektrum zu erweitern.

Die Proben am Donnerstagabend sind intensiv und voller Freude. Steinbrecher, bekannt für seine „Dynamikbesessenheit“, achtet besonders auf Phrasierung und Artikulation der Instrumente. Die Mitglieder des Orchesters zahlen einen Jahresbeitrag von 100 Euro. Steinbrecher arbeitet fast unentgeltlich, was das Engagement und die Leidenschaft für das gemeinsame Musizieren unterstreicht. Die Matthäuskirche stellt ihre Räumlichkeiten kostenlos zur Verfügung, und es gibt zwei bis drei Konzerte im Jahr, darunter ein Benefizkonzert in der Pfalz bei Essingen.

Frischer Wind nach der Krise: Appell für mehr Freiräume

Während der Corona-Pandemie musste das Orchester eine zweijährige Pause einlegen. Diese Krise führte dazu, dass einige Mitglieder aufhörten. Doch die Fusion mit dem Waldorf-Orchester brachte frischen Wind und eröffnete Möglichkeiten für neues Repertoire.

Die Organisation von Plakaten, die Pflege der Homepage und das Einladen von Aushilfen – all das wird ehrenamtlich erledigt. Trotz dieses Engagements gibt es einen klaren Appell an die Politik: „Es sollten Räume für Proben und das gemeinschaftliche Musizieren geschaffen werden.“ Zudem sollte es ermöglicht werden, dass – wie in Eberhard Steinbrechers Reiseberichten aus Taiwan – auch hier in Deutschland einfach auf öffentlichen Plätzen musiziert werden kann.

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